12. Aufbruch

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Nyoko

Ich runzelte die Stirn, doch ich hatte mich schnell wieder unter Kontrolle, trotz der Fragen, die in meinem Kopf herumschwirrten.
Wegen einem Kind wollen sie erneut in den Krieg ziehen? Wegen einem Kind?!
Sie hatten sich nicht verändert. Die Karasu waren genauso verrückt und einfältig wie die letzten Kriege. Aber das diese Kriege, die so viele Menschenleben, so viel Glück und Frieden forderten, wegen einem einzigen Kind stattfanden, dass hätte ich selbst ihnen nicht zugetraut.
Aadil brauste auf:
"Hört doch endlich auf mit diesen sinnlosen Kriegen! Wir haben kein Kind gestohlen, verdammt!"
Seine braunen Augen glühten.
"Ihr fordert so viele Leben, so viele glückliche Familien, so viele sorglose Kindheiten in diesen Kriegen und wofür?! Für eine Lüge!"
Bevor Majikku oder ich ihm beipflichten konnten, sagte er, an mich gewandt:
"Du wirst doch mit ihm fertig, oder? Dann kann ich mich um die Vorbereitungen für den Krieg kümmern."
Ich nickte, ohne einen Widerspruch einzulegen oder mich geschmeichelt zu fühlen, ob der Selbstverständlichkeit, mit der er das sagte.
Das ich jetzt allein gegen die Krähe antreten musste, wunderte mich nicht, denn eine Organisation mit über fünftausend Mann brauchte seine Zeit und vor allem die Anweisungen eines Anführers, der wusste, was er tat, bis sie bereit zum Aufbruch war. Doch ob Aadil diese Geste mitbekommen hatte, war unklar, denn er war schon verschwunden.
Und zwar so, dass ich es nicht bemerkt hatte.
Der erste Mensch, der das schaffte. Meine Bewunderung galt ihm, auch wenn ich ihn nicht anhimmelte. Obwohl er sicherlich für die meisten Menschen in der Organisation eine sehr gute Partie wäre. Doch mich interessierte keine Macht, keine Position, nur, dass die Karasu starben.
Plötzlich unterbrach Taurus meinen Gedankengang:
"Verdammt! Wohin ist er verschwunden?!"
Ich unterdrückte ein Schmunzeln, wie so oft, sodass es für mich schon zur Normalität gehörte.
Überraschenderweise versuchte er aber nicht, ihm zu folgen, sondern wandte sich uns zu.
"Na ja, umso besser. Dann brauche ich nur noch gegen ein einfaches Mitglied zu kämpfen, um dich mitzunehmen."
Er lachte laut auf.
"Das ist ja so einfach! Ich kann sie einfach mal kurz mitnehmen, ohne einen ernsten Kampf."
"Nicht, solange ich lebe.", sagte ich, unbeeindruckt von seiner Überheblichkeit.
Sie würde ihm schon noch früh genug zu seinem Tod verhelfen.
"Ach ja?! Und woher willst du das wissen, Kindchen?!"
Ich schwieg.
Darauf lohnte sich keine Antwort.
Taurus lachte erneut auf, doch bevor er etwas sagen konnte, unterbrach ihn Majikku:
"Wozu brauchst du mich überhaupt?!"
Der Karasu legte den Kopf schief und durchbohrte sie mit seinen glühend weißen Augen. Ich glaubte für einen kurzen Moment, Angst in Majikku's Augen zu sehen, doch sie zuckte nicht zurück und als ich blinzelte, war ihr Blick klar und sie strahlte eine ruhige, beinahe gelassene, Autorität aus. Sie wirkte ruhig und bestimmt, so, als könne ihr nichts und niemand etwas anhaben.
Auch wenn ich mich nur selten irrte, konnte ich mir kaum vorstellen, dass diese Frau, die wirkte wie eine Königin, aufgerichtet und stolz, wie ihre weiße Stute, die perfekt zu ihr passte, Angst haben konnte.
Doch der Karasu starrte sie weiterhin an und Majikku starrte ungerührt zurück, ja, sie zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Da spürte ich es.
Sie kämpften!  
Nicht mit Waffen, nicht mit Worten, nicht mit Geräuschen und auch nicht mit Magie, wie ich es vermutet hatte, denn es lag keine Energie in der Luft. Nein, die Krähe und die Katze kämpften mit Blicken!
Das Sprichwort ‚Wenn Blicke töten könnten', hat so eine ganz neue Bedeutung., schoss es mir durch den Kopf.
Doch wessen Blick gewinnen würde, worum auch immer sie kämpften, war unklar.
Das Gesicht der Krähe war unter der Kapuze verborgen, doch ich hörte hastige Atemzüge und ein leises Lachen. Ob das bedeutete, dass er gewann, oder, dass er verlor, wusste ich nicht.
Majikku's Blick war ungetrübt, klar und scharf, ihre blauen Augen waren tief und unergründlich wie das Meer. Doch trotzdem glaubte ich, Verachtung in ihrer Körpersprache zu sehen.
Ich riss die Augen auf.
Die Katze verachtete die Krähe! Ich konnte nicht mehr umhin, Majikku mit einer Raubkatze zu vergleichen. So, wie sie verächtlich auf Taurus hinunter starrte, konnte ich beinahe sehen, wie sie auf ihn sprang, seine Kehle zerfetzte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken und sich danach genüsslich und gelassen die Pfoten putzte. Hastig verschloss ich die Augen jedoch, bevor irgendjemand gesehen haben konnte, dass ich die Fassung verloren hatte und als ich sie wieder öffnete, hatte ich mich wieder unter Kontrolle.
Sollte ich, oder lieber doch nicht?
Ich entschied mich dagegen, etwas zu tun, außer, Majikku geriet in Gefahr. Also lenkte ich Linus etwas zurück in den Wald, band ihn an einen Baum und setzte ich mich an einen anderen Baum in der Nähe des Hengstes. Mit einem leicht kratzenden Geräusch zog ich einen meiner Dolche.
Dabei waren es eigentlich keine Dolche, sondern blanke Klingen, in der Form eines Flugdrachens mit denen Kinder gerne spielten. Grimmig betrachtete ich die Klinge, die überraschend leicht in meiner Hand lag. Aber vielleicht war die Klinge gar nicht so leicht, wie sie mir vorkam, sondern war nur so leicht, weil ich täglich trainierte. Diese Klinge, so leicht und beinahe unscheinbar, war eine Waffe.
Ein tödliches Werkzeug. Das Blut, was an der Klinge klebte und die leichten Kratzer, die sich in das Metall gegraben hatten, unterstrichen meine Behauptung. Neugierig, aber langsam, damit es nicht so auffiel, hob ich den Kopf und riskierte damit einen Blick in Richtung der 'Kämpfenden'. Doch wider Erwarten hatten sie sich kein Stück bewegt und starrten sich weiterhin an. Also senkte ich den Blick wieder auf die glänzende Klinge.
Mit einer umständlichen Bewegung zog ich einen der Lappen, die die Klinge wie eine Schwertscheide umschloss, aus meinem Ärmel. Die anderen vier folgten kurz darauf. Mit unter der Oberfläche brodelnden Gefühlen betrachtete ich die schmutzigen, zerrissenen und blutigen Lappen, mitsamt der Klingen. So viele Erinnerungen hingen an diesen fünf Stückchen Stoff, ebenso, wie an ihren Klingen. Schmerz- und qualvolle, demütigende, aber auch einige wenige erfreuliche Erinnerungen an die Vergangenheit. Langsam, beinahe liebevoll strich ich über eine Klinge, doch das Blut klebte nach wie vor fest. Entschlossen benetzte ich einen der Lappen mit meinem Speichel. Der Geschmack und der Geruch der meine Sinne überflutete, als meine Zunge den rauen Stoff berührte, ließ meine Nasenflügel beben.
Allerdings nicht vor Aufregung, sondern vor Wut.
Dieser Geruch... dieser Geschmack... er war mir so bekannt wie mein eigener... Nicht gut... Wenn sich die Katze nicht bald beeilte, würde ich diesen Aasfresser, diesen Unglücksboten einfach von hinten niederstechen, auch wenn mir mein Gefühl sagte, dass das am Ende mehr Schlechtes als Gutes bringen würde.
Mühsam putzte ich den Dolch zu Ende, doch Dank des Geruchs in meiner Nase und des Geschmacks auf meiner Zunge, konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Also packte ich die Lappen wieder so zurück, dass sie die Klingen umschließen und festhalten konnten und legte die Klingen vorsichtig hinein, wobei ich die Ketten, die unter dem Kleid an meiner Hüfte festgeschnallt waren, da sie dort anfingen, sorgsam in meinen Ärmeln verbarg.

Ich stand gerade wieder auf, als Taurus ansetzte:
"Der Magie wegen, natürlich!"
Ich jubelte innerlich.
Wenn er nachgab, indem er den Gesprächsfaden wieder aufnahm, hatte sie offensichtlich gewonnen. 
Da habt ihr sie, Aasfresser! Majikku, die Magierin, den Schlüssel der Prophezeiung und eine natürliche Kämpferin!, frohlockte ich.
"Magie, sicher?!"
Majikku hob eine Augenbraue, ihre Stimme triefte nur so vor Ironie.
Ich hörte, wie Taurus überrascht nach Luft schnappte.
Doch bevor er irgendetwas sagen konnte, sagte sie:
"Ich hatte schon so eine Ahnung, dass ihr verrückt sein müsst, aber Magie?! Dass ihr an Märchen glaubt, hätte ich nicht gedacht."
Jetzt schien sogar die, bei mir Würgereize hervorrufende, Krähe zu bemerken, wie sehr Majikku ihn verachtete.
"Du...! Mach nicht solche Scherze! Du besitzt selbst Magie, dass sieht sogar ein Blinder!"
Ich schnappte entsetzt nach Luft, legte mir aber sofort, erschrocken über diese viel zu offensichtliche Geste, die Hand vor den Mund.
Wie konnte er das wissen?! Diese Art zu sehen, brauchte viele Jahre konzentrierter Übung!
Sie jedoch, schüttelte den Kopf, ihre Augen wieder unleserlich und tief.
Im nächsten Moment schlich sich eine Spur Belustigung in ihre Stimme, als sie fortfuhr:
"Und selbst, wenn es so etwas wie Magie gäbe und ich sie besäße, könnte ich sie nicht kontrollieren. Und mit einer Magierin, die ihre Kräfte nicht kontrollieren kann, könntet ihr auch nichts anfangen."
Taurus wollte sie unterbrechen, doch sie sprach schon weiter:
"Wenn ich tatsächlich 'Magie' in mir haben sollte, warum habt ihr mich dann nicht einfach behalten?"
Die Krähe hörte sich zerknirscht an, als sie sagte:
"Das ist alles Lyla's Schuld! Hätte sie dich nicht so voreilig zu Sensei geschleppt, wärst du wahrscheinlich auch noch dort!"
"Lyla?"
"Die, die dich im Wald gefunden hat. Die Beschreibung von dir in der Prophezeiung passte perfekt, also nahm sie dich mit. Lyla schleppte dich sofort zu Sensei, doch er fand keine Magie in dir, warum auch immer."
Ich schwieg, denn ich wusste ja warum und ich war froh, dass Majikku ihre Magie bei dem ‚Angriff' auf Elias losgeworden war.
Majikku schien das Gleiche zu denken, denn ich sah für einen kurzen Moment Erleichterung in ihren blauen Augen aufblitzen.
Taurus fuhr fort:
"Wütend über Lyla's Unfähigkeit, sperrte Sensei dich in die Taube und hat wer weiß was sonst noch angestellt. Auf jeden Fall habe ich Lyla danach noch nicht wieder gesehen."
Er schauderte.
So ein Idiot, er zeigt uns sogar, dass er sich vor seinem eigenen Sensei fürchtet., dachte ich, ließ mir meine Verachtung aber nicht anmerken.
Taurus holte tief Luft und fuhr gefasster fort:
"Doch jetzt leuchtet die Magie wie ein Waldbrand in dir und deswegen werde ich dich mitnehmen, damit du bei Sensei um Gnade betteln kannst. Vielleicht lässt er es ja sogar zu, dass du für ihn arbeiten und diese räudigen Katzen töten kannst."
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
"Du...! Räudiger Aasfresser!"
Ehe ich's mir versah, hatte ich mein Vorhaben, nicht einzuschreiten, vergessen, zog zwei meiner Klingen und hängte sie hinter meinen Rücken.
Das Gewicht der Ketten und Klingen kaum spürend, fuhr ich fort:
"Wen nennst du hier räudig?! Lass mich raten; dich selbst?!"
Taurus fuhr herum und ich warf die linke Kette in einem großen Bogen über meinen Kopf auf seine rechte Schulter zu. Er zog einen Dolch, doch meine Klinge schlug ihm seinen Dolch aus der Hand.
Der Dolch flog auf Majikku zu und ich wollte schon zu ihr sprinten, doch die weiße Stute schien gewusst zu haben, was passieren würde. Sie bäumte sich auf und der Dolch grub sich mit einem dumpfen Geräusch in ihre Schulter und sie brach zusammen.
Majikku schrie auf, der beherrschte Gesichtsausdruck, für den ich sie bewundert hatte, war wie weggewischt.
"Nein!"
Ich zuckte zusammen, was nur selten passierte. Die Beiden schienen eine tiefere Verbindung zu einander aufgebaut zu haben, als zwischen Pferd und Reiter üblich. 
Sie steckt immer wieder voller Überraschungen., dachte ich. 
Was soll es bringen, sich mit einem Pferd zu befreunden?
Ich wusste es nicht.
Majikku rutschte herunter, sank vor der Stute zusammen und fing an zu weinen. 
Solange diese räudige Krähe noch lebt, kann ich nichts für ihr Pferd tun., dachte ich und stellte mich zwischen sie und Taurus, um eine Art Barriere zu sein.
Unangenehme Bilder blitzen dabei vor meinem inneren Auge auf, die ich versuchte, zu ignorieren, indem ich kurz energisch den Kopf schüttelte.
Es wäre problematisch, wenn Izanami das Pferd nicht wieder zusammenflicken kann., fiel mir ein, dankbar für die kurze Ablenkung, bevor Taurus' Lippen ein Lachen entfloh und er somit meine Aufmerksamkeit wieder beanspruchte.
"Das hast du toll gemacht, wirklich Kindchen! Jetzt bleibt sie, aus Sorge um ihr Pferd!"
Er weiß nicht, dass sie nicht weglaufen könnte?
Gut. Noch ein Vorteil. Dann sorge ich mal dafür, dass das auch ein Vorteil bleibt.
Mit einem energischen Ruck zog ich an der Kette und schwang sie mit einer lässigen Bewegung erneut hinter meinen Rücken.
Ich wartete. Ich wartete auf seinen Angriff.
Da zuckte seine linke Hand und er warf noch einen Dolch. Dieser fuhr nach rechts und sollte wohl einen Bogen machen, um meine Brust zu treffen, doch ich wiederholte meine schwungartige Bewegung und so lenkte ich seinen Dolch erneut aus der ursprünglichen Flugbahn. Das der Dolch diesmal zitternd in einem Baum steckenblieb, nahm ich kaum wahr, sondern riss die Kette wieder nach oben.
Eine sichtbare Welle ging durch die Kette, während sie sich gegen die Schwerkraft wieder nach oben arbeitete. Doch ich hatte das häufig geübt und zweifelte nicht an dem gewünschten Effekt. Jetzt riss ich die Kette wieder nach unten.
Taurus lachte und machte einen Satz nach links.
Das Lachen verwandelte sich in der nächsten Sekunde jedoch in einen herzzerreißenden Schrei, da er meine andere Klinge nicht beachtet hatte, die ich in derselben Bewegung neben seine linke Schulter geschwungen hatte.
Warum neben seine Schulter?
Weil ich diesen Satz zur Seite vorausgesehen hatte.
Ohne auch nur im Mindesten an Geschwindigkeit zu verlieren, grub sich die, sorgsam geschärfte, Klinge in seine Schulter und trennte den linken Arm von seinem restlichen Körper.
Blut spritzte in alle Richtungen und somit auch auf mich, doch ich zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Die Krähe jedoch, brach schreiend zusammen, während sie sich den Stumpf ihrer Schulter hielt.
Als ich kurz über die Schulter blickte sah ich, wie Majikku totenbleich an der Stute lehnte und sich mit dem Handrücken Erbrochenes vom Mund wischte.
Ihre blauen Augen schweiften über mein Gesicht, Entsetzen stand in ihnen, zusammen mit Angst und sie drückte sich stärker an ihre Stute.
Tja, daran wird sie sich gewöhnen müssen, dachte ich kalt. 
Das hier ist ein Kampf um Leben und Tod und kein Spiel. 
Langsam schritt ich auf Taurus zu, riss an den Ketten und die Klingen schnellten zurück in meine Hände. Die Schnitte, die ich mir dabei an den Händen zuzog, spürte ich kaum.
Er blickte auf, bleich vom Blutverlust und wollte aufspringen, doch mit einem gezielten Tritt in seine Leiste brachte ich ihn wieder zu Fall.
Verächtlich starrte ich auf ihn herab und ließ eine der Klingen einen Augenblick über seiner Brust schweben.
"Eigentlich verdienst du keinen schnellen Tod, aber wenn du nicht gleich stirbst, werde ich unleidig.", flüsterte ich und wusste, dass man die Blutgier in meiner Stimme klar und deutlich hören konnte.
Plötzlich hörte ich ein Sirren wirbelte herum.
Der Dolch, der von unten angeflogen kam, war schlecht gezielt und ohne ein großes Maß an Kraft.
Mit einer lässigen Bewegung von Okoyn, meiner Waffe, fiel der Dolch scheppernd zu Boden, ohne mich auch nur berührt zu haben. Meine Augen zuckten umher, doch ich sah den Angreifer nicht.
Wie ungewöhnlich. Normalerweise sah ich meine Widersacher sofort.
Erneut startete der oder die Unbekannte einen Angriff. Diesmal war der Wurf weniger energisch und noch schlechter gezielt, als vorher. Okoyn erledigte die Arbeit, als ich meine Gegnerin, die Majikku war, entdeckte.
Sie war auf allen Vieren bis zu Taurus' Arm gekrochen, bleich wie der Tod und voller Blut, drei Dolche lagen vor ihr auf dem Boden, einen Vierten hatte sie in der Hand. 
Taurus scheint Rechtshänder zu sein, mit den Dolchen in der linken Hand hätte er mich ununterbrochen angreifen können. Tja, aber aus Überheblichkeit hat er es nicht getan. Eine dumme, arrogante Krähe ist ja nicht einmal unterhaltsam. Noch ein Grund mehr, ihn loszuwerden., dachte ich noch, dann konzentrierte ich mich wieder auf Majikku.
"Du...? Warum?"
"Er gehört mir."
Ihre Stimme war wieder beherrscht, emotionslos und doch voller Autorität. 
Rache für ihr Pferd?
Früher hätte ich die Stirn gerunzelt, doch früher war Vergangenheit.
"Ist das eine Drohung?"
Ich betrachtete sie kalt, doch in mir brodelte es. 
Wie kann sie nur?! Wie kann sie mir nur die Erlösung abnehmen wollen, die mir Taurus' Tod nur bringt, wenn Okoyn ihn tötet?
"Nein. Nur eine Feststellung, nichts weiter."
Ich erwiderte:
"Das ist nicht wahr. Er gehört mir. Ich habe mir geschworen, jeden dieser Unglücksboten, jeden dieser räudigen Aasfresser, umzubringen."
Sie hob eine Augenbraue, ihre Stimme kalt wie Eis.
"Tatsächlich...?! Und du glaubst, dass mich dein Schwur davon abhalten wird, ihm eigenhändig seinen eigenen Dolch in die Brust zu rammen?!"
Ihre Stimme war emotionslos wie zuvor und ich bezweifelte, dass sie noch die Selbe wie vor wenigen Sekunden war, die sich beim Anblick seines abgetrennten Armes übergeben musste.
"Natürlich!", erwiderte ich laut, selbst etwas überrascht über die Heftigkeit meiner Reaktion. 
Halt den Rand! Du darfst nie zeigen, was du fühlst, schon vergessen? Idiot!
Erst danach fiel mir ein, dass sie ja nicht wissen konnte, was hier ein Schwur bedeutete. Wenn man hier, innerhalb dieser magischen Kuppe, etwas schwor, war man gezwungen, es zu halten, warum das so war, wusste ich allerdings nicht.
Aber klar war:
Wenn man seinen Schwur brach, starb man.
Und zwar nicht sofort, wie etwa bei einem Schwertstreich, sondern langsam und qualvoll wie bei einer Krankheit oder einem Gift. Die Stärksten schaffen es, eine Woche zu überleben, doch die meisten starben früher.
"Tja, da hast du dich wohl getäuscht!", erwiderte sie, nur leicht war die Wut in ihrer Stimme zu hören.
Ich schüttelte den Kopf, amüsiert über ihre Hartnäckigkeit. Aber die würde ihr am Ende sowieso nichts nützen, denn ich würde ihn zuerst töten.
Ich wandte mich wieder Taurus zu und wollte ihm alle fünf Klingen von Okoyn in die Brust rammen, doch er war weg!
Einfach weg! Wie hatte er das gemacht?! Mir entkam unbemerkt niemand! Aadil war eine Ausnahme.
Da sah ich die Blutspur und wollte ihr folgen, doch Majikku sagte:
"Ist das wirklich so gut, wenn du mich jetzt verlässt? Taurus könnte einfach versuchen, dich von mir weg zu locken, um mich mitzunehmen."
Ich zögerte.
Was sie sagte, klang plausibel, doch ich weigerte mich, es zu glauben.
Ich wollte ihn tot sehen. Nein, ich wollte sie alle tot vor mir sehen, verdammt! Sie hatten angefangen und würden jetzt die Konsequenzen tragen müssen, auch, oder gerade weil, sie ihren Tod beinhalteten!
Aber um das zu bewerkstelligen, musste ich mit dem Schlüssel der Prophezeiung und mit den Neko zusammenarbeiten.
Dennoch... Ich musste es wenigstens versuchen, das war ich meinem Schwur und meinem Stolz schuldig!
Ich wandte mich von ihr ab, sah sie nicht an, als ich die Schultern kaum merklich hochzog und mich einige Schritte von ihr entfernte.
"Nyoko?"
Ich ging schneller, versuchte, sie zu ignorieren.
"Nyoko!"
Ich wirbelte herum.
"Kuso!"
Ein japanischer Fluch, der übersetzt 'Verdammt!' hieß, der meine Lippen da verließ, bevor ich es verhindern konnte. Schon seit ich klein war, mochte ich die japanische Sprache und beherrschte deswegen einzelne Wörter und kurze Sätze. Inzwischen rollten mir deshalb häufiger japanische Ausdrücke über die Zunge, meist unterbewusst. Dieses Mal wusste ich allerdings ganz genau was und wieso ich das gesagt hatte.
Ich hatte geflucht, weil ich wusste, dass sie Recht hatte und weil ich ein starkes Ziehen in meiner Brust spürte. Die negative Auswirkung des Schwurs. Zum Glück hatte ich den Schwur vage genug formuliert, sodass dieser Schmerz mich nicht vergiften, mir aber einige Tage bleiben würde.
Auf einmal hörte ich ein dumpfes Geräusch und meine Augen fuhren zu Majikku.
Sie war mit dem Kopf auf dem Waldboden aufgeschlagen, doch das schien nicht ihr Problem zu sein. Die Magierin wälzte sich auf dem blutigen Boden und hielt sich die Schläfen, so als ob sie furchtbare Kopfschmerzen hätte.
Reflexartig sprang ich auf sie zu, packte sie an den Schultern, ihr Gesicht jetzt kopfüber und auf gleicher Höhe mit meinem und konnte sie noch an Ort und Stelle fixieren, bevor sich die Dolche, die immer noch am Boden lagen, in sie gegraben hätten. Doch ihr Kopf schwang immer noch hin und her.
"Naze desuka?!"
Übersetzt hieß es 'Warum?!'.
Kein ungewöhnliches Wort. Wie Majikku es allerdings sagen konnte, war mir unklar.
"Majikku? Majikku? Bist du in Ordnung?"
Sie stöhnte laut, doch plötzlich wurden ihre Bewegungen schwächer, bis sie gänzlich aufhörten. Trotzdem hielt sie sich immer noch die Schläfen. 

Die mit vielen NamenDove le storie prendono vita. Scoprilo ora