17. Suilerua

1 0 0
                                    

Majikku

Als ich wieder zu mir kam, schmerzte mein Kopf und das stetige Auf und Ab machte es auch nicht besser.
Stöhnend versuchte ich, mich in eine bessere Position zu bringen, doch ich konnte mich nicht rühren. Die dicken Seile um die Brust und die Unterschenkel machten den instinktiven, verschwommen Wunsch nach Schlaf endgültig zunichte.
Wer hat mich gefesselt und warum?
Immer noch benebelt versuchte ich, mich umzusehen, doch da war nur Schwärze.
Während mein Hirn noch mit diesem Rätsel beschäftigt war, öffnete ich den Mund und holte tief Luft, um nach Hilfe zu schreien.
"Das würde ich an deiner Stelle lassen, sonst muss ich dich nochmal betäuben."
Mein Kopf schnellte zu der Quelle der Stimme. Ich konnte den Mann zwar nicht sehen, erkannte ihn aber trotzdem.
"Aurelius?!", zischte ich ungläubig.
Mein Entführer antwortete nicht, doch ich war mir sicher, dass er es war.
"Lass mich runter!"
Ich wusste, dass es vergebens war, doch irgendwas musste ich einfach tun. Selbst in einem benebelten Zustand war mir klar, dass er Taurus' Verstärkung sein musste. Wahrscheinlich befand sich der elende Kerl ganz in der Nähe.
"Träum' weiter."
"Bringst du mich eurem Sensei?", fragte ich.
Keine Antwort.
"Ist Taurus hier?", startete ich einen neuen Versuch, ihn zum Reden zu bringen, denn inzwischen hatte ich begriffen, dass er mir die Augen verbunden haben musste.
Schweigen.
Vielleicht musste ich ihn provozieren, damit er anfing zu Sprechen.
Bevor ich jedoch den Mund öffnen konnte, sagte jemand wütend:
"Es ist doch völlig egal, was dieses Menschlein zu sagen hat! Befrei dich, oder ich werde es tun! Niemand wird mich gefangen halten!"
Ich zuckte vor dem scharfen Fauchen zurück, doch Aurelius schien nichts gehört zu haben.
Da begriff ich und sagte rasch:
"Ich könnte deine Hilfe gebrauchen. Wie du sehr gut weißt, kann ich nicht laufen und auch die Magie nicht kontrollieren."
Ich versuchte, meinen flehenden Unterton, mein Schamgefühl und die Wut auf mich selbst zu verbergen, doch ich wusste bereits, dass es vergebens sein würde.
Die Befriedigung von Felicitas war Bestätigung genug.
Schnurrend erwiderte die Raubkatze:
"Wie gut, dass ich da bin, um dir aus der Patsche zu helfen, was? Das kostet dich eine zusätzliche Jagd mehr im Anschluss."
Ich nickte stumm, die Zähne fest zusammengebissen, um nichts Dummes zu sagen.
Die Welt bestand für einen Moment nur aus Schmerz, dann zerrissen Augenbinde und Seile unter dem großen, kräftigen Körper der Raubkatze.
Im nächsten Moment wieherte das Pferd erschrocken und ängstlich – der Mann im Sattel fluchte, während er versuchte, nicht abgeworfen zu werden.
Felicitas verlor keine Zeit, sprang vom Pferderücken und ignorierte das schmerzerfüllte Wiehern des Tieres.
Geschmeidig landete sie neben dem felsigen Untergrund in der Nähe des Wasserlaufs und wollte in den Wald rennen, doch ich stemmte mich Gewalt gegen sie.
"Was soll das, Mensch?!", fauchte sie und versuchte, sich mir zu widersetzen.
Unter gewaltiger Kraftanstrengung machte ich einen Schritt stromabwärts zum Wasserfall.
"Wir müssen zurück zu den anderen und sie warnen. Vielleicht werden noch andere Neko angegriffen!", erwiderte ich wütend und etwas außer Atem.
"Vergiss es! Bevor ich deinen schwachen Menschlein-Freunden helfe, bringe ich mich lieber in Sicherheit!"
Die Verwunderung, dass ausgerechnet Felicitas lieber vor ihrem Feind floh, anstatt ihn zu bekämpfen, überdeckte fast gänzlich meine Wut.
"Ich bin nur vernünftig! Bist du etwa so beschränkt, dass du seine Krallen übersehen hast?"
Vor Verblüffung hatte mein Griff etwas nachgelassen und Felicitas hatte sich ein paar Schritte vom Ufer entfernt.
Wütend verstärkte ich den Druck und versuchte, ihren Einfluss auf ihre – nein, auf meine – Muskeln zu lösen.
"Mir egal, ob er ein Schwert oder eine andere Waffe besitzt! Ich werde nicht davonlaufen, wenn dafür hunderte ihr Leben lassen müssten!"
Dieser Edelmut ist ja zum Kotzen.
Bevor ich eine scharfe Erwiderung von mir geben konnte, sagte Aurelius hinter mir:
"Ein interessanter Körper. Ich bin gespannt herauszufinden, wie du das gemacht hast. Mein Pferd hat deine grobe Behandlung jedoch nicht verdient."
Wir wirbelten herum, doch bevor uns einig waren, ob wir angreifen oder fliehen sollten, trafen uns die Hufe des panischen, steigenden Pferdes an den Schultern und wir wurden nach hinten geschleudert.
Felicitas jaulte und ich stöhnte, während wir versuchten, uns auf die Pfoten zu stemmen.
Das Klappern der Hufe kam näher und die Raubkatze zog instinktiv den Schwanz ein und bleckte die langen Fänge, während ich versuchte, nicht auf das Pferd, sondern seinen Reiter anzuschauen.
Aurelius' Gesicht blieb ausdruckslos, während er auf uns herabsah.
"Ich tue das nicht gerne, aber du lässt mir keine Wahl."
Erst da entdeckte ich das in etwa zehn Zentimeter lange, schmale Rohr in seiner Hand.
Bevor ich Felicitas aufhalten konnte, machte sie einen aus Angst geborenen, gewaltigen Satz zur Seite, aller Schmerz vom Adrenalin verdrängt.
Noch im Sprung konnte ich das untypische Verhalten des Pumas nicht verstehen, bis eine hauchdünne, metallisch glitzernde Nadel eine unserer Schultern streifte.
Ohne mein oder Felicitas' Zutun wurde die Welt gleißend hell und meine Anatomie bildete sich zurück zu einem Menschen. Noch nie war ich so panisch darüber gewesen, diese Gestalt zu verlieren, wie jetzt.
"Felicitas!"
Mit einem harten Aufprall landete ich – immer noch blind vor Helligkeit – und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich Wasser berührte.
"Felicitas, wo bist du?!"
Immer noch keine Antwort.
Ich schluckte Wasser und spürte beinah sofort die gewaltige Strömung, die mich in die Mitte des Flusses zerrte, während ich langsam wieder etwas sehen konnte.
Eine gewaltige Wut überrollte mich – obwohl es nicht meine eigene war – während sich mein Körper erneut veränderte. 
"Dieser räudige Aasfresser wollte mich verjagen, da hat er sich aber geschnitten! Diese Krähe gehört mir!"
Durch das grelle Licht und meine Erleichterung hörte ich Aurelius sagen:
"Eigentlich solltest du diesen Körper nicht mehr benutzen können. Das nächste Mal werde ich besser treffen und dann wird dir nichts anderes übrigbleiben, als mitzukommen."
Ich verzichtete auf eine Antwort, verwandte meine ganze Energie lieber darauf, nicht stromabwärts zu treiben.
Mit einmal paddelte ich wie wild um mich und hielt den Kopf über Wasser, ohne Plan und verschwendete damit die letzten Kraftreserven.
Die Wut der Raubkatze hatte sich in pure Panik verwandelt, als sie erkannte, wo wir waren.
"Felicitas, hör auf!"
"Nein! Ich will nicht sterben! Ich kann nicht einfach wie eine elende Ratte ersaufen! Ich werde ganz bestimmt nicht-"
"Hey, reiß dich zusammen! Wir werden nicht ertrinken! Warum hast du solche Angst? Kannst du etwa nicht schwimmen?"
Die alles überwältigende Panik, die mir von ihr entgegenschlug, war Antwort genug.
Ich fluchte, während ich versuchte, das panische Paddeln zu kontrollieren.
Eine Bewegung im Augenwinkel zeigte, dass Aurelius weiter von seinem neben uns am Ufer her
reitenden Pferd auf uns schoss und uns nur knapp verfehlt hatte. 
"Hör zu. Beruhig dich. Ich kann schwimmen."
Felicitas sagte nichts, doch ihre unverminderte Angst und ihr Misstrauen sprachen Bände.
"Bitte, vertraue mir. Nur dieses eine Mal. Ich kann uns hier rausbringen, wenn du mir
deinen Körper leihst."
Das hektische Paddeln erstarb und ich griff automatisch ein, damit wir nicht untergingen. Sofort fing die Raubkatze wieder an, wie verrückt um sich zu schlagen.
Besorgt schossen meine Augen von Aurelius zu dem stromabwärts fließenden Wasser.
Ich hatte schon aufgegeben, noch etwas bei Felicitas bewirken zu können, als ihr Misstrauen etwas nachließ und sie sagte:
"Na schön. Solltest du mich allerdings reinlegen, werde ich dafür sorgen, dass du stirbst, Menschlein."
Meinetwegen, dass ist kein Problem für mich. Hauptsache, wir kommen hier weg., dachte ich, sagte aber nichts. Sie würde meine Gedanken vermutlich sowieso lesen.
Ich begann, zielstrebig schräg zur Strömung auf das gegenüberliegende Ufer zuzupaddeln, weg von Aurelius. Den Schwanz nutzte ich als Ruder und ließ auch die Hinterbeine arbeiten. Nach einer Weile ahmte Felicitas die Bewegung nach und verlieh den Schwimmstößen so mehr Kraft, als ich besaß. Um die Raubkatze nicht zu beunruhigen, versuchte ich, die Tatsache zu ignorieren, dass wir immer noch flussabwärts trieben. Da die Raubkatze krampfhaft versuchte, ein Niesen durch die Wassertropfen auf ihren Schnurrhaaren zu unterdrücken, bemerkte sie meine Sorge nicht.
Felicitas' Ohr zuckte, als eine weitere Nadel nah an unserem Kopf vorbeischoss und ich war beeindruckt, wie schnell sie die aufkeimende Angst unterdrückte und noch energischer auf das Ufer zupaddelte, was immer noch ein gutes Stück entfernt lag.
Die Raubkatze war auf der einen Seite geschmeichelt, auf der anderen Seite pikiert, dass ich dieses Verhalten von ihr nicht als selbstverständlich betrachtete. Aber sie sagte nichts und auch ich akzeptierte, dass sie schon wieder meine Gedanken beobachtete. Wir hatten weder die Zeit, noch die Energie, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen.
Das Ufer rückte näher und ich begann gerade zu hoffen, dass wir noch vor der gefährlichen Wasserkante des Wasserfalls diesem Sog entfliehen konnten, als ich einen scharfen Stich im Nacken spürte.
Entsetzen strömte schneller als jedes Gift durch mich hindurch.
"Nein!"
Ein trüber Schleier legte sich auf meine Sicht und meine Bewegungen verlangsamten sich. Zuerst hielt ich das für eine Schockreaktion, doch dann bemerkte ich, dass die Veränderung der Anatomie ausblieb und ich meine Muskeln immer schlechter ansteuern konnte.
Was hat er mir jetzt gespritzt?, dachte ich verschwommen.
"Suilerua beschränkt sich nicht nur darauf Verwandlungen umzukehren, Kätzchen."
Selbst mein Entsetzen schien gemeinsam mit meinen Sinnen immer mehr abzustumpfen und machte Stück für Stück Gleichmut Platz.
Irgendwann musste es ja so kommen., dachte ich, plötzlich müde, während es dunkel um mich wurde.

Die mit vielen NamenWhere stories live. Discover now