18. Kapitel

6K 125 10
                                    

Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Bus in die Arbeit. Es war ein warmer Frühlingstag und die ersten Anzeichen des Sommers lagen in der Luft. Ich fühlte mich glücklich und geradezu frei. Ich wusste nicht, woher diese Euphorie kam, aber ich genoss sie in vollen Zügen. Ich war froh, dass Mike mich nicht mehr mit dem Auto mitnahm, so konnte ich mir Verspätungen und das Schludern in der Früh eher verzeihen. Im Büro angekommen, stempelte ich ein und machte mich daran, die Anrufliste der Sponsoren unserer nächsten Gala abzuarbeiten. Vor meiner Tür hörte ich, wie sich Stöckelschuhe näherten, doch sie zogen vorbei. Mandy. Ich sah auf die Uhr. In einer Stunde würde sie Mittag machen und ich beschloss, sie vorher abzufangen.


Um Punkt halb Zwei fuhr ich meinen Computer auf Standby und erhob mich. Ich war so in meine Arbeit vertieft gewesen, dass sich das mit einem unangenehmen Ziehen im Nacken bemerkbar machte. "Scheiße", murmelte ich und rieb mir über die schmerzende Stelle. Vielleicht konnte ich Cat heute Abend dazu überreden, mich zu massieren. Ich packte meine Handtasche und verließ mein Büro. Der Vorteil eines eigenen Büros lag vor allem aus dem Grund, dass ich überwiegend Telefonate führen musste, auf der Hand: keine Menschen. Der Nachteil war die ruhige Einsamkeit, die sich an einem langen Arbeitstag ausbreitete. Ich hielt auf Mandys Empfangstheke zu, als Mike mir entgegen kam. Ich spürte automatisch, wie ich rot wurde, doch eigentlich gab es keinen Grund dazu. Es ist schließlich alles gut zwischen uns, oder? Er sah mich an, doch dann richtete er seinen Blick geradewegs an mir vorbei und stolzierte davon. Ich hob eine Hand und machte einen kurzen Wink. "Dir auch einen schönen Tag, Mike", sagte ich und lief weiter. Gestern noch alles gut, heute war er wieder die größte Zicke. Ich verdrehte die Augen und seufzte theatralisch. "Warum so genervt, Miss Brown?" fragte mich eine angenehme tiefe Stimme hinter mir. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ethan Parker. Ich drehte mich um. "Guten Tag", sagte ich und versuchte einer Antwort durch ein Grinsen zu entgehen. Er lächelte mir zu. Seine wunderschönen grau-grünen Augen funkelten. Dann sah er Mike hinterher, der gerade in einem Gang verschwand. "Er scheint ihre Abfuhr nicht gut vertragen zu haben", bemerkte er. Ich stockte. Woher wusste er das schon wieder? "Woher wissen Sie das?" fragte Parker an meiner Stelle und nahm mir damit die Frage selbst ab. "Nun ja, Miss Brown. Man muss nur wachsam sein und dann wird alles klar. Sie kommen immer gemeinsam und gehen gemeinsam. Oh und hatte  ich erwähnt, dass Sie immer die Mittagspause zusammen verbringen? Sie haben mir erzählt, dass Sie nun in einer Beziehung sind. So richtig glücklich haben Sie nicht geklungen. Heute aber kommen Sie beide getrennt und reden kein Wort miteinander. Außerdem zieht Mike den ganzen Tag schon eine finstere Miene. Ich schließe daraus, dass sie kein Paar mehr sind und auch ihre Freundschaft fürs Erste auf Eis gelegt haben. Kombiniere ich richtig?" Er lächelte mich aufrichtig an. Ich musste zugeben, dass man für diese Schlussfolgerung weder Stalker noch Wahrsager sein musste und nickte. "Ja, das stimmt", gab ich zu. Dann überlegte ich kurz und meinte scherzhaft: "Sie müssen uns ja ganz schon genau beobachtet haben, um das alles zu bemerken." Mister Parkers schöne Lippen umspielte ein Lächeln. Dann lehnte er sich vor. Sein Atem kitzelte meinen Hals. Ich schloss unwillkürlich die Augen, zu sehr überwältigte mich die Reaktion meines Körpers auf ihn. "Nein, Miss Brown. Ich habe Sie genau beobachtet", raunte er an meinem Ohr. Ich erstarrte. Mir wurde warm und erst jetzt fiel mir auf, dass ich die Luft angehalten hatte. Ich stieß sie aus und öffnete schnell die Augen, nur um zu sehen, dass Mister Parker bereits seinen Weg in sein Büro fortgesetzt hatte. Er hatte also gesehen, wie ich da stand. Ihm komplett ausgeliefert. Ich ballte die Hände zu Fäusten und vergrub meine Fingerspitzen in meine Handflächen. Der leichte Schmerz versetzte mich wieder in die Gegenwart zurück. Ich atmete tief durch. Warum hat er mehr Macht über meinen Körper als ich selbst? Ich räusperte mich und sah mich um, um mich zu vergewissern, dass uns niemand gesehen hatte. Erleichtert setzte ich meinen Weg zu Mandy fort.

Die Blondine hob überrascht ihre Augenbrauen als sie mich sah. Sie war gerade am Telefonieren und bat mich mit einem erhobenen Zeigefinger um eine Sekunde. "Ja", sagte. Stille. "Ja, natürlich!" Sie musterte mich und ich konnte erkennen, dass sie alles wusste. Was auch sonst? Mandy hatte die übernatürliche Gabe Neuigkeiten zu erfahren, bevor der Betroffene selbst sie realisierte. "Schönen Tag noch!" flötete sie und legte auf. Dann faltete sie die Hände ineinander zu grinste mich an. "Na Avery, Was gibt's?" fragte sie. In ihrer Stimme lag etwas herausforderndes. Ich kam mir plötzlich vor als wäre ich zurückversetzt worden in die Schule, als ich ein Referat halten musste und den Einstieg vergessen hatte. "Ehm", ich räusperte mich. "Ich fand es nicht in Ordnung, dass du meine Situation nur zu deinem Vorteil ausgenutzt hast. Aber mir ist klar geworden, dass du mir eigentlich nichts Schlimmes getan hast. Schließlich sind wir keine Freunde und du bist mir zu nichts verpflichtet." Ich holte tief Luft und sah mein Gegenüber abwartend an. Sie lächelte, jetzt weniger herausfordernd. "Ich wollte dir nichts Böses", erwiderte sie. "Ich dachte sogar, ich tu dir und Mike einen Gefallen. Schließlich habt ihr euch von Tag eins an so gut verstanden." Ich nickte. "Ja, eigentlich schon." Mandy sah mich an. "Es hat nicht gehalten", sagte sie. Ich nickte erneut. Sie legte den Kopf schief. "Aber so wirklich mitnehmen tut es dich nicht", bemerkte sie. "Naja ich mein..Als Kumpel in der Firma war er echt angenehm. Mit ihm kann man gut reden, aber als Partner." Ich atmete aus. "Als Partner ist er einfach eigen und irgendwie hat er Stimmungsschwankungen und das wichtigste: Ich empfinde einfach nicht mehr als Freundschaft für ihn." Mandy nickte verständnisvoll und griff nach ihrer Handtasche. Sie stand auf und überquerte die letzten Meter zwischen uns. "Es ist gut, dass du auf dein Herz hörst", sagte sie und zog mich in eine Umarmung. Ihr süßliches Parfum stieg mir in die Nase, doch diesmal empfand ich es nicht als störend, sondern eher als angenehm. Mandy änderte sich nicht, egal was um sie herum passierte. Das erste Mal fiel mir auf, dass sie eigentlich sich selbst treu blieb. Das kam mir nie so in den Sinn. Doch dass Menschen sie auf Grund ihres Äußeren schnell verurteilten passierte ihr bestimmt häufig - und trotzdem machte sie so weiter wie sie wollte. Ich spürte, dass meine Einstellung sich der blonden Sekretärin gegenüber änderte. "Und jetzt komm, wir gehen zur Mittagspause was Gutes essen", sagte sie erfreut und nahm mich an der Hand. Ich folgte ihr.


Der restliche Arbeitstag verlief gut. Mandy und ich hatten uns ausgesprochen und erstaunlich gut unterhalten beim Essen. Ihre übertriebene Fassade war wie weggeblasen. Sie hörte mir zu und stellte interessierte Fragen. Vielleicht war das "Gossip-Püppchen" auch nur eine Strategie nicht verletzt zu werden? Vielleicht war sie ganz anders unter all dem Make-up und Parfum. 

Ethan Parker hatte ich nicht mehr gesehen. Er war ebenfalls beschäftigt und hatte den Tag über wichtige Meetings. Selbst als ich um halb 7 erst das Gebäude verließ, brannte bei ihm noch Licht.

Zuhause angekommen, machte ich es mir mit einer Suppe auf dem Sofa gemütlich und schaute fern. Cat war wie immer überall und nirgendwo. Manchmal kam sie mir vor wie eine streunende Katze, weshalb ihr Spitzname Cat auch so treffend war. Um halb 12 machte ich mich bettfertig, als ich den Schlüssel im Schloss hörte. Ich war gerade beim Zähneputzen und lief in den Flur, um sie zu begrüßen. "Heey", rief Cathlyn und lächelte mich an. "Na", sie umarmte mich. "Wie war dein Tag?" Ich deutete mit einem Finger auf meine Zahnbürste und hob nur den Daumen, um die Frage non-verbal zu beantworten. Sie nickte grinsend und zog ihre Jacke aus. "Ah hier", sagte sie und reichte mir drei Briefumschläge. "Waren in unserem Briefkasten an dich", erklärte sie und tänzelte an mir vorbei in die Küche. Anscheinend hatte auch sie einen guten Tag gehabt, was mich freute. Ich folgte ihr und legte die Briefe auf die Küchentheke. Mit einer Hand fächerte ich sie auseinander, sodass ich die jeweiligen Absender sehen konnte. Unter den üblichen - Handyrechnung und Werbung für einen neuen Internetvertrag - sah ich den Namen meines Arbeitgeber. Parker Relations (SE). Ich zog irritiert die Augenbrauen zusammen und lief zurück ins Bad, um die Zahnpasta auszuspucken und den Mund nachzuspülen. Cat machte sich gerade über den offenen Kühlschrank her und aß im Stehen, als ich den Brief öffnete. Sie beobachtete mich. "Alles klar?" fragte sie mit vollem Mund. "Ja, ich hab nur einen Brief von der Firma bekommen", erklärte ich und faltete den Brief aus, um ihn zu lesen. Ich stockte. "Was?" fragte ich, mehr zu mir als zu Cat. Sie schloss den Kühlschrank und drehte sich mit einem Jogurt in der Hand zu mir. Ich bemerkte ihren Blick und sah auf. "Ich wurde zu einer Geschäftsreise eingeladen. In drei Tagen soll ich das Formular ausfüllen, ob ich mit komme oder nicht", erklärte ich. "Ist doch cool!" sagte sie und lächelte. "Ja, schon", gab ich zu. "Aber Ethan Parker ist dabei." Bei dem Gedanken eine Woche mit Ethan Parker im selben Hotel zu sein und den ganzen Tag gemeinsam zu verbringen, stieg ein wohliges Kribbeln in mir auf.

My BabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt