👼Rick(6)👼✔️

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Meine Augen sind so schwer.
Ich kann sie nicht öffnen und ich will sie auch nicht öffnen.
Es hat sich eh nichts geändert. Ich liege immer noch hier, in diesem stinkigen Kellerloch und werde vermutlich auch hier sterben.
Vermisst mich denn keiner?
Bin ich doch niemandem etwas wert?
Warum kommt niemand und rettet mich?

Meine Hand zuckt leicht, sie ist warm und wird gehalten.
Gehalten?
Ich atme durch die Nase und es riecht anders.
Es riecht nicht mehr muffig und nach Urin, es riecht sauber, klinisch sauber.

Meine Augenlider zucken und ich hebe sie an. Sie sind so schwer.
Ich sehe verschwommen, es ist hell.
Ich blinzel ein paar Mal und eine Stimme dringt in mein Ohr.
Eine Stimme, die ich gedacht habe niemals mehr zu hören: "Rick? Oh mein Gott, Mum Dad, Rick ist wach."
Das ist Henry. Eindeutig ist das Henry.
Mein Bruder.

Ich blinzel erneut, sehe dann schärfer und höre die Stimme meines Vaters: "Gott Junge endlich."
Ich schaue sie an, alle drei.
Mein Bruder hat Tränen in den Augen und drückt meine Hand so fest, das es fast schon weh tut.
Mein Vater steht an meinem Kopfende und streicht mir über mein Haar und dann fällt mein Blick auf meine Mutter.
Sie sieht nicht gut aus. Sie sieht wohl am schlechtesten aus.
Immer wieder wischt sie sich mit ihrer Hand die Tränen aus dem Gesicht, während sie mit ihrer anderen meine rechte Hand umschließt.
Sie beugt sich nach vorn und haucht mir einen Kuss auf die Stirn.

"Durst.", krächze ich ganz leise und kann nicht unterscheiden ob ich träume oder ob das hier wirklich passiert.
Mein Vater dreht sich weg und meine Mutter drückt die Bettfernbedienung. Ich spüre wie sich das Kopfteil hebt, bis ich zum Sitzen komme.
Dann hält mir Dad ein Glas hin und ich löse meine Hand aus Henrys, nehme das Glas und nippe mehrfach an dem Wasser.

"Bin ich frei?", frag ich und habe Angst, dass ich gleich aus diesem Traum aufwache.
"Ja mein Junge, du bist frei.", antwortet mir meine Mutter und wischt sich erneut ihre Tränen weg.
Henry hingegen drückt den Klingelknopf, mit dem man eine Krankenschwester ruft und schaut mich dann an.
Auch ich blicke zu ihm und dann fällt er mir um den Hals.
Mein Vater hat das wohl schon kommen sehen, denn er hat mir vorab das Wasserglas aus der Hand genommen.

Ich bin frei. Ich hab es geschafft.
Mein Bruder hält mich fest und ich merke wie mich diese Nähe erdrückt.
Vorsichtig schiebe ich ihn weg und sage dann: "Mir tut alles weh."
Dann öffnet sich die Tür und eine Krankenschwester kommt hinein.
"Hallo Rick. Schön dass du wieder wach bist.", meint sie, überprüft die Zahlen auf dem Monitor und sagt dann, beim Rausgehen: "Ich sage einem Arzt bescheid, damit er nach dir schauen kommt."
Ich nicke nur und sehe der Schwester dabei zu wie sie das Zimmer wieder verlässt.

"Ich bin wirklich frei?", frage ich, denn ich kann es immer noch nicht glauben.
"Ja du bist frei.", sagt nun mein Vater und ich lächel leicht.

Zwei Tage liege ich jetzt hier in diesem Krankenhaus.
Die Polizei war noch am selben Tag, da, an dem ich aufgewacht bin und hat unter dem Beisein meines Vaters meine Aussage aufgenommen. Nichts detailliertes, nur wie ich in diese Situation gekommen bin. Alles andere, so sagte Detective Voight, machen wir, wenn ich genesen bin und aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Mein Bruder und mein Vater kommen mehrmals täglich, wechseln sich ab und manchmal ist Kenai oder Wyatt mit dabei und bringt mir meine Lieblingscupcakes mit. Ich liebe seine Vanillemuffins mit Pistaziencremetopping.
Meiner Mutter tut es sehr leid, dass sie nicht kommen kann, aber sie kämpft sich gerade durch ihren nächsten Morbus Crohn Schub. Diese beschissene Krankheit.

Bryan, Lorenzo und auch die anderen Jungs der Band Spike waren hier und haben nach mir gesehen.
Danach mussten sie Autogramme geben, da einige Patienten und Angehörige, hier auf der Station, sie erkannt haben. Aber das ist nicht schwer, sie sind ja doch sehr berühmt.

Alle waren sie da, alle, bis auf einen. Knox.

Gerade ist mein Dad wieder zu Besuch und hat Wyatt mitgebracht.
Sie erzählen von ihrem Zusammenleben und ich esse gerade einen der besagten Cupcakes.
Ich kann ihrem Gespräch nicht folgen, meine Konzentration ist nicht da. Sie ist so schlecht, seitdem ich wieder frei bin.
Manchmal ist es, als würde ich alles wie durch Watte wahrnehmen, als sei ich wach und doch irgendwie nicht.

"Dad.", unterbreche ich ihn und er schweigt sofort, dann fahre ich fort: "Kannst du mir Chips aus dem Kiosk holen?"
Kurz runzelt er die Stirn, doch nickt dann.
"Ich bin gleich zurück.", sagt er und verlässt den Raum.
Endlich hab ich ein paar Minuten mit Wyatt. Ich hoffe er kann mir helfen.

"Wyatt," beginne ich und der pummelige Mann setzt sich auf meine Bettkante.
Was findet mein Vater nur an ihm?
"Was hast du auf dem Herzen?", fragt er und nimmt meine Hand zwischen seine Speckfinger.

Warum denke ich so gemein? Er hat mir doch nichts getan.
Mir wird schlecht und ich ziehe meine Hand aus der von Wyatt, dann sage ich: "Wo ist Knox?"
Wyatt legt seine Hände in den Schoß und senkt seinen Kopf.
Ich spüre ein Gefühl, das in mir aufkommt.
Ein Gefühl was ich nicht greifen kann, aber das kann auch daran liegen, dass ich, seitdem ich frei bin, innerlich wie tot bin.

"Wyatt?", frage ich und meine Stimme beginnt leicht zu beben: "Wo ist Knox?"
Er reagiert nicht und sitzt einfach nur da. Dieser moppelige Kerl sitzt mit seinem dicken Hintern auf meinem Bett und sagt einfach nichts.
Wyatt greift erneut nach meiner Hand, schaut mich dann endlich wieder an, doch ich reiße meine Hand von seiner los, will nicht dass er mich anfasst. Ich will nicht das mich überhaupt jemand anfasst.

"Rick, Knox geht es gut soweit. Mach dir keine Sorgen.", beginnt er und dann öffnet sich die Tür.
Freudestrahlend tritt mein Vater in den Raum, wedelt mit einer Tüte Chips und sagt: "Ich hoffe du magst die Sorte."
Wie egal mir das ist. Ich wollte ihn doch nur los werden, ihn und seine väterliche beschissene Fürsorge, um mit Wyatt zu sprechen, doch der hat es verbockt.
Ich will mein Vater nicht fragen wo Knox ist, ich will es einfach nicht, denn ich glaube in mir drin zu wissen, dass mein Dad ihm die Schuld an allem gibt. Ich will genau das nicht hören, ich will nicht sehen wie mein werter Vater versucht mir scheinheilig zu erklären warum Knox nicht da ist. Ich will nicht, dass er das tut und ich will auch nicht dass er mich diesbezüglich anlügt.

"Ja, danke Dad.", sage ich leise und nehme ihm die Tüte Chips ab, schaue zwischen den beiden hin und her und bin froh das mein Vater so sehr mit mir beschäftigt ist, dass er anscheinend nicht mitbekommt dass es dem dicken Wyatt gerade nicht so gut geht.
"Geht jetzt. Ich will allein sein!", sage ich und bin über mich selbst erschrocken, wie harsch meine Stimme klingt.
"Aber... .", beginnt mein Vater und ich übergehe ihn, sage diesmal etwas lauter: "Jetzt geht endlich."

Sie tun es, nach einer kurzen Verabschiedung und lassen mich endlich allein.
Warum verdammt, habe ich kein Handy mehr?
Mein Altes haben die Garcias' mir abgenommen und seitdem habe ich noch kein neues bekommen, denn mein Vater und auch meiner Mutter sind der Ansicht, das ich mich im Krankenhaus erstmal erholen soll und dann wenn ich wieder nach Hause komme, sie dann gemeinsam mit mir ein neues kaufen.

Hätte ich doch nur ein Handy, dann würde ich Knox kontaktieren und ihn bitten zu mir zu kommen, denn irgendwas in mir drin sagt mir, dass er derjenige ist, der mich wieder zum Leben erwecken kann. Irgendwas sagt mir, dass es vielleicht bei ihm klappen könnte mich berühren zu lassen, denn bei allen anderen fühle ich Ekel, Beklemmungen und Hass.

You don't own me - Darkness over meWhere stories live. Discover now