13. Der schmale Grat zwischen Blau und dem Nirgendwo

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Elias

Majikku's Augen glühten und ihre Stute schnaubte. Ein weiterer Blitz zuckte über den schwarzen Himmel.
Doch ansonsten war es still. Mucksmäuschenstill.
Alle starrten sie ungläubig an, mich inbegriffen.
Was war denn mit ihr los? Seit wann hegte sie eine solch starke Abneigung gegen die Karasu?
Wie... überraschend. Und hilfreich. Zumindest, wenn wir wollten, dass sie mit ganzem Herzen bei der Sache war.
Mir war es egal was sie von den Aasfressern hielt, aber vielleicht motivierte sie ihre Abneigung. Vielleicht würde sie dann widerspruchlos ihr Schicksal, die Erfüllung der Prophezeiung, akzeptieren.
Wir würden es ja noch sehen.
Immer noch war das einzige Geräusch die Naturgewalt, die über uns hinwegtobte.
Verunsichert blickte der Schlüssel in die Runde und als niemand auch nur irgendwie auf seine Rede reagierte, senkte er beschämt den Kopf.
Ein einzelner Jubelschrei zerriss die Stille der Menge.
Erst als die Menschen, nach kurzem Zögern, in den Jubel einfielen, johlten, klatschten und zustimmend aufstampften, erkannte ich, dass es mein eigener gewesen war.
Der Schrei war nicht echt gewesen, doch er reichte, damit die Anderen ihre Hemmungen überwanden, denn sie glaubten an die Echtheit des Schreies. Denn wenn sie nicht an Majikku glaubten, wer dann?
Erleichtert richtete diese sich wieder auf und wandte sich dem Anführer zu.
Plötzlich jedoch, drehte sie sich noch einmal um und richtete ihre blauen Augen direkt auf mich.
Einige Herzschläge lang musterte sie mich und ich konnte nicht einmal erahnen, was sie dachte, was sie wollte.
Innerlich wand ich mich vor Unbehagen und wollte gerade den Blick abwenden, als sich ihre Lippen zu einem kleinen, unsicheren Lächeln verzogen.
Sie bewegte lautlos die Lippen und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass sie immer und immer wieder ein einzelnes Wort formte.
Dankeschön.
Von unterschiedlichsten Gefühlen gepackt, unter anderem Angst und Unsicherheit, lenkte ich meine Gedanken auf etwas, besser jemand anderen, der mir gerade einfiel.
Jetzt bewegte ich die Lippen, wollte das Mädchen etwas fragen.
Wo ist Nyoko? ich kann sie nirgends-
Ich brach ab, als sich Majikku wieder Aadil zuwandte.
Einen Moment ärgerte ich mich über ihre Arroganz, bis mir wieder einfiel, dass ich ja meinen Mantel trug und man im besten Fall höchstens meine Augen sah.
Und obwohl ich diese Frage hatte stellen wollen, war ich dennoch erleichtert über diesen. Ich wollte lieber von Angesicht zu Angesicht Fragen stellen, als ein offenes Buch für Andere zu sein. Ganz besonders bei diesem Mädchen wollte ich das vermeiden.
Schnell näherte ich mich ihr und dem Anführer, um in Erfahrung zu bringen wo Nyoko denn nun war.
Aadil sagte gerade:
„Gut gemacht. Jetzt ist sogar Quentin still und ich kann noch für die letzten Vorbereitungen sorgen. Übrigens, wo ist eigentlich Nyoko? Ich könnte sie gut als zusätzlichen Strategen gebrauchen."
„Egal, wo sie jetzt gerade ist, sie wird kommen. Um jeden Preis. Diesen Kampf wird sie nicht verpassen wollen.", sagte Majikku, ihre Stimme klang hart, wenn auch mit einer Spur Traurigkeit, die ich nicht zu deuten wusste.
Welchen Kampf? Die finale Schlacht zwischen den Neko und den Karasu? Aber selbst der Zeitpunkt ihres Beginns ist doch noch nicht einmal abzusehen...
Der Anführer runzelte die Stirn.
„Das hoffe ich doch. Sie sollte sich bloß beeilen, denn sie weiß nur zu gut, wie unersetzlich sie für die Neko ist."

Eine Weile war nur der prasselnde Regen zu hören bis eine Stimme sagte:
„Du wusstest, dass ich da bin, oder, Aadil?"
Der nickte lediglich und war als Einziger nicht überrascht, als eine komplett schwarzgekleidete Gestalt von einem nahestehenden Baum sprang, sich elegant wie eine Katze abfing, aufrichtete und sagte:
„Aus Schmeicheleien mache ich mir nichts, das müsstest du doch von mir wissen. Aber bevor wir jetzt die Strategie besprechen, sollte erst einmal Elias zu uns stoßen."
„Elias? Aber sicher. Dann ist das Team komplett."
Er lächelte leicht, auch wenn ich glaubte, kurz Sorge in seinen Augen zu sehen, nicht, weil ich dazu stieß, sondern-
„Nun komm schon, wie lange willst du da noch rumstehen?", fragte der Anführer und winkte mich zu sich heran.
„Ich wusste, du würdest kommen.", sagte Majikku, jedoch nicht zu mir, sondern zu der Gestalt, die ich jetzt als Nyoko identifizieren konnte.
Doch die reagierte nicht, ignorierte das Mädchen einfach, und die nahm das schweigend zur Kenntnis.
Ich runzelte die Stirn.
Was ist zwischen den Beiden vorgefallen?
Aber das konnte ich sie später ja immer noch fragen, im Moment war es wichtiger, dass Nyoko da war und wir jetzt zumindest eine ungefähre Strategie entwickeln konnten.
Wir, das waren die engsten Vertrauten des Anführers. Wir hatten den Vorteil, als Erster informiert zu werden, bei wichtigen Entscheidungen mitwirken zu können, wie jetzt die grobe Entwicklung der Strategie oder zum Beispiel der genauere Vorgang bei einer Belagerung. Und wir genossen Rang und Ansehen bei den anderen Organisationsmitgliedern.
Nyoko, Majikku und ich waren die einzigen Vertrauten, und im Gegensatz zu Majikku hatte ich mir diese Position hart erkämpfen müssen, wenn auch nicht mit Waffen, sondern mit wohlwollenden Worten und Taten und einer Art Aufnahmeprüfung.
Majikku hingegen gehörte von nun an automatisch dazu, das verdankte sie ihrem Privileg als Schlüssel der Prophezeiung.
Wie Nyoko Mitglied geworden war, wusste ich nicht, sie war schon lange vor meiner Prüfung seine Ratgeberin gewesen.
Ebendiese sagte gerade, ohne, dass man ihr anmerken konnte, was sie dachte:
„Wie ihr wahrscheinlich schon bemerkt habt, haben wir alles andere als gute Chancen den Karasu auch nur entgegenzugehen, da wir nicht wissen, wo ihr Aufenthaltsort liegt. Das Einzige, was wir haben, ist eine schon verschwindende Blutspur. Und umherzulaufen und zu hoffen, dass wir sie finden, ist nicht besser, als hier auf sie zu warten. Was schlägst du also vor, Aadil?"
Zum ersten Mal fiel mir auf, dass Nyoko ihn nicht mit dem respektvollen 'Sie' ansprach, sondern wie mit jedem anderen Menschen, von ihrem höflichen Ton einmal abgesehen.
Das allein war ja nicht sonderlich ungewöhnlich, schließlich tat ich es seit ungefähr einem Jahr auch nur noch selten, da wir uns inzwischen fast ebenbürtig und nicht mehr Schüler und Mentor waren, aber wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich noch nie gesehen, dass sie ihm den Respekt eines höher Gestellten entgegengebracht hatte.
Nicht einmal, als ich vor ein paar Jahren das Gerücht von der jüngsten Ratgeberin aller Zeiten hörte und feststellen musste, dass es Nyoko war.
Damals hatte ich mich nicht im Geringsten für die Rangordnung bei den Neko oder gar Aadil interessiert, ich selbst war schließlich gerade erst acht Jahre alt geworden, aber ich wollte dennoch wissen, wer dort so schnell seinen Aufstieg in der Karriereleiter geschafft hatte. Vielleicht würde dieser jemand ja etwas mehr auf gelangweilte Kinder wie mich achten und uns einmal andere Aufgaben geben, als das Vieh zu versorgen. Oder vielleicht würde er sogar mit uns spielen.
So dachte ich.
Wie groß meine Überraschung war, als ich sah, dass ein Mädchen, das kaum älter als ich sein konnte, neben dem Anführer stand, dessen Name mir damals noch unbekannt war.
Zuerst hatte ich noch voller Begeisterung versucht, das Mädchen zum Spielen mit mir zu überreden, doch es hatte wieder und wieder abgelehnt und gesagt, es müsse mit dem Anführer reden oder andere, wichtigere Dinge tun. Schnell merkte ich, das etwas in ihren Augen, in ihrer Art fehlte, so, als sei sie längst kein Kind mehr. Ich sah sie nie spielen, hörte sie nie lachen und bemerkte nie Kinder, sondern nur Erwachsene um sie herum.

Die mit vielen NamenWhere stories live. Discover now