Mama weiss alles

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„Und, hast du dich schon entschieden?", fragt mich meine Mutter und sieht mich abwartend an, während sie einer Kundin das Wechselgeld gibt. Ich schaue von den Pralinen auf, die ich auf einem goldenen Tablett aufgereiht habe. 

Unter den Einwegshandschuhen schwitzend, schaue ich sie weiterhin an und weiß nicht was ich sagen soll. Mom schließt die Kasse und dreht sich zu mir um, in ihren Augen erkenne ich ganz klar, dass sie sich um mich sorgt. Doch sie hält sich zurück, dass spüre ich wirklich. Normalerweise ist sie nicht so zurückhaltend und ich frage mich, wieso das sie es jetzt ist.

„Soll ich ehrlich sein?" Ich seufze theatralisch und stelle das Tablett mit den Pralinen an seinen Platz hinter der Glasscheibe der Theke und ziehe mir endlich die Handschuhe aus. Meine Finger sind schon ganz schrumpelig, was echt eklig aussieht und ich frage mich, wie Mom das seit Jahren aushält. 

Während ich die Hände desinfiziere und das Mittel einreibe, überlege ich, wie ich es ihr erklären soll. Seitdem ich die Nachricht abgehört habe, sind fast vierundzwanzig Stunden vergangen. Ich weiß, dass ich mich schon längst hätte melden sollen, aber irgendetwas hält mich zurück. Was das genau ist, weiß ich nicht. Und genau das regt mich innerlich so auf, dass ich mir jedes Haar einzeln rausreißen könnte.

„Du kannst mir alles sagen, Schatz. Ich bin deine Mutter und ich würde nie eine deiner Entscheidungen in Frage stellen." Dankbar lächle ich sie an und gehe auf sie zu.

„Ich kam nicht nur hierher, um euch zu helfen, sondern auch, weil ich mir unsicher über meine Zukunft bin. Ich mag meinen Beruf und das Praktikum in New York wäre ein Traum, aber die Sache ist, dass ich nicht weiß, ob ich das auch wirklich will. Denn vielleicht ... vielleicht wäre eine andere, neue Richtung das, was ich im Moment wirklich will. Verstehst du?" 

Mom sieht mich mit einem besorgten Blick an, sodass ich mir unsicher bin, ob ich ihr überhaupt noch mehr sagen soll. Seufzend verdrehe ich die Augen, ziehe die Schürze aus und gehe nach hinten. Ich bin innerlich so konfus, dass ich mich auf nichts richtig konzentrieren kann. Also setze ich mich auf den Stuhl im Büro und vergrabe das Gesicht hinter meinen Händen. 

Seit gestern schwirrt nicht nur die Frage über meine berufliche Zukunft in meinem Kopf herum, sondern auch die ganze Sache mit Michael. Dass er der Mann von damals ist, hätte ich nie gedacht, obwohl die Anzeichen dafür da waren. Vor meinen Augen sozusagen. Es passt alles, sein Studium in New York, der Zeitpunkt und auch das Aussehen. 

Denn, wenn ich das Bild – auch wenn es nur noch schwach ist – heraufbeschwöre, zeigt es eine jüngere Version von Michael Gates. Wieso mir das nicht schon viel früher aufgefallen ist, weiß ich auch nicht. Ich könnte anrufen oder vorbeigehen und mit ihm über alles reden. 

Doch ob er das auch möchte? 

Denn wenn nicht und er mir eine Abfuhr erteilt, stehe ich als Vollidiotin da und das möchte ich nicht. Ich möchte mich nicht vor ihm blamieren, denn ich mag ihn wirklich und würde ihn gerne besser kennen lernen.

„Tee vertreibt Kummer und Sorgen", reißt mich die Stimme meiner Mutter aus den Gedanken. Ich nehme die Hände vom Gesicht und schaue sie einen kurzen Moment an, bis ich nicke und dankbar lächle. Sie stellt die zwei dampfenden Tassen auf den kleinen Beistelltisch und setzt sich mir gegenüber. Genau, wie bei meiner Ankunft. Seitdem ist so vieles passiert, dass ich gar nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht.

„Ich verstehe dich sehr gut, Jenna", setzt sie an und nippt an ihrem Tee, während meiner auf dem Tischchen stehen bleibt. Ich reibe mir die Hände und weiß nicht, ob sie das wirklich tut oder nur sagt, weil sie mich damit trösten will. So oder so, ist sie die beste Mutter der Welt, auch wenn sie mich manchmal nervt.

Falling SnowOù les histoires vivent. Découvrez maintenant