„Guiseppe?"

Der Alte blickt hoch von der Zeitung und zog an seiner Pfeife, beobachtete die tänzelnden Ringelchen in der Luft und wartete geduldig, bis weitere Wörter über Ezra's blasse Lippen drangen. Wenn er freiwillig das Gespräch ersuchte, würde er statt neugierigen Fragen ein offenes Ohr antreffen. Der Schwarzhaarige holte tief Luft, bevor er leise und mit dünner Stimme fragte: „D-denken Sie, dass es möglich ist, dass das Schicksal einen Fehler gemacht hat?"

Diese Frage überraschte den schnauzbärtigen Seekautz, da er mit der Nasenspitze wackelte und – Ezra wandte mit brennenden Augen den Blick sofort ab. Diese Angewohnheit, süßes Nasenwackeln, hatte er einige Male bei Cassian beobachtet, der es wohl aus dem Unterbewusstsein heraus tat und nicht abstellen konnte. Es war süß.

„Kommt drauf an, was das Schicksal hätte richtig machen sollen"

„Alles", erscholl die Rücksprache noch im gleichen Atemzug und Ezra fuhr sich frustriert durch die Haare. Die nächtliche Dunkelheit vermochte nicht durch den Mond erhellt zu werden, der nach Kräften sein silbriges Licht verstrahlte. Das Sofa trug seinen Körper angenehm weich und die Wolldecke über seinen Beinen wärmte ihn besser als jede Heizung – trotzdem fehlte das Wichtigste. Die Person, deren Wärme man nicht ersetzen konnte. Würde Ezra für den Rest seiner Existenz kalt sein?

„Du sprichst von dieser besonderen Person", stellte Guiseppe nicht verwundert fest, schlug seine Zeitung ordentlich zusammen und rückte seine Brille zurecht, wodurch er eine klare Sicht auf das verzagte Antlitz des Jüngeren hatte. In seinem Alter zählte man einige Lebenserfahrungen und der Alte besaß reichlich davon. Viel zu viele, als das sein Schützling jemals in eben so viele Probleme rutschen und Guiseppe um Rat ersuchen könnte. Zumindest hoffte der Alte dies, denn jeder verdiente ein schönes Leben. Ein erfülltes Leben. Liebe. Wenn auch nur ein kleines bisschen.

Wortlos nickte Ezra. Er hatte die Lügen und die Spielchen satt, wohin brachte es ihn? Auf die falsche Seite des Ozeans, weg von seinem Gefährten. Er wollte sich nicht mehr länger verstecken. Deswegen holte er tief Luft, bevor er ansetzte: „Ich hab nie an übersinnlichen Kram geglaubt. Feen? Lächerlich. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich, indem ich Krimis schrieb und mir eine Mordserie nach der nächsten ausdachte. In der Schule war ich Klassenbester und der Top-schreiber der Schülerzeitung. Mein bester Freund vergöttert Fantasiekreaturen und ich reiß mich jedes Mal zusammen, seine abergläubischen Flausen nicht durch knallharte Fakten zu widerlegen – was mir gut möglich wär, so viele Aspekte gegen Drachen und was weiß ich noch sprechen. Ehrlich, mit Fantasie und Märchen ist man bei mir komplett an der falschen Adresse. Aber..."

Ein schwaches Lächeln hob seine Lippen und ließ seine Augen wie heißes Kaminfeuer leuchten.

„...dann traf ich jemanden. Und ich wollte der ganzen Welt sagen, dass ich meine Meinung geändert hab. Wunder existieren...ja, sogar die unschönen Bestandteile wie Bösewichte und abgefuckte Verrückte entspringen nicht mehr länger geschriebenen Worten. Ich glaub, das Schicksal hat mich in den Sturm geworfen, damit ich mir darüber klar werde. Das alles wahr ist. Aber..."

Das Lächeln verschwand und Traurigkeit spiegelte sich auf dem blassen Gesicht. Blanke Traurigkeit. Und auch...Reue?

„...dieser jemand wurde mir genommen. Wir hätten uns nie begegnen dürfen, das weiß ich, und es tut mir so leid, dass ich nichts tun kann außer hier auf meinem inkompetenten Arsch zu sitzen und-"

„Wortwahl, junger Mann", hob Guiseppe mahnend einen Finger und der Schwarzhaarige lachte trocken auf. Das er in einem solch schwachen Moment noch auf seine Ausdrucksweise hingewiesen wurde, erinnerte ihn schmerzhaft an seine Mutter. Die er wohl nie wieder sehen würde. Nickend entschuldigte er sich und seufzte, biss sich auf die Lippe und verschränkte seine Arme. Sein Moment der Entblößung verstrich so schnell ihn der Drang zur Ehrlichkeit packte, stattdessen glätteten sich seine Gesichtsmuskeln wieder und seine Stirn legte sich in Falten.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt