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Es sind schon einige Wochen vergangen und ich habe seit diesem Abend nichts mehr von Hussein gehört. Am nächsten Morgen hatte er mich zwar noch zu meinem Auto hinbegleitet und sich anschließend liebevoll von mir verabschiedet, aber sobald ich jedoch losgefahren bin, trennten sich unsere Wege. Und das allerschlimmste an der ganzen Sache war, dass sich diese womöglich für immer trennen würden.
Wir hatten ja nicht einmal unsere Nummern ausgetauscht. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr wuchs die Sehnsucht in mir. Aber wonach sehnte ich mich denn eigentlich? Sehnte ich mich nach Husseins Nähe, die zwar eine ungewohnte, aber doch so wohlige Wärme in mir ausgelöst hatte, oder war es schlicht und ergreifend das berauschende Gefühl des Kokains, welches mich für einen winzigen Augenblick lang in eine andere Welt fliegen ließ? In eine Welt ohne jegliche Probleme oder gar Sorgen. Es gab nur mich. Mich und Hussein.

Seufzend steige ich aus meinem Auto aus und mache mich auf dem Weg zu unserer Haustür, bis mir einfällt, dass ich den Postkasten mal wieder entleeren sollte. Normalerweise sorgt sich mein Vater um die ganzen Briefe, aber diesen habe ich schon seit Wochen nicht mehr gesehen, obwohl er sich sogar laut eigener Aussage ebenfalls in Berlin befindet. Wieso er nicht nachhause kommt und mich hier einfach alleine lässt, bleibt mir wohl ein Rätsel.

Nachdenklich gehe ich die Post weiter durch. Die meisten Briefe waren irgendwelche Rechnungen oder Verträge, die mich sowieso nichts angingen. Plötzlich jedoch bleibt mein Blick an einem ganz besonderem Brief haften und ich merke, wie mir bei dem Namen, den ich da las, der Atem stockt. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich auf den Absender, welcher immer wieder auf's neue ein mulmiges Gefühl in mir weckt. Das kann doch nicht sein? Dieser Brief ist tatsächlich von meiner ehemaligen Entzugsklinik abgeschickt worden. Aber das merkwürdige an der Sache ist, dass der angegebene Empfänger mein Vater ist, und nicht ich. Ich bin doch schon längst volljährig, oder steht der Name meines Vaters bewusst da?

Mit zittrigen Fingern öffne ich den Brief, um eine Antwort auf meine Frage zu erhalten.

Was ich da jedoch las, ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Ich merke wie mir augenblicklich ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Das konnte doch nicht sein ernst sein?!

Im Briefumschlag befand sich eine Überweisung in die Entzugsklinik. Diese war für mich. Und das allerschlimmste: Es soll eine geschlossene Therapie werden. Meine ganze Freiheit wird mir im Bruchteil einer Sekunde geraubt. Ich merke wie mir bei diesem Gedanken Tränen in die Augen steigen. Woher in aller Welt wusste mein Vater, dass ich wieder rückfällig wurde und tatsächlich mein Versprechen gebrochen hatte? Ich muss mit ihm reden. Jetzt.

Also gehe ich geradewegs zurück zu meinem Auto, starte den Motor und rase durch die überfüllten berliner Straßen. Ich ignoriere alles um mich herum. Die roten Ampeln. Die hupenden Autofahrer. Alles. In diesem Moment übernehmen die Schatten meiner Vergangenheit die Kontrolle. Wie konnte mein Vater so eine wichtige Entscheidung ganz alleine treffen und mich dabei in keinster Weise darüber informieren? Was ist bloß aus dem liebevollen und fürsorglichen Held meiner Kindheit geworden?

Ein lautes Hupen reißt mich aus meinen Gedanken. Ich war tatsächlich in die Gegenspur geraten. In letzter Sekunde schaffe ich es den Wagen noch nach rechts zu lenken. Das war verdammt knapp. „Blöde Fotze!", schreit mir der Fahrer wütend hinterher, welches ich mit einem Augenrollen quittiere.

Nach weiteren fünf Minuten, komme ich schließlich an meinen gewünschten Zielort an und steige mit einem mulmigen Gefühl aus dem Auto. Die Konfrontation mit meinem Vater macht mir jetzt schon echt zu schaffen, aber ich musste da durch. Nachdenklich begebe ich mich auf dem Weg zum Eingang des  Gebäudes. Einen Augenblick lang betrachte ich die riesigen Fenster, welche sich über das gesamte Gebäude erstrecken. Ich bin immer wieder auf's neue von dieser faszinierenden Architektur erstaunt. Dies war nicht irgendein Gebäude, nein, es ist der Hauptsitz der erfolgreichen Plattenfirma Universal Music Group Deutschland. Mein Vater ist der Chef des Unternehmens.

Sofort öffnen sich die riesigen Glastüren und ich betrete die relativ helle Lobby.

„Herzlich Willkommen Frau Malik, was kann ich für Sie tun?", begrüßt mich eine der Sekretärinnen freundlich. „Ich möchte mit meinem Vater sprechen.", beiße ich mir nervös auf die Lippe. Die meisten Mitarbeiter kannten mich, da ich öfter hier war um meinem Vater bei Kleinigkeiten wie beispielsweise dem ganzen Papierkram oder der Vorbereitung für die verschiedensten Meetings zu helfen. Momentan studiere ich BWL und möchte eines Tages in die Fußstapfen meines Vaters treten, somit versucht er mich jetzt schon Stück für Stück in das Unternehmen zu integrieren, damit ich früh lerne.

„Herr Malik befindet sich momentan in einem wichtigen Meeting mit zweier unserer Künstler. Dies kann noch eine menge Zeit in Anspruch nehmen. Gerne können Sie so lange hier warten. Ich bringe Ihnen derweil ein Glas Wasser.", rattert die Sekretärin wie auswendig gelernt rauf und runter. „Danke, aber es ist dringend.", unterbreche ich sie verlegen und begebe mich hastig zum nächstgelegenen Aufzug. „Aber Frau Malik, Sie können doch nicht einfach da rein platzen!", schreit sie fast schon hysterisch. Bevor sie jedoch etwas dagegen unternehmen kann, schließen sich zu meinem Glück die Türen und der Aufzug fährt in die oberste Etage.

Grübelnd kaue ich mir, während der gefühlt endlosen Fahrt, auf die Lippe herum. Sollte ich das Meeting meines Vaters, wortwörtlich stürmen, oder doch lieber warten?

Ein leiser Ton gibt mir das Signal, dass ich oben angekommen bin und ich laufe geradewegs in die Richtung, in welcher sich sein Büro befindet. Ich muss das tun. Wer weiß wann mein Vater überhaupt Zeit für mich finden würde.

Also klopfe ich vorsichtig an der edlen Holztür und betrete das Büro.

Augenblicklich wird mir heiß und kalt zugleich, als drei Gesichter ihren Blick zu mir wenden. Aber es war nicht die gereizte Miene meines Vaters, welche mir die Sprache verschlägt. Es war Hussein, welcher mich genau so verdutzt ansieht.

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Mein erster Gedanke, als ich dieses Kapitel fertig hatte: Endlich.

Bitter so wie Kokain.   [ SAMRA FF ]Where stories live. Discover now