Unbehagen

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"Wir haben das gestern erst besprochen, die Gruppenaufteilung steht fest!"


Tamara starrte Rick ungläubig an und war nicht fähig, etwas auf seine harsche Aussage hin zu erwidern. Die ganze Nacht hatte sie mit sich gerungen, ob sie den Anführer darauf ansprechen sollte, dass sie momentan nicht gemeinsam mit Daryl auf Versorgungstour gehen konnte. Hatte sich eine Ausrede nach der anderen zurechtgelegt, um auf alles vorbereitet zu sein. Auf die Frage nach dem 'Warum'.


Doch es kam nicht einmal dazu. Er wiegelte einfach sofort ab und ließ sie stehen, wie bestellt und nicht abgeholt. Ein Seufzen entfuhr ihr und ihre Brust zog sich ein wenig zusammen.


Sie konnte es Rick noch nicht einmal verübeln, dass er angespannt war. Nachdem Hershel von einem Beißer attackiert worden war und sie sein Bein hatten amputieren müssen, machte er sich noch mehr Vorwürfe und dachte wahrscheinlich, seine Anführerschaft sei zu lasch.


Er tat alles, um sie, die Gruppe, zu schützen. Doch Tamara fand nicht, dass er es richtig anging.

Sein Verhalten, vor allem Lori gegenüber, war mehr als grenzwertig, sein Misstrauen schien ins Unermessliche gestiegen zu sein. Und die aufgetauchten Häftlinge, die über einen langen Zeitraum in der Cafeteria des Gefängnisses eingesperrt waren, taten ihr Übriges und halfen der Gruppe nicht wirklich, zur Ruhe zu kommen.


Tamara hatte die Gruppe um Oscar und Co. nur einmal kurz gesehen, doch bei zwei der Herren hatte sie ein mehr als nur mulmiges Gefühl verspürt, denn sie würden über kurz oder lang Ärger bedeuten, da war sie sich sicher.


Grübelnd verließ sie den Zellenblock und trat nach draußen auf den Innenhof, ließ ihren Blick über den Stacheldrahtzaun schweifen und erkannte in der Ferne vereinzelte Beißer, die nicht durch die meterhohe Barrikade kamen und denen es nach ihrem Fleisch dürstete.


Es war nicht so, dass sie nicht mit Daryl gehen wollte. Es war eigentlich das genaue Gegenteil. Und da lag ihr Problem. Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto intensiver spürte sie eine Verbundenheit. Doch sie war sich sicher, dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.


Daryl war nicht der Typ dafür, Freundschaften oder gar noch engere Bänder zu knüpfen. Er respektierte jeden Einzelnen in der Gruppe, doch nur Carol schien so wirklich an ihn heranzukommen und sein volles Vertrauen zu genießen.


In ihre Gedanken um Daryl vertieft bemerkte Tamara nicht, dass eben dieser sich ihr fast schon lautlos näherte. Es war eine dumme Angewohnheit von ihm. Erst im letzten Augenblick hörte sie das Auftreffen seines Stiefels auf dem Betonboden, wirbelte mit gezogenem Messer herum und konnte sich grade noch zurückhalten, es nicht in den Schädel von Daryl zu rammen, weil sie ihn glücklicherweise doch noch erkannte.


Durch den Schwung, den ihre Körperdrehung jedoch erzeugt hatte, riss sie Daryl und sich selbst von den Füßen, ein dumpfes Keuchen drang an ihr Ohr, als er mit dem Rücken auf den Boden aufschlug, ihr Handgelenk mit dem Messer fest umklammert, den anderen Arm um ihre Taille gelegt, um sie zu halten.


"Immer noch zu unaufmerksam, Bambi. Fast hätte ich dich gehabt." Seine Stimme war ruhig, nur, wenn man Daryl etwas besser kannte, konnte man den schmunzelnden Unterton erkennen. Sie spürte, wie die Röte in ihre Wangen kroch und befreite sich mühsam aus seiner halben Umarmung, rappelte sich umständig auf. 


"Sei froh, dass ich dir nicht das Messer in deinen Dickschädel gestoßen habe. Manchmal machst du den Beißern alle Ehre, mit deinem Aussehen!" Ihre Antwort klang zickiger, als sie sie eigentlich geben wollte, doch sie wusste, dass es ihn wahrscheinlich eh nicht interessierte. Am Fuß der Treppe zum Zellenblock sah sie seine Armbrust und seinen Rucksack, genauso wie ihre eigene Tasche. 


Er erwiderte nichts, erhob sich seinerseits und drückte ein bisschen die Hüfte nach vorn, wahrscheinlich, um die Schmerzen durch den Aufprall auszugleichen. Sofort bekam Tamara ein schlechtes Gewissen und senkte den Blick, wandte sich wieder dem Zaun und den Kreaturen, die von ihm aufgehalten wurden, zu.


Eigentlich war das Gefängnis der perfekte Ort, um sich zu verbarrikadieren. Sie hatten dicke Mauern, die sie schützen würden. Ideal für Lori, ihr Baby auf die Welt zu bringen. Ideal für Carl und sein kleines Geschwisterchen, um halbwegs unbeschwert aufzuwachsen.

Zwar vermutete sie, dass sich noch so einige Beißer in den weitläufigen Gängen aufhalten würden, sie waren immerhin noch nicht dazu gekommen, wirklich alles abzusuchen, doch sie war zuversichtlich. Sie hatte Hoffnung.

Außerdem war das Gelände und der Gebäudekomplex groß genug, um Daryl jederzeit aus dem Weg gehen zu können, wenn ihre Gefühle sie übermannen würden.


Sie war ein Feigling. Doch was nutzte es ihr, ehrlich zu sein? Verletzt werden wollte sie jedenfall nicht.


"Lass uns gehen, Bambi!"


Wie schon zuvor nach dem Gespräch mit Rick entfuhr ihr ein lautloses Seufzen und sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb. Mit einem letzten Blick auf den Wachturm der Hofanlage, in welchem Glenn und Maggie Stellung bezogen hatten, wandte sie sich zu ihm um und schnappte nach ihrer Tasche, welche er ihr zuwarf.


Sie ging hinter ihm, mit wohlbedachtem Abstand, musterte seinen Rücken, als sie sich auf den Weg zu seinem Bike machten. Ein Schauer ging durch ihren Körper dank der Gewissheit, ihm noch näher zu sein.


Als er Platz nahm und ihr deutete, sich ebenfalls zu setzen, zögerte sie kurz. Carl und Rick öffneten das Tor und Daryl pfiff, um sie aus ihrer Starre zu lösen.

Ihr blieb keine Wahl. Also schwang sie ihr Bein über das Motorrad, hing sich ihre Tasche um die Schulter und ihre Hände suchten nach den Griffen an der Sitzseite. Doch Daryl machte ihr einen Strich durch die Rechnung.

"Das funktioniert nicht Bambi, halt dich richtig fest."


'Na toll', dachte Tamara und widerwillig tat sie, wie ihr geheißen. Legte die Arme um ihn, atmete seinen Duft ein. Insgeheim betete sie, dass sie schnell Erfolg haben würden und sich am besten am Ende der Straße eine Mall auftat, um ihnen die Suche zu erleichtern. Je weniger Zeit sie mit ihm verbrachte, desto besser war es für ihre Hormone.


Niemand konnte eine verliebte, junge Frau gebrauchen, die einem der anderen quasi sabbernd hinterherlief und somit die Gruppe durch Unachtsamkeit in Gefahr brachte.


Es durfte so nicht sein.


Und sie würde alles tun, um diese Gefühle zu vergraben.

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⏰ Last updated: Sep 17, 2020 ⏰

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