1.1. Der Duft von einem neuen Leben

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Ethan

Das Abendrot der Dämmerung empfängt uns, als ich endlich den letzten Karton im Haus abstelle. Trotz kühlendem Wind, der die Hitze des Sommertages vertrieben hat, klebt mir das Hemd am Körper. Dennoch fühle ich mich großartig, während ich mich an einen Pfosten der Veranda lehne. Wir sind hier, die Fahrt liegt hinter uns, der Umzug ist erledigt. Jetzt muss nur noch das Haus in Schuss gebracht werden, wie die Veranda beweist, die dringend einen neuen Anstrich, wenn nicht gar neue Bretter, benötigt. Als hätte Pacey meine Gedanken gehört, gesellt er sich zu mir. „Ganz schön was zu machen hier. Bist du dir sicher, dass du das packst neben den ganzen anderen Sachen?"

Er versucht unbeeindruckt zu klingen, trotzdem kann ich echte Sorge in der Anspannung seiner Schultern sehen. Das passiert eben, wenn man wie zwei Brüder miteinander aufwächst. Da ändern auch sechs Jahre nichts daran, in denen man sich aufgrund der räumlichen Distanz seltener sieht. Ein weiterer Grund, warum ich froh bin, zurück zu sein. Hier im beschaulichen Silverstone Lake, abseits der großen New Yorker Metropole, die in den letzten Jahren mein Zuhause gewesen ist.

„Ja, ich bin mir sicher", gebe ich mit mehr Zuversicht zurück, als ich spüre. Ich muss es einfach schaffen. Für mich und für Amy.

„Mein Angebot steht. Wenn du Hilfe brauchst, kann ich gerne vorbei kommen und ein paar Bretter annageln, oder sagen wir, eher streichen. Je nachdem", schiebt Pacey hinterher und grinst verschmitzt. Wir wissen beide wie begabt er bei handwerklichen Dingen ist. Ungefähr so gut, wie ich singen kann, und zwar absolut gar nicht. Es ist schon immer so gewesen. Ich habe uns ein Baumhaus gebaut oder den alten Truck meines Dads repariert, während er für die musikalische Hintergrundmusik gesorgt hat. Er ist kein berühmter Musiker, aber talentiert genug, um mit seiner eigenen Violinenmusik in den Bars von Atlanta über die Runden zu kommen. Manchmal bekommt er zusätzlich einen Job in einem Orchester, die für einige Monate abgeschlossen werden. Damit wird er nicht reich, aber er ist glücklich. Und ich bin der letzte, der ihm sein Leben verpfuschen und riskieren würde, seine Finger bei alltäglichen Reparaturarbeiten verletzen zu lassen. Auf keinen Fall.

„Lass nur, aber danke für das Angebot. Ich werde morgen zu Bobby gehen. Der hat immer jemanden frei, der zur Hand gehen kann. Außerdem ist es nicht so schlimm wie es aussieht."

Bobby ist ein alter Haudegen, der Maurer und Mechaniker gelernt, sich dann selbstständig gemacht hat und seitdem für alle möglichen Restaurierungsarbeiten in der Stadt zuständig ist. Früher hat er das meiste selbst gemacht, jetzt teilt er die Tischler, Mechaniker, Maurer und weitere handwerkliche Arbeiter im Subunternehmen je nach Bedarf ein. Als ich mit vierzehn noch ein junger Halbstarker, kurz nach Dads Tod, war, machte ich eine schwierige Phase durch. Um ehrlich zu sein, war ich die Pest im Teenagerkostüm. Mum hat sich den Kopf zerbrochen, nicht einmal Pacey kam an mich ran. Alles in mir schrie nach Vergeltung, Zerstörung und ich war zerfressen von meiner Wut auf die Welt, die mir innerhalb eines Wimpernschlags den Vater geraubt hatte. Ich fing zu rauchen an, trank so viel Alkohol, wie ich stibitzen konnte und beging Vandalismus, indem ich Fenster einschlug und Gebäude besprühte. Eines Nachts hat mich Bobby bei seiner Werkstatt erwischt und mir mit der Polizei gedroht, mit anschaulichen Szenarien, wie ich dadurch im Endeffekt in der Gosse landen würde. Außer, ich würde den Schaden bei ihm abarbeiten und er somit kein Wort darüber verlieren. Er hat sein Versprechen gehalten. Bis heute weiß nicht einmal meine Mutter davon. Pacey ist der einzige, dem ich je von diesem Deal, der mein Leben verändert hat, erzählt habe. Das bedeutet aber nicht, dass Bobby es mir damals leicht gemacht hat. Ganz im Gegenteil. Er hat mich bis zum Umfallen arbeiten lassen, mir die Drecksarbeit gegeben und mich griesgrämig belehrt. Stets mit einer fetten Zigarre im Mundwinkel. Dennoch hat es geholfen, meine damalige Wut an den Autos oder niederzureißenden Wänden auszulassen. Die beste Therapie, die es gibt. Besser noch, als im Fitnesscenter auf einen Boxsack einzudreschen, wie es heutzutage modern ist.

„Ah, zu Bobby also. Bist du dir sicher, dass du dich mit dem alten Haudegen wieder auf einen Deal einlassen willst?", fragt Pacey schmunzelnd.

„Warum nicht? Beim letzten Mal hat es auch gut geklappt nach den ersten Schwierigkeiten."

Ich zucke unbekümmert die Schultern, was Pac schief grinsen lässt. „Nun, der liebe Bobby ist in den letzten Jahren nicht jünger geworden, geschweige denn freundlicher. Eher noch mehr Eigenbrötler und Griesgram als früher."

„Ach, damit komme ich schon klar", gebe ich zurück und klopfe Pac auf die Schulter. Dann schaue ich mich um und schwelge in dem weitläufigen Panorama. In den letzten Jahren hat mich das beengte Leben in NY zu ersticken gedroht. Hier liegt ein langer Kiesweg vor mir. Rund um das Haus befindet sich ein Hektar Wiesenfläche, die von Bäumen und Büschen gesäumt wird. Um einerseits vor der Sommerhitze, als auch vor neugierigen Blicken der Nachbarn zu schützen. Außerhalb, am Rande der Stadt, ist Silverstone Lake besonders abgeschottet und man hat das Gefühl, direkt mit der Natur verbunden zu sein. Ich kann mir hier traumhafte Sommertage mit Amy vorstellen. Jedenfalls, sobald ich das Haus in Schuss gebracht und anschließend den Garten entwildert habe.

„Ein toller Ausblick, nicht wahr?", frage ich meinen besten Freund seit dem Kindergarten. Seine Schwester Piper und er haben früher fast jeden Tag im Sommer bei uns verbracht.

„Klar, fast so wie damals. Nur etwas viel Gestrüpp, wenn du mich fragst. Und die Nachbarschaft ist auch nicht mehr dieselbe."

„Ach, ist das so. Hat jemand sein Haus verkauft?"

Bisher hatte ich keine Zeit, mich nach den alten Nachbarn zu erkundigen. Andere Dinge hatten Vorrang.

„Ja, das Haus von den Bekkers wurde verkauft. Für ein Schnäppchen."

Stirnrunzelnd versuche ich mich an den Namen zu erinnern. „Meinst du das Haus am Anfang der Straße?"

„Genau das."

Das Haus meiner Eltern, das nun mir gehört, befindet sich am Ende der Sullivan Lane, das der Bekkers ist das erste. Dazwischen liegen zwei weitere Häuser mit großem, bewuchertem Grund, sowie ein Waldstück, in dem ein See versteckt liegt.

„Steht das Haus nicht seit Jahren leer? Ich kann mich nicht erinnern, wann es überhaupt bewohnt gewesen ist."

„Keine Ahnung. Fünfzehn oder zwanzig Jahre? Wir waren noch klein, als die Familie weggezogen ist."

Ich stoße einen leisen Pfiff aus. „Ist das Haus überhaupt bewohnbar? Das stammte damals schon aus dem 18 Jahrhundert mit kleinen Räumen und verschnörkelten Dachgiebeln. Da muss eine Menge gemacht worden sein, wenn es so lange leer stand, ohne dass sich jemand darum gekümmert hat. Weißt du, ob Bobby es restauriert hat?"

Meine Finger fangen zu kribbeln an, wenn ich an das alte Haus denke. Man hat es vermutlich von Grund auf saniert, Wände versetzt, um den Grundriss offener zu gestalten und Fenster für mehr Licht vergrößert. Das wäre ein Projekt ganz nach meinem Geschmack gewesen.

Pac zuckt desinteressiert mit den Schultern. Wenn es nicht um Musik, Sport oder Frauen geht, ist er nicht unbedingt Feuer und Flamme. „Was weiß ich. Hab nur gehört, dass es am Ende der Gemeinde gehört und es so billig verkauft wurde, dass es wie geschenkt war."

Where We Got LostWhere stories live. Discover now