15. Reale Welt und Vision

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Die Drachenreiter kämpften allesamt tapfer gegen die Drachenjäger an. Sie wollten auf keinen Fall zulassen, dass die Männer mit ihrem Plan, den wilden Drachen ihrer Freiheit zu berauben, durchkamen. Die Zwillinge kümmerten sich weiterhin darum, die ganzen Käfige am Deck zu öffnen, damit die Drachen flüchten konnten. Gerade war Raffnuss damit beschäftigt, das Schloss eines Käfigs mit einem Gronkel darin zu knacken. ,,Nadel rein, etwas drehen, ein Stückchen raus, wieder drehen...“, summte Raffnuss. Sie verwendete eine Haarnadel, um den Käfig zu öffnen. Ihr Bruder machte sich an irgendeinem anderen Käfig zu schaffen. ,,Ich, Raffnuss, die Meisterin des Schlossknackens“, sagte sie zufrieden zu sich selbst. Auf einmal fühlte sie, wie sie an der Schulter grob zurückgezogen wurde. ,,Hey, ich hatte das Schloss fast!“, schrie die Blondine, merkte aber dann, dass sie von einem der Drachenjäger zurückgehalten wurde. Sein Anblick brachte Raffnuss sofort zum Grinsen. ,,Oh, Raffnuss gefällt was, sie sieht“, schwärmte sie, worauf die Wache einen verwirrten Gesichtsausdruck annahm. Die Blondine legte sich die Hand an ihr Kinn und begutachtete den Wikinger genau. ,,Okay, ich bräuchte dann nur dein Alter und deinen Namen“, fuhr sie fort, was den Feind noch mehr überforderte. Doch er fasste sich gleich wieder und hob dann bedrohend seine Axt an, bereit, Raffnuss damit anzugreifen. ,,Hey, das ist nicht nett!“, schrie Raffnuss und man konnte tatsächlich an ihrer Stimme und ihrem Gesichtsausdruck feststellen, dass sie sich gekränkt fühlte. Raffnuss eben.
Der Drachenjäger holte noch mehr aus und wollte dann auf die Berkianerin einschlagen, doch etwas oder bessergesagt jemand stellte sich dazwischen. Astrid drückte mit aller Kraft ihre Axt gegen seine und schenkte ihm einen ernsten, wütenden Blick. An ihre Freundin gerichtet, die hinter ihr stand, rief die Kriegerin: ,,Raff, wir sind nicht hier, um zu flirten!“ ,,Pah“, gab Angesprochene beleidigt von sich, nachdem sie sich von der plötzlichen Aktion gefasst hatte. ,,Du hast leicht reden. Du hast bereits einen Freund!“ Astrid stieß die Wache mit einem Ruck von sich weg und wandte sich kurz Raffnuss zu. Ihr wurde mal wieder klar, dass die Zwillingsschwester die Situation überhaupt nicht ernst nahm. ,,Wenn du unbedingt willst, kannst du dich nachher beschweren, aber jetzt befreie erst mal die Drachen!“ Dann musste die 21-Jährige den nächsten Angriff des Drachenjägers abfangen. ,,Okay, okay“ murrte Raffnuss und drehte  sich wieder zu den Käfigen. Astrid hatte den Gegner bereits besiegt und rannte auf die andere Seite des Schiffes, um gegen die anderen auch noch zu kämpfen. Raffnuss machte sich wieder an das Schloss, doch plötzlich kam sie auf einen Gedanken. ,,Hey, Astrid, seit wann bist du eigentlich-“, wollte sie fragen, doch bemerkte dann, dass ihre Freundin bereits weg war. Sie zuckte ihre Schultern und drehte sich wieder um.
Astrid stieß einen der Feinde weg und schlug gleich darauf auf einen anderen ein. Drei gegen einen, wie unfair gegenüber den Drachenjägern. Mit dem Gedanken grinste Astrid und warf die beiden mit einem Axtschwung zu Boden. Sie war ganz hinten auf dem Schiff, keiner der anderen Drachenreiter war in ihrer Nähe. Nie hätte die Blondine gedacht, dass dies so fatale Auswirkungen haben könnte. Denn immerhin hätte Astrid die 3 Wachen dort locker alleine erledigt, doch nicht, wenn sie eine Vision hatte. Genau dies war aber der Fall.
Eine Welle von Panik durchflutete Astrid, als sie auf einmal nur noch Rot sah. Doch, sie sah genau dasselbe wie vorher. Sie sah die Drachenjäger, wie sie sie angriffen. Aber es war doch eine Vision, da sah Astrid immer etwas anderes. Eine Wache stürmte auf Astrid zu und holte mit seinem Schwert aus. Die Kriegerin machte sich blitzschnell für den Angriff bereit und hielt ihre Axt vor sich. Doch auf einmal hörte die Vision auf. Das Rot verschwand und der Drachenjäger vor ihr ebenso. Es war zwar einer da, aber es war ein anderer als in der Vision und stand etwas weiter entfernt. Dann spürte Astrid einen harten Schlag in ihren Rücken, was sie erstickt aufkeuchen ließ, und fiel nach vorne. Sie kam hart am Boden auf, konnte sich aber nicht erholen, da die Wache, die vor kurzem noch etwas weiter weg gestanden war, nun vor ihr stand und auf sie einschlug. Also wich Astrid geschickt aus und sprang auf die Beine. Sie gab der Wache hinter sich einen Tritt, der vor sich einen Schlag ins Gesicht und wollte gerade auch die dritte Wache angreifen, doch plötzlich verschwamm wieder alles und sie sah Rot. In der Vision befand sich keine Wache vor sich. Sie war nicht mehr da und Astrids Axt war auch nicht mehr in ihren Händen. Generell sah die Blondine ihre Hände nicht, überhaupt nichts von ihrem Körper. Nur das Geschehen vor ihr. Bei genauerem Hinsehen bemerkte Astrid, dass es ein anderes Schiff war, auf dem sie stand. So schnell die Vision gekommen war, war sie auch wieder weg. Die Berkianerin blickte auf den Drachenjäger vor sich. Er hatte sie nicht angegriffen, sondern musterte sie nur mit verwirrtem Gesichtsausdruck. Er musste wohl bemerkt haben, wie komisch sich Astrid ganz plötzlich verhalten hatte. Sie hatte sich ganz plötzlich nicht mehr bewegt. Hicks hatte auch etwas davon erzählt, dass Astrids Gesichtsausdruck komisch besessen wirkte, wenn sie eine Vision hatte.
Anders als die Wache regte die junge Frau sich nun und schlug auf sie ein, dann wandte sie sich den anderen zwei Wachen zu, die sich wieder aufgerichtet hatten. Doch genau in dem Moment setzte wieder die Vision ein. Eine Wache rannte auf Astrid zu und diese wich schnell aus, um nicht von ihrem Schwert getroffen zu werden. Dann sah sie wieder normale Farben und die zwei Wachen etwas weiter links von ihr. Nun wurde sie von allen drei Wachen verwundert angeschaut. Es musste echt merkwürdig aussehen, wenn Astrid einfach irgendwelche Bewegungen machte, ohne Grund. Doch die Visionen fühlten sich so echt an. Die Wikingerin könnte gar nicht anders, als in der Vision zu leben, wenn sie da war, und eben zum Beispiel einem Angriff in der Vision auszuweichen.
So ging es nun für einige Momente. Astrid bekam jede paar Sekunden eine Vision, wirbelte während diesen verwirrt um sich, da sie dachte, das Geschehen in der Vision würde sich tatsächlich vor ihr abspielen. Die Wachen probierten manchmal Angriffe, doch Astrid hatte immer knapp Glück, konnte gerade noch aus der Vision aufwachen und ausweichen.
Es war alles so verwirrend, genauso wie auf der Insel mit den Wechselflüglern. Manchmal war Astrid in der realen Welt auf diesem Drachenjäger-Schiff, dann auf einmal war sie auf einem ganz anderen Schiff in ihrer Vision. Es bereitete Astrid Kopfschmerzen, so wie immer.
Irgendwann waren die anderen Drachenreiter fertig damit, die Feinde zu bekämpfen. Sie hatten alle besiegt. Diese lagen völlig erschöpft und kampfunfähig am Boden. Auch alle Drachen waren aus ihren Käfigen befreit worden. Doch da sie vom Ende des Schiffes noch Kampfgeräusche hörten, rannten sie dort hin, um zu helfen. Dann sahen sie es. Die Gruppe blieb kurz stehen und sah dem Ganzen zu. Sie bekamen mit, wie Astrid einfach durch die Gegend mit ihrer Axt schlug, obwohl die Drachenjäger dort nicht standen. Oft schien sie einer Attacke auszuweichen, doch es fehlte die Attacke. Die ganze Zeit nur falsche Bewegungen. Während die Drachenreiter alle verwirrt zusahen, wusste Hicks sofort, was los war. ,,Leute, Astrid eine Vision! Schnell, wir müssen ihr helfen!“, schrie er und rannte in den Kampf. Seine Freunde verstanden sofort und folgten ihm. Während sie sich um zwei der Wachen kümmerten, drang Hicks zu Astrid vor, so schnell er konnte. Diese kämpfte gegen die dritte Wache, während sie sich teilweise in der Vision befand. Hicks wollte nichts Anderes, als dass Astrid sich nicht verletzte. Doch es war zu spät. Die Blondine war anscheinend gerade in eine Vision gekommen und der Drachenjäger schlug sofort auf sie ein. Ein Schnitt auf ihrem linken Arm entstand. Sie fiel vor lauter Überraschung zur Seite. Die Wache wollte sie nochmal angreifen, doch Hicks stellte sich sofort dazwischen. Er wollte mit seinem Schwert abwehren, doch die Wache schlug es ganz einfach weg. ,,Ohnezahn!“, rief der Wikinger sofort und ein Plasmastrahl des Nachtschattens, der direkt neben dem Kampf stand, warf den Drachenjäger von Bord. Kurz blickte Hicks zu den anderen Drachenjägern. Seine Freunde hatten sie besiegt. Gleich darauf kniete Hicks sich zu seiner Freundin runter.
,,Bist du wieder wach?“, lautete seine erste Frage. Astrid blinzelte und schaute verwirrt zu ihrem Freund auf. Dann nickte sie, was Hicks ihr gleichtat, nur auf eine sehr nervöse Art und Weise. ,,Wie schlimm ist es?“, lautete die zweite Frage. In seiner Stimme lag Panik. Er sah sich besorgt Astrids Verletzung am Arm besser an. Sie blieb stumm, aber hätte auch nichts sagen müssen. Denn Hicks sah sofort, dass die Wunde ziemlich tief war. Astrid verlor nach und nach etwas Blut, es musste vermutlich höllisch wehtun. ,,Verdammt!“, fluchte Hicks und rannte schnell zu Ohnezahn. Er holte ein Tuch aus der Satteltasche, ließ sich wieder neben Astrid nieder und drückte es gegen ihre Verletzung. Die Blondine schloss angestrengt ihre Augen. Nicht nur war da diese Wunde, sie hatte auch unheimliche Kopfschmerzen. ,,Genau aus diesem Grund habe ich dich zu Hause gelassen“, meinte Hicks. Seine Stimme klang nun extrem verzweifelt. Er hasste es über alles, seine Freundin in Schmerzen zu sehen, egal was für welche. ,,Ich habe dir das Leben gerettet“, brachte sie schwach unter Schmerzen hervor. Fischbein kam mit Kraut, das er aus Sturmpfeils Satteltasche gefischt hatte, angelaufen. Astrid nahm es dankbar entgegen und verschlang es sofort. ,,Geht's wieder? Kannst du aufstehen?“ Hicks streckte seine Arme nach vorne, um Astrid beim Aufstehen zu helfen, doch sie ignorierte ihn und machte es ohne seine Hilfe. ,,Ich hab was am Arm, nicht an meinem Bein“, teilte sie Hicks mit. ,,Ja, aber dein Kopfweh“, wendete er ein. ,,Ich hab keins mehr“, meinte Astrid knapp. Hicks wusste genau, dass dies nicht der Fall war, doch es war typisch Astrid, ihre Schwächen nicht zu zeigen. ,,Okay“, sagte Hicks. ,,Dann fliegen wir jetzt so schnell wie möglich nach Berk zurück und lassen dich von Gothi versorgen. Dann sehen wir weiter.“ Die Drachenreiter nickten auf seinen Beschluss. ,,Ihr habt hoffentlich eure Lektion gelernt“, sagte Hicks noch an die am Boden liegenden Drachenjäger gerichtet. Diese stöhnten nur vor Schmerz. Dann hoben die Berkianer auf ihren Drachen ab.

Hiccstrid ~ Rote Bilder ✅Where stories live. Discover now