Ein Star

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„Wie geht es Ihnen heute ?"
Missmutig warf ich der Frau vor mir einen kritischen Blick zu. Wie sollte es mir schon gehen? Seit sechs oder sieben Tagen war ich an diesem Ort eingesperrt. Mein Zimmer durfte ich nur zu vorgegebenen Zeiten verlassen. Sei es zu den Mahlzeiten oder um eine Stunde mit den anderen im Gemeinschaftsraum Zeit verbringen zu dürfen. Niemand sprach mit mir darüber warum genau ich hier war, niemand wollte mir glauben schenken wenn ich versuchte zu erklären, dass das ganze hier schnell aufgeklärt werden könnte wenn sie mir nur endlich zuhören würden, aber es kümmerte einfach keinen.

Die ersten Tage, die ich hier verbringen musste war ich am Rande der Verzweiflung gewesen doch mittlerweile war meine Stimmung eher vergleichbar mit einem Vulkan der bald drohte auszubrechen. Natürlich zeigte ich dies nicht. Mein gesunder Menschenverstand hielt mich davon ab. Zu sehen was mit den anderen hier geschah wenn sie einen ihrer Wutausbrüche bekamen reichte um meine potenziellen Ausbrüche im Keim zu ersticken. Sie wurden mit irgendwelchen Pillen gefüttert und waren danach eher mit einem Zombie als einem Menschen zu vergleichen. Es war unheimlich zu sehen wie diese Menschen hier behandelt wurden.
Früher dachte ich immer in einer Psychiatrie sollte den Leuten geholfen werden, aber mittlerweile war ich mir da nicht mehr ganz so sicher und fragte mich ob diese Art von Einrichtungen nicht doch eher zum ruhig stellen gedacht waren.

Ich war so unglaublich wütend auf alles und jeden.
Wütend auf die Leute die mich in diese Klappsmühle gesteckte hatten und der Meinung waren ich würde gut zu diesen ganzen Psychos passen.
Wütend weil mir einfach niemand zuhören wollte.
Wütend auf Nick und seine Lügen.
Und auch wütend auf mich selbst. Ja, ich hatte viel Zeit gehabt nachzudenken. Meine Blauäugigkeit hatte mich erst in diese Lage gebracht. Ich fasste in der Regel nicht so schnell vertrauen, aber ich hatte mich komplett abhängig von einem Mann gemacht und das war es auch, was mich am meisten aufregte.

Also nein. Mir ging es nicht gut!

„Miss?" Die Frau vor mir zog leicht ihre Augenbrauen nach oben und erwartete immer noch eine Antwort.
Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und atmete einmal tief durch.
Dann schenkte ich ihr ein sanftes Lächeln und erwiderte so aufrichtig wie möglich :„ schon viel besser danke! "
Zufrieden mit meiner Antwort notierte sie diese in der Akte die sie bei sich trug.
„Sehr schön, Miss Jones! Die ersten Tage sind immer die schlimmsten. Sie werden sehen, bald schon wird alles leichter werden."
Sie wendete sich ab und lief Richtung Tür um mein Zimmer zu verlassen.
Ruckartig setzte ich mich in meinem Bett auf. „Warten Sie!"
Die Frau blieb stehen und drehte sich wieder zu mir herum.
„Was meinen Sie mit es wird leichter? Ich meine, wie lange soll ich denn bitte hier bleiben?"
„So lange es nötig sein wird." Ihre Art zu sprechen machte mich unglaublich wütend. Sie sprach zu mir wie meine Mutter es immer getan hatte als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war, ruhig und bedacht.
„Und wie lange wird das sein? " Den Zorn, den ich die letzten Tage erfolgreich unterdrückt hatte broddelte an der Oberfläche und meine Stimme bebte leicht.

„Das sollten Sie mit Ihrer zuständigen Ärztin besprechen Miss."
„Ich bin seit fast einer Woche hier und habe mit niemandem reden können. Ich habe keine zuständige Ärztin gesprochen und möchte jetzt wissen wann ich hier raus komme!" presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
Die Ärztin kniff ihre Augen ein wenig zusammen und notierte sich erneut etwas in ihrer Akte.
„Ich kümmere mich darum. In einer Stunde gibt es Essen." Dann verschwand sie und schloss die Tür hinter sich.

Frustriert ließ ich mich zurück in mein Kissen sinken. Ich hatte meine Gefühle so gut unter Kontrolle gehalten und dieser kleine Ausbruch gerade eben war auch nicht weiter schlimm gewesen, dennoch musste ich darauf achten mich besser zu kontrollieren.

Als nach ungefähr einer Stunde unsanft an meiner Zimmertüre gehämmert wurde rappelte ich mich mühsam auf. Der lange Flur war wie leer gefegt und als ich den geräumige Speisesaal betrat war dieser schon gut gefüllt, dies war nicht weiter verwunderlich denn die Mahlzeiten waren eine der wenigen Ablenkungen des Tages.
Ich schnappte mir den nächst besten Stuhl und betrachtete stumm das Tablett vor mir. Jeden Tag das selbe -  zwei Scheiben Brot mit einem kleinem Becher Marmelade und einem Stück Käse.
„Hiii!" eine schrille nervige Stimme ertönte  direkt neben meinem Ohr.
Die Person ließ sich schwungvoll neben mir nieder und grinste mich freudig an.
Lange lockige Haare fielen ihr wirr in ihr zartes rundes Gesicht. Ihr Lächeln war ansteckend und ihre runden, viel zu großen Augen blitzen erheitert. Es war die Frau die in meiner ersten Nacht an meinem Bett stand. Ich war schon fast eine Woche hier und sah sie heute zum ersten mal , das war irgendwie seltsam.

Kurz darauf setzen sich eine weitere junge Frau und ein etwa 20 jähriger Mann ebenfalls zu uns an den Tisch. Tina, Christina oder wie auch immer sie hieß stellte die beiden als Milo und Sina vor. Die beiden waren schon etwas über ein Jahr hier und sind in dieser Zeit zu besten Freunden geworden. Obwohl die beiden unterschiedlicher nicht hätten sein können waren sie auf ihre Art sehr nett.
Milo war eher der schweigsame etwas abwesende Typ der mehr körperlich als physisch anwesend zu sein schien und Sina war vergleichbar mit der lockigen Frau neben mir.
Sie war quirlig und redete wie ein Wasserfall, nach ungefähr fünf Minuten hatte sie mir ihre komplette Lebensgeschichte erzählt, obwohl ich nicht einmal danach gefragt hatte.

„Mia?"
Ich blickte auf, drei Augenpaare waren erwartungsvoll auf mich gerichtet, naja ausser die von Milo seine Augen hatten eher einen glasigen Blick und ich wollte garnicht wissen was sie dem Kerl gegeben hatten um ihn so auszuschalten. Doch sie erwarteten eine Antwort und ich war anscheinend wieder einmal in meine Gedankenwelt abgedriftet und hatte alles um mich herum ausgeblendet.
„Wie war die Frage?" murmelte ich leise.
„Wieso bist du hier?" Sina lächelte mich aufmunternd an.

Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, schrie ein weiterer Mann der gerade dabei war mit seinem Tablett an unserem Tisch vorbeizulaufen.
„ Sie ist eine Möörderiiiin!! Schlachtet Leute aaaab! Bumm Bumm Bumm!" er zog die Worte extra in die Länge und sprang dabei von einem Bein auf das andere. In seinem Gesicht spiegelte sich die pure Geisteskrankheit. Er lachte ununterbrochen während er einfach weiter schrie : Hat Menschen getööötet! War im Fernsehen! Sie ist ein Staaaar!"
In dem großen Saal war es kurzzeitig still geworden und alle Blicke waren auf mich gerichtet.
Eine Dame schnappte sich ihr Tablett und schmiss es Geräuschvoll auf den Boden. Andere begannen hysterisch zu kreischen oder zu lachen. Fast niemand saß mehr auf seinem Platz, es war das pure Chaos.
Sina schnappte sich Milo und zog mich gleichzeitig an meinem Arm nach draußen, Tina, Christina oder wie auch immer folgte uns als wir eilig den Speisesaal verließen.
Auf dem Weg nach draussen kamen uns schon vier Plegekrafte entgegen die wahrscheinlich versuchen wollten diese verrückte Situation wieder zu entschärfen.
Na dann viel Glück, dachte ich bei mir während ich mich schnaufend an die Wand im Flur lehnte.
Hinter der geschlossenen Tür konnte man immer noch Menschen schreien hören.
Ich musste dringend aus diesem Irrenhaus verschwinden, wenn man vorher nicht verrückt war, dann spätestens wenn man lange genug hier geblieben war.

„Stimmt es?" reißt mich abermals die Stimme von Sina aus meinem Gedanken.
„Natürlich nicht! Jemand hängt mir diesen scheiss an und ich sitze hier mir lauter völlig gestörten Leuten und kann nicht dafür sorgen, dass man die Wahrheit erfährt!" schnauzte ich sie an.
Ich rappelte mich eilig wieder auf und lief den langen Flur entlang. An meinem Zimmer angekommen öffnete ich die Tür und schloss sie gleich darauf wieder Geräuschvoll. Mit einem lauten Fluch schmiss ich mich auf mein Bett und brüllte in mein Kissen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit klopfte es sachte an meiner Zimmertüre.
Auf diese drei Chaoten die genauso gut in diese Irrenanstalt passten wie diese Freaks im Speisesaal, hatte ich absolut keine Lust.
„Nein!" brüllte ich die geschlossene Tür an.
Trotz meinem Protest öffnete sich diese und ich setzte erneut an: „Ich sagte..."
Eine Frau mit kurzen roten Haaren und einer schicken Brille auf der Nase betrat den Raum und musterte mich interessiert.
„Ich bin Dr. Stein. Ihre zuständige Ärztin. Ich möchte Sie gerne heute Nachmittag sprechen. 15 Uhr? Mein Zimmer befindet sich am Ende des Korridors, Nummer 24. Wir sehen uns später, Miss Jones."

Mit einem letzten Blick, der nicht zu deuten war verabschiedete sie sich auch schon wieder.
Wow. Anscheinend musste erst das Chaos ausbrechen bevor jemand hier sich dazu aufraffen konnte mit mir zu sprechen. Trotzdem hatte ich zum ersten mal seit Tagen wieder Hoffnung. Endlich konnte ich meinen Standpunkt erörtern und jemand würde mir zuhören.










Dunkles Verlangen [✔️] Where stories live. Discover now