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"Vielen Dank für ihren Einkauf. Besuchen Sie uns bald wieder."
Lächelnd übergab Seokjin dem Mann mittleren Alters die Tüte voll mit ungesunden Fertiggerichten, der ihn ohne jegliche Erwiderung hinter dem Tresen stehen ließ.
Seokjin seufzte. Die Klimaanlage des kleinen Ladens stieß laut stickige Luft aus und der Fernseher, der Rechts über ihm hang, gab alle paar Minuten ein lautes Knistern von sich, wenn das Bild mal wieder stockte.
Außerdem juckte der Kragen seiner grünen Uniform an seiner Halsbeuge, so dass er sie schon ganz rot gekratzt hatte.
Er hasste diesen Job. Hätte er mehr Acht gegeben, wäre er bei den letzten beiden nicht gekündigt worden.
Ob diese umbedingt besser gewesen waren wusste er nicht, aber wenigstens hatte es dort nicht gestunken.
Vielleicht hätte er sich im Laden blicken lassen sollen, anstatt sich unter seiner Bettdecke zu verkriechen wenn er vor lauter Herzschmerz das Bett nicht verlassen konnte.
Seinen Job hätte er bestimmt trotzdem verloren, denn ziemlich gut war er nicht darin gewesen.
Diesen Job hatte er wahrscheinlich nur noch, weil ihn kein Anderer machen wollte.
Er sah einem Jungen, wahrscheinlich um die 15, dabei zu, wie er nervös durch die Gänge huschte. Entweder würde er ihm gleich ein Bier vor die Nase stellen und hoffen, dass er es bekommen würde oder er hatte schon etwas in den Jackentaschen, was er nicht bezahlen würde.
Was auch immer es war, es war Seokjin egal. Er würde einfach nicht weiter nachfragen.
Und als der Junge ihm nur eine Packung Ramen hinlegte, scannte er er sie stumm.
Die Beule unter dem T-shirt des Jungen ignorierte er und wünschte ihm, nachdem er roboterartig sagte, was sein Chef ihm beigebracht hatte, eine schöne Nacht.
Wieder dröhnten die lauten Geräusche der Klimaanlage in seinen Ohren und übertönten all seine Gedanken.
Als sich die Tür das nächste Mal öffnete, spazierte seine Ablöse durch die Tür.
Eine junge Frau, die -wie er ,aus den wenigen Gesprächen mit ihr, erfahren hatte- eine Einjährige Tochter zuhause hatte, die sie Nachts bei ihren Eltern ließ, um Geld für ihre kleine Familie zu verdienen.
Seokjin fand die junge Frau bewundernswert, auch wenn sie nur selten miteinander sprachen.
Auch heute begrüßten sie sich nur, ehe Seokjin sich schnell nach Hinten schlich, um endlich aus dem kratzenden Shirt zu schlüpfen.
Überall an seinem Körper hatte der Stoff rote Stellen hinterlassen und schnell zog er sich sein eigenes Shirt an, ehe er den Laden verließ.
Draußen war es mittlerweile etwas frischer geworden, da es schon spät war. Zum Glück dauerte der Weg in seine Wohnung nicht allzu lange. Sie war schließlich in der Nähe des Uni Campus.

Fast schon in Zeitlupe öffnete er die Tür zu seiner Wohnung. Die warme Luft, die sich den Tag über in ihr gesammelt hatte, schlug ihm ins Gesicht.
Seine Tasche stellte er im leeren Flur ab, genauso wie das eine paar Schuhe, was er besaß. Er ging einfach durch das grundausgestattete Wohnzimmer, dessen Wohnzimmertisch mit einigen leeren Weinflaschen gefüllt war, hindurch und ließ sich nach einem kurzen Besuch im Badezimmer, in das 140er Bett fallen. Sein Tag war gewesen wie jeder andere. Er verbrachte den Tag im Bett und ging Mittags in den Laden. Andere würden es langweilig finden, aber Seokjin fühlte nichts. Er fühlte einfach gar nichts. Sein Inneres war leer gefegt und machmal bemerkte er gar nicht wie die Zeit verging. Sie verging so schnell und trotzdem kam ihm seine Zeit auf der Erde wie eine Ewigkeit vor. Eine unerträgliche Ewigkeit. Das war seine Strafe. Das war seine persönliche Hölle. Er war eine leere Hülle, im Kreislauf der Gesellschaft gefangen.
Seine abgekauten Fingernägel krallten sich in die Lacken.
Sein müder Blick fiel auf das leere Bücherregal, das kurz hinter dem Fußende des Bettes stand.
Sie hatten alles mitgenommen. Alles, das ihn an ihn erinnern könnte.
Als er gerannt, einfach ganz weit weg gerannt war, kamen sie in die Wohnung.
Seokjin hatte seine Tage in Bars und Dinners verbracht und hatte für fünf Tage nicht einmal geschlafen. Er konnte nicht schlafen. Immer wenn er seine Augen geschlossen hatte, hatte er das bleiche, leblose Gesicht seines Freundes gesehen, der aus der Wohnung getragen wurde.
Tagelang war er durch die Stadt gestrichen, war sogar stundenlang zum kleinen Hügel am Autokino gelaufen und hatte die ganze Nacht dort gesessen und geweint.
Seine roten, geschwollenen Augen waren für Monate sichtbar gewesen, denn immer wenn er alleine war, begannen die Tränen aus seinen Augen zu fließen.
Noch völlig betäubt vom Alkohol war er wieder in die Wohnung seines Freundes getaumelt, nur um sie fast leer aufzufinden.
Seine Familie war gekommen und hatte alles persönliche mitgenommen, was Namjoon besaß.
Jedes Buch, jedes Kleidungsstück. Selbst seine Bettwäsche und Zahnbürsten.
Nur die Möbel hatten sie da gelassen. Außer den Sessel, der schon in seinem alten Zimmer gestanden hatte. Der hatte nicht mehr im Wohnzimmer gestanden.
Verzweifelt hatte Seokjin alle Schränke aufgerissen.
Einen nach dem anderen. Selbst die bunten Tassen waren weg.
Schreiend war er zusammengebrochen. Das blöde Gurkenglas, welches im Kühlschrank gestanden hatte, hatte er auf dem Boden zerschmettert und ist danach in sich zusammengesackt. Weinend hatte er auf dem Küchenboden gesessen, bis die Sonne wieder aufgegangen war. Seine Knie waren ganz blutig gewesen. Und seine Lungen hatten so sehr gebrannt, er hatte gedacht, er würde keine Luft mehr bekommen.
Die Tage vergingen. Viele hatte Seokjin auf dem Boden neben dem Bett verbracht, weil er Angst hatte, das der Geruch vergehen würde, wenn er sich reinlegte.
Viele Tage vergingen. Nie kam ein Trauerbrief. Nie wurde er von Namjoons Beerdigung benachrichtigt. Aber der Vermieter kam. Und dieser war erstaunt Seokjin in der Wohnung sitzen zu sehen.
Flehend hatte er sich dem Mann zu Füßen geworfen und bat ihn, ihn hier wohnen zu lassen. Er solle die Wohnung nur bitte an niemand anderen vermieten. Er würde natürlich auch bezahlen.
Und so lag er nun in Namjoons Bett. Der Geruch seines Geliebten war schon lange verflogen. Die Tränen auch, was nicht bedeutete, dass es auch nur ein bisschen weniger schmerzte. Sein Herz zog sich zusammen, jeden Tag. Es fühlte sich an, als würde es nie locker lassen. An den meisten Tagen schmerzte sein ganzer Körper.
Bis Heute wusste er nicht, wo Namjoons Körper vergraben war.
Einige Male hatte er vor der Haustür der Kims gestanden. Er wollte sie anschreien, beschimpfen, wollte sie verfluchen dafür, dass sie Namjoon ohne ihn die letzte Ehre erwiesen hatten und ihn zugleich alles genommen hatten, was ihn an seinen Freund erinnerte.
Er wollte ihnen ins Gesicht sagen, was für grausame Menschen sie waren, doch jedes Mal drehte er um und ging zurück in Namjoons Wohnung. Wenigstens die konnten sie ihm nicht nehmen.
Und mit den Jahren verschwanden Wut und Trauer und wurden durch Leere ersetzt.
Leere, die seinen ganzen Körper füllte. Sein Herz, seinen Kopf. In ihm war nichts als Leere.
Er bewegte seinen trägen Körper und öffnete die Schublade des Nachtschränkchens. Ohne hinzusehen griff seine Hand nach dem rauen Stück Stoff.
Mit trüben Augen sah er die bunte Mütze an und drückte sie an sich. Er zog ihren Duft ein. Sie war das einzige, was ihn von Namjoon blieb.
Sie war dreckig und roch nach Alkohol, Rauch und Schlamm. Sie hatte Tage in seiner Hand und in seiner hinteren Hosentasche verbracht.
Er hatte sie sich einfach genommen und war abgehauen.
Sie roch nicht nach ihm, sie roch um ehrlich zu sein fürchterlich, aber Seokjin konnte träumen Seokjin konnte sich vorstellen, dass sie nach Namjoon roch.
Sie war alles, was er noch hatte.

Wings || NamjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt