Schule und ein Nutella Brötchen

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Als Sahra am nächsten Morgen die Augen öffnete, war sie bereits vor ihrem Wecker wach. Während sie sich die Augen rieb fiel ihr wieder ihr Traum ein. Ana war ihr erschienen. Sowie Ana aussah, so wollte sie selbst aussehen und Ana war da, um sie zu motivieren. Ein etwas seltsamer Traum. Er kam ihr so wirklich vor, als hätte sie Ana wirklich gegenüber gestanden. Sie erinnerte sich daran, dass sie irgendwann mal gelesen hatte, dass der Mensch in Träumen die Geschehnisse des Tages verarbeitete und verschiedene Szenarien als eine Art Simulation durchspielte. Wahrscheinlich hat sich das auf ihren Traum ausgewirkt.
Also hatte Ana quasi recht gehabt, als sie sagte, sie sei Sahras Unterbewusstsein. Ihr Unterbewusstsein hat ihr ihre Traumfigur präsentiert, manifestiert in einer anderen Person, und sie in ihrem Beschluss bestärkt ein paar Kilos abzunehmen. Irgendwie war das schon ziemlich clever.

Um Punkt Sechs Uhr stand sie auf, nahm sich neue Klamotten aus ihrem Kleiderschrank und verschwand im Badezimmer. Beim anziehen überlegte sie, was sie heute zum Frühstück essen würde. Normalerweise ein Nutella Brötchen, aber das würde ihr, bei ihrem Entschluss Abzunehmen, nicht gerade helfen. Also würde sie wohl einen anderen Belag aussuchen. Marmelade vielleicht? Oder doch nur Butter?
Immer noch grübelnd kam Sahra in die Küche und fand ihre Mutter beim Tee kochen vor. „Morgen", begrüßte diese sie, „was willst du essen?" Sahra zögerte, in ihrem Kopf schwirrte es nur so. Marmelade? Butter? Marmelade? Butter? Vielleicht doch Nutella? Nein, auf keinen Fall Nutella! Marmelade? Butter? Marmelade? „Butter!", sagte sie, vielleicht eine Spur zu laut. Schnell fügte sie hinzu: „Also ein Brötchen mit Butter." Ihre Mutter sah sie etwas verwundert an. „Keine Nutella?", fragte sie. Sahre biss sich kurz auf die Unterlippe und antwortete: „Nein, keine Nutella. Die esse ich doch sonst immer und mein Konsum ist nicht gerade gesund. Da versuche ich mal, den ein wenig einzuschränken."
Phu, noch gerettet. Aber es war ja nicht mal gelogen. Sie wollte von nun an wirklich mehr darauf achten, was sie aß. Ihre Mutter goss sich Tee ein. „Gut, dann Butter." Sie stellte den Butterklotz vor Sahra hin. Diese schnitt derweil ihr Brötchen auf und goss sich etwas zu trinken ein.

Nach dem Essen packte Sahra noch ihre Schultasche und wartete die restliche Zeit in ihrem Zimmer ab. Sie dachte wieder über ihren Traum nach. Sie wiederholte in Gedanken alles was Ana gesagt hatte und rief sich das Bild von ihrem schlanken Körper in Erinnerung. So wollte sie auch aussehen. Definitiv. Der Gedanke an einen so schönen Körper ließ sie nicht mehr los. Weder, als sie sich Schuhe und Jacke anzog und die Wohnung verließ, noch, als sie in der Bahn auf dem Weg zur Schule war. Erst als sie ihre beiden Freundinnen auf dem Schulhof erblickte lichteten sich ihre Gedanken.
„Hi!", sagte sie grinsend und umarmte die beiden. „Wie gehts?"
Maria gähnte übertrieben und sagte: „Hundemüde." Aber Laila strahlte.
„Super!", sagte sie und grinste breit. Sahra schaute sie an. „Warum so fröhlich?", fragte sie, aber bevor Laila antworten konnte schnitt ihr Maria das Wort ab. „Die ist schon die ganze Zeit so. Das ist so anstrengend", sagte sie gequält.
„Ich hab Schokolade gegessen", kam die Antwort. Sahra kicherte und sagte: „Au Backe, warum das denn? Du weißt doch selber, dass du dann total überdreht bist."
Laila schüttelte sich kurz und sagte immer noch grinsend: „Ich weiß, aber ich hab es trotzdem gemacht."
„Aber jetzt müssen wir dich die ganze Zeit ertragen", stöhnte Maria und setzte noch hinzu, „außerdem kannst du dich in diesem „Zustand" nicht konzentrieren. Und das ist in der Schule dezent hinderlich."
Das Grinsen wollte einfach nicht von Lailas Gesicht weichen. „Ja, ich weiß. Aber ist mir egal."

Als die Schulklingel läutete gingen sie zu dritt zu ihrem ersten Unterrichtsfach heute: Geschichte. Ein eigentlich sehr interessantes Fach, aber ihr Lehrer bekam es hin, dass alles, was er zu den verschiedenen Themen sagte, unendlich langweilig klang. Und viele der Schüler waren, gerade so früh am Morgen, noch nicht wach genug, um sich dieser Langeweile entgegenzustellen. Deswegen war Geschichte auch das Fach, in denen viele der Schüler irgendetwas machten, nur keinen Unterricht. Vorzugsweise waren sie am Handy. Natürlich so, dass ihr Lehrer es nicht mitkriegte.
Sahra gehörte zu den wenigen, die zumindest versuchten sich am Unterricht zu beteiligen. Aber auch nicht immer. Wenn sie sich auf Teufel komm raus nicht konzentrieren konnte, gab sie sich geschlagen, und kritzelte auf irgendwelchen Blättern herum. So wie heute.
Nach den ersten Zehn Minuten schweiften ihre Gedanken ab. Wieder zurück zu ihrem Traum. Und dieses Mal skizzierte sie auf einem ihrer Blätter Ana. Zumindest versuchte sie es. Menschen konnte sie nicht gerade gut zeichnen. Sie versuchte ihre schlanke Figur einzufangen, was ihr sogar für ihre Verhältnisse relativ gut gelang. Die langen Beine, die schmale Taille, die dünnen Arme und die wallenden schwarzen Haare.
Nach Geschichte war die Frühstückspause. Während Maria und Laila ihre Brote aßen unterhielten sich die drei. Sahra selber hatte nichts mit. Sie aß in der Schule nie etwas. Irgendwie war es ihr nämlich etwas peinlich vor anderen Menschen zu essen. Außer sie kannte diese Menschen schon sehr lange und fühlte sich wohl bei ihnen. Zwar fühlte sie sich bei Laila und Maria wirklich sehr wohl, aber nicht bei den ganzen anderen Schülern, die auf dem Schulhof ständig an ihnen vorbeigingen. Also ließ sie es.
Nach der Pause hatten sie Deutsch. Ihr momentanes Thema waren Gedichte. Also Gedichte analysieren und interpretieren. Das mochte Sahra. Sie schrieb immer Ellenlange Texte zu jedem einzelnen Gedicht und bekam auch meistens gute Noten.
Nach Deutsch folgte die große Mittagspause. Jetzt konnte man, wenn man das Essen bezahlte, in der Kantine speisen, sich etwas beim Schulbäcker holen oder wieder sein mitgebrachtes Essen essen. Sahra tat nichts davon. Sie würde zuhause etwas essen. Während dieser Pause quatschten die drei Mädchen fröhlich miteinander und schlugen die Zeit tot. Ihre Mitschüler taten ähnliches. Manche lernten aber auch. Oder, einige wenige, kritzelten schnell die Hausaufgaben in Physik in ihre Hefter.
Physik war ein schwieriges Fach. Zumindest für Sahra. Sie hatte nie einen Durchblick durch die ganzen Formeln, Sätze, Gesetze oder Merksätze. Physik war einfach nicht ihr Fach. Aber da musste sie jetzt wohl oder übel durch.
Als es läutete machten sie sich zu den Wissenschaftsräumen auf. Diese lagen in einem anderen Teil des Schulgebäudes.
Als sie den Raum betraten war ihre Lehrerin schon da. Sofort wurden sie ruhig. Diese Lehrerin war furchtbar streng und man tat besser daran in ihrem Unterricht leise zu sein. Zudem konnte man bei ihr eigentlich nichts anderes tun, als dem Unterricht zu folgen. Wer auch immer sich anders beschäftigte bekam sofort eine 6 ins Notenbuch eingetragen. Zudem hatte sie Augen wie ein Falke. Abwesende Blicke erkannte sie sofort und Handys schien sie sogar Zehn Meter gegen den Wind riechen zu können.
Kurzgesagt: Der Unterricht bei ihr war einfach nur schrecklich. Eine absolute Qual. Die totale Tortur. Such dir was aus. Sahra hasste es. Doch leider konnte sie an ihrer Situation nichts ändern und saß die letzten Neunzig Minuten im Physikraum ab.
Als es dann endlich klingelte packte sie ihre Sachen in Null Komma Nichts zusammen und sprintete mit den anderen aus dem Gebäude. Sie musste sich beeilen um ihre Straßenbahn zu erwischen, sonst müsste sie auf die nächste warten und darauf hatte sie keine Lust. Im Laufschritt eilte sie den Weg zur Haltestelle entlang und hatte Glück; laut der Anzeigetafel würde ihre Bahn erst in zwei Minuten kommen. Etwas außer Atem stellte sie sich zu der großen Schülerschar, die ebenfalls mit der Bahn fuhr.
Als sich die Bahn mit einem Klingeln ankündigte teilte sich die Menge in zwei Teile. Der eine Teil blieb an der Haltestelle stehen und wartete auf eine andere Bahn, der andere Teil stieg ein. Es war voll. Alle standen gequetscht aneinander und versuchten nicht umzufallen, als die Bahn ruckelnd losfuhr und um eine Kurve bog. Sahra stand, mit dem Gesicht fast in den Ranzen eines anderen Schülers gedrückt, ziemlich weit hinten in der Bahn und verrenkte sich beinahe den Arm um sich an einer Stange festzuhalten.
Nach und nach leerte sich der Wagon und Sahra bekam auf die letzten paar Haltestellen sogar einen Sitzplatz. Als sie dann ausstieg war sie erleichtert fast zu Hause zu sein. Sie hatte Hunger und wollte unbedingt etwas essen. Auf dem restlichen Fußmarsch nach Hause kaufte sie sich noch ein Brötchen, was sie dann gleich, sobald sie daheim war, essen wollte.
In der Wohnung angekommen wuchtete sie ihre Schultasche von ihren Schultern in ihr Zimmer und entledigte sich den Schuhen und der Jacke. Jetzt konnte sie etwas essen. Mit der Brötchentüte in der Hand ging sie in die Küche und stellte sich einen Teller, ein Glas und ein Messer auf den Tisch. Dann kamen noch die Nutella und der Multivitamin Saft dazu. Sie schnitt ihr Brötchen auf und mit dem Messer verteilte sie eine großzügige Portion Nutella auf der einen Hälfte und biss beherzt hinein. Nach der einen Hälfte beschmierte sie sich die zweite Hälfte und aß auch diese auf. Dann räumte sie den Tisch ab und ging in ihr Zimmer. Jetzt warteten die Hausaufgaben auf sie, danach konnte sie in Ruhe auf Netflix Serien schauen.

Während sie über Physik brütete kam ihre Mutter nach Hause. Diese wollte mit ihrer Tochter etwas essen, aber diese antwortete, sie habe bereits etwas gegessen.
Nach den Hausaufgaben kuschelte Sahra sich auf der Couch in ihre Kuscheldecke ein und ließ über den Laptop „Black Mirror" laufen. Es war so bequem, dass ihr immer wieder die Augen zufielen.

Einmal Ana, immer Ana.Where stories live. Discover now