Fast vergessene Hausaufgaben

945 49 23
                                    

Sahra schlug die Augen auf. Das Piepen ihres Weckers dröhnte ihr in den Ohren. Schnell tastete sie nach ihrem Handy und schaltete den Wecker aus. Sie blickte auf die Uhrzeit. Es war 5:05 Uhr. Na was für ein Glück, dass sie sich zwei Wecker gestellt hatte, den ersten hatte sie offensichtlich überhört. Sie rieb sich total übermüdet die Augen und knipste ihre Nachttischlampe an. Scheiße ist das hell! Sie kniff kurz die Augen zusammen vor dem viel zu hellen Licht, dann öffnete sie sie wieder.
In ihrem Zimmer war es angenehm kühl. Das Fenster stand ja noch offen. Langsam stellte sie die Beine auf den Fußboden, blieb noch einen Moment so sitzen, ehe sie aufstand. Sie schloss das Fenster und gähnte einmal herzhaft. Gott war sie müde. Sie war so unfassbar müde. Am liebsten würde sie sich zurück in ihr Bett legen und weiterschlafen, aber nein! Halt Stopp, daran durfte sie nicht einmal denken! Sie musste die Hausaufgaben machen und zwar jetzt!
Sie rieb sich die Augen um eine klarere Sicht zu bekommen und zog aus dem Haufen Schulzeug auf dem Boden ihre Englischsachen hervor. Aus ihrer Mappe kramte sie Federtasche und Hausaufgabenheft. Ein kurzer Blick hinein sagte ihr auf welcher Seite im Buch sie welche Aufgaben zu erledigen hatte. Auf Seite 63 und 64 war ein langer Text, den sie lesen musste um anschließend auf Seite 65 die Aufgaben Eins und Zwei zu bearbeiten. Na das würde ja spaßig werden.

Mittlerweile etwas wacher schrieb Sahra ihren letzten Satz in den Hefter und klappte ihn zu. Ein zufriedener Seufzer entfuhr ihr. Fertig. Endlich fertig. Das Lesen des Textes und das Bearbeiten der Aufgaben hatten eine knappe Dreiviertelstunde in Anspruch genommen. Und sie war einfach nur froh, es endlich geschafft zu haben.
Ihr Handy sagte ihr, dass es bereits 5:53 Uhr war. Sich jetzt noch mal kurz hinzulegen würde nichts bringen, sie würde also einfach schon mal ins Bad gehen und sich anziehen. Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und räumte die Schulsachen in ihre Mappe. Dann nahm sie sich Anziehsachen und ging leise ins Bad. Sie ging auf die Toilette. Dann stellte sie sich zögerlich, fast ein wenig ängstlich auf die Waage. 54,4 Kilogramm. Betrübt stellte sie die Waage zurück. War klar, dass sie zugenommen hatte, sie hatte ja gestern so viel gegessen und das ging über Nacht natürlich nicht weg. Nein, dafür musste sie stark bleiben, dafür durfte sie nicht wieder schwach werden, dafür musste sie mehr Selbstdisziplin erlangen. Dafür musste sie kämpfen.
Stay strong! Ja, und sie würde dieses Mal stark bleiben. Denn sie wollte endlich abnehmen. Sie wollte endlich dünn werden. Dieses ganze überschüssige Fett loswerden.
Sie blickte an sich hinab. Ihr rundlicher Bauch verdeckte ihr die Aussicht auf ihre Füße. Einzig die Zehenspitzen konnte sie noch sehen. Eklig. Fett. Zu viel Fett. Sie zog sich an. Es war jetzt 6:02 Uhr. Ihre Mutter würde sicherlich gleich aufstehen. Sie ging in die Küche und deckte den Tisch fürs Frühstück. Dann kochte sie ihrer Mutter einen Tee. Diese kam gerade gähnend aus ihrem Schlafzimmer geschlurft und verschwand im Bad. Sahra nahm sich eine Mandarine aus der Obstschale und begann sie zu schälen.

Nach dem Frühstück, sie hatte sich noch eine zweite Mandarine genommen, packte sie ihre Mappe fertig und machte sich dann auch bald auf den Weg zur Schule.
Auf dem Schulhof angekommen sah Sahra, dass Laila und Maria bereits warteten. Sie lief zu ihnen herüber. „Hey Sahra, warum so spät heute?", fragte Laila nach der Begrüßungs-Umarmung.
„Meine Scheiß Bahn ist ausgefallen, also musste ich auf die Nächste warten", sagte sie und umarmte Maria.
„Und, was geht?", fragte sie die beiden Anderen. Laila plapperte sofort los: „Maria hat die Englisch Hausaufgaben nicht und ist deswegen mies drauf." Sahra zog die Augenbrauen hoch und wandte sich an Maria. „Seit wann juckt es dich, ob du deine Hausaufgaben gemacht hast?"
„Frau Ring hat mir gesagt, sollte ich in den nächsten Wochen die Hausaufgaben noch mal vergessen, krieg ich eine Sechs. Das ist mir eigentlich egal, aber meine Mutter sagt, wenn ich noch ne Sechs kassiere, darf ich nicht auf das Rammstein Konzert gehen. Deswegen hab ich auch gestern versucht die Hausaufgaben zu machen, bin aber kläglich gescheitert. Ich hab dich deswegen doch angeschrieben, aber du hast meine Nachricht nicht gelesen", sagte Maria griesgrämig.
„Also werde ich jetzt meine nächste schlechte Note bekommen und kann mir das Konzert abschminken." Sie verschränkte die Arme und starrte missmutig auf den Boden.
„Oh, tut mir leid. Ich hab deine Nachricht erst am Abend, als ich schlafen gegangen bin, gelesen und zu diesem Zeitpunkt hatte ich selbst die Hausaufgaben noch nicht. Die hab ich gestern total vergessen." Sahra legte Maria eine Hand auf die Schulter.
„Sorry", entschuldigte sie sich noch einmal. Maria zuckte mit den Achseln, „Naja, ich bin wenigstens nicht die Einzige ohne Hausaufgaben. Laila hat sie nur halb fertig bekommen und du hast sie ja auch noch."
Sahra grinste. „Doch, ich hab sie. Ich habe sie heute morgen noch gemacht", sagte sie stolz. Maria hob ihren Kopf. „Du Glückliche–", aber dann stoppte sie und setzte eine überlegende Miene auf. „Warte mal, welches Fach haben wir jetzt im ersten Block? Englisch oder Kunst?"
„Kunst", kam es prompt von Laila, „Englisch dann im zweiten Block."
Marias Miene hellte sich auf. Sie schnippte mit der rechten Hand zu Sahra und sagte: „Perfekt! Dann kann ich... äh, können wir", sie zeigte auf Laila und sich, „in der Frühstückspause die Hausaufgaben von dir abschreiben. Dann hätten wir sie alle und ich krieg keine Sechs."
Laila schien dieser Vorschlag zu gefallen, denn sie stimmte Maria mit einem Nicken zu. Dann sahen die beiden Sahra erwartungsvoll an.
„Äh, klar, so machen wir es. Aber wirklich gut sind meine Hausaufgaben jetzt auch nicht geworden." Maria winkte ab, „Ach, das ist egal. Hauptsache ich habe irgendetwas aufgeschrieben." Sie grinste. Laila wandte sich an Sahra, „Danke, dass du uns abschreiben lässt."
„Ja, danke, bist die Beste", stimmte Maria ihr zu. Sie lächelte. „Kein Ding", sagte sie, „wäre doch doof von mir das nicht zu machen."
Es klingelte und alle Schüler gingen rein.
Die drei machten sich auf den Weg zum Kunstraum. „Ich geh nochmal auf die Toilette", sagte Laila und verschwand in den Mädchenklos.
„Die mit ihrer Mini-Blase", Maria verdrehte die Augen. Sahra lachte und schob sie den Korridor weiter entlang.
„Lass sie doch. Es kann halt nicht jeder so lange durchhalten wie du. Außerdem, vielleicht hat sie ja ihre Tage."
„Stimmt, kann auch sein", sagte Maria. Die beiden hatten den Unterrichtsraum erreicht, wo ihre Klassenkameraden bereits warteten. „Was machen wir eigentlich in Kunst?", fragte sie an Sahra gewandt. Diese überlegte kurz.
„Ich glaube wir sollen ein Werbeplakat für einen Film entwerfen", sagte sie
„Ah, okay."

Gerade als ihr Kunstlehrer zu ihnen kam, kam Laila um die Ecke gelaufen.
„Gerade noch rechtzeitig", lachte Maria und die drei gingen in den Raum und setzten sich nahe beieinander an Zwei Tische. Ihr Lehrer Herr Hoffercorn eröffnete den Unterricht mit: „Heute werdet ihr Skizzen für eure Filmplakate anfertigen. Bei Fragen einfach melden. Und denkt daran, seid kreativ. Ich will schöne, kreative Zeichnungen von euch sehen. Von euch allen." Die Schüler kramten ihre Blöcke hervor. „Und denkt daran auf blankem Papier zu zeichnen."
Ungefähr die Hälfte der Schüler hielt inne. Sie hatten keine weißen Blätter. Wer aber welche dabei hatte wurde mit Fragen bombardiert, ob sie einem nicht vielleicht ein Blatt ausleihen könnten. Sahra holte ihren Zeichenblock hervor und riss jeweils ein Blatt für Laila und Maria ab.
Sie sah aus dem Augenwinkel, dass jemand an ihren Tisch getreten war und wandte den Kopf. Da stand Tom. Er grinste sie an und fragte: „Hey Sahra, kannst du mir ein Blatt geben?"
Sie seufzte und riss ein drittes Blatt aus ihrem Block. Tom nahm es und ging, ohne sich zu bedanken, zu seinem Platz zurück. Die Augen verdrehend begann sie mit ihrer Skizze. Sie wollte ein Werbeplakat zu Harry Potter, ihrem Lieblings Fandom, machen. Laila nahm Disneys „Frozen" und Maria „Little Shop of Horrors" (von 1986). Jeder nahm einfach seinen Lieblingsfilm.
Sahra mochte Kunst. Es war eines ihrer Lieblingsfächer. Sie mochte es zu zeichnen, auch wenn sie ihrer Meinung nach nicht besonders gut darin war. Aber trotzdem gab sie sich immer sehr viel Mühe. Sie wollte ja gute Noten haben.

Einmal Ana, immer Ana.Where stories live. Discover now