Herr Bahlea schöpft Verdacht

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Frierend erwachte Sahra. Sie hatte diese Nacht erneut ohne Decke und mit offenem Fenster verbracht. Gestern war sie zwar die Zwanzigtausend Schritte noch gelaufen, bis spät in die Nacht hinein, doch hatte Ana gesagt es wäre besser auch beim Schlafen noch ein paar Kalorien zu verbrennen. Zudem hatten sie beide, Ana und Sahra, noch überlegt, wie es jetzt die nächsten Tage weitergehen sollte. Der ursprüngliche Plan, bis Donnerstag Nachmittag zu fasten, war nicht aufgegangen, also hatte Ana vorgeschlagen, dass sie nun versuchen sollte den gesamten Donnerstag und Freitag zu fasten. Als Ausgleich. Sahra hatte dem Zugestimmt und dieses Mal wollte sie das auch schaffen. Mit fasten nahm sie in kurzer Zeit verdammt gut ab, das musste sie beibehalten. Ana hatte ihr auch erklärt, woran das lag. Die hohe Gewichtsabnahme rührte daher, dass die ganze alte Nahrung, die sie die Tage zuvor zu sich genommen hatte und sich in ihrem Darm befand, ausgeschieden wurde und nicht durch neue Nahrung ersetzt wurde. Das bedeutete, dass sie zwar Gewicht verlor, jedoch nicht an Körperfett, nur an unverwertbaren Reststoffen.
Zumindest vorläufig nicht. Wenn sie aber über einen längeren Zeitraum nichts aß, zapfte der Körper die Energiereserven an, was bedeutete, sie nahm dann auch tatsächlich ab. Aber, wie Ana ihr bereits gesagt hatte, musste man aufpassen, wenn man länger fasten würde. Esse man danach nämlich wieder ganz normal, setze der JoJo-Effekt ein und das wollte sie natürlich nicht. Sie hoffte, dass sie es heute und morgen schaffen würde, ohne dass ihre Mutter sie wieder zum Essen zwang.

Als sie aufstand spürte sie wieder die Schwäche in ihrem Körper. Zwar fühlte sie sich nicht ganz so schwach wie gestern Früh, jedoch trotzdem nicht besonders stark. Langsam schlurfte sie zu ihrem Kleiderschrank und dann ins Badezimmer. Sie war gespannt, was die Waage heute sagen würde. Hatte sie zugenommen, weil sie gestern essen musste, oder vielleicht doch abgenommen, weil sie davor so gut durchgehalten hatte? Oder war ihr Gewicht gleich geblieben?
Sie holte die Waage hervor, einmal tief durchatmen, und stellte sich rauf. Als das Ergebnis feststand hätte sie vor Freude und Erleichterung aufhüpfen können. 44,8 Kilogramm. Trotz der Tatsache, dass sie gegessen hatte, hatte sie ein wenig abgenommen. Zwar nur Zweihundert Gramm, aber alle mal besser als zuzunehmen. Fröhlich stellte sie die Waage zurück (ein zweites Mal würde ihr der Fehler von gestern nicht passieren) und zog sich an. Weiterhin fröhlich ging sie in sie Küche, doch verflog ihre Heiterkeit augenblicklich. Auf ihrem Platz am Esstisch lag ein mit Marmelade bestrichener Toast und in ihrem Glas war Saft. Sahra schaute von dem Teller zu ihrer Mutter.
„Iss bitte", sagte diese und wies auf Sahras Platz.
„Äh...", sagte sie. Ihre für einen Moment lahmgelegtes Gehirn begann wieder zu arbeiten. Was war mit ihrer Mutter in letzter Zeit bitte los, dass sie sie andauernd zum essen zwingen wollte? Wieso konnte sie das nicht bleiben lassen?! Sahra verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich esse morgens Obst, das weißt du", sagte sie und konnte sich einen zickigen Unterton nicht verkneifen. Marlene seufzte.
„Heute isst du aber bitte das hier." Sie zeigte wieder auf den Teller. Sahra schüttelte den Kopf.
„Nein, tu ich nicht", sagte sie.
„Sehr gut", sprach Ana in ihrem Kopf. „Zeig ihr, dass sie keine Macht über dich hat. Du bist dein eigener Herr, du bestimmst über dich. Sie kann dir nichts aufzwingen."
Marlene drehte sich um, griff in die Obstschale und holte eine Birne und eine Kiwi heraus.
„Gut, dann Obst. Aber das isst du jetzt bitte." Sie legte das Obst neben den Toast. „Komm, setz dich." Sahra stampfte grimmig an ihrer Mutter vorbei und ließ sich auf den Stuhl fallen. Sie schaute Marlene böse an.
„Und jetzt, iss." Sahra nahm die Birne und führte sie zu ihrem Mund. Anstatt aber abzubeißen ließ sie sie wieder sinken.
„Ich muss meine Tasche noch packen", sagte sie und blickte auf. Marlene antwortete knapp: „Erst isst du auf, dann kannst du deine Sachen packen." Wie um das zu verdeutlichen zog sie einen Stuhl vom Tisch, setzte sich und versperrte ihr so den Weg nach draußen. Wie gestern. Sahre starrte die Birne an. Scheiße, jetzt musste sie schon wieder essen. So würde das mit dem Fasten doch nie klappen! Ana meldete sich wieder: „Ist okay Sahra. Du kannst da gerade nicht drum herum kommen, du musst das jetzt leider essen. Dann musst du einfach versuchen heute noch so viel wie möglich zu verbrennen, damit sich das wieder ausgleicht. Ich bin dir nicht böse, wirklich, du kannst ja nichts dafür, ich bin aber stocksauer auf Marlene. Warum lässt sie dich nicht einfach in Ruhe?"
„Ich habe keine Ahnung", dachte Sahra. „Und ich bin auch echt sauer auf sie." Sie biss in die Birne.

Einmal Ana, immer Ana.Kde žijí příběhy. Začni objevovat