10. Gefängnisausbrechkünstlerin

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,,Astrid?" Die Wikingerin kniff ihre Augen zusammen, öffnete sie aber nicht danach. ,,Astrid." Sie murrte kurz und bewegte ihren Kopf etwas. ,,Astrid", kam es wieder. Es war eine Stimme, die aber sehr leise und gedämpft klang. Die Blonde wusste nicht, von wo sie kam.
Es brauchte einen Moment, um die Augen zu öffnen und alle Sinne wieder zum Arbeiten zu bringen. Das erst einmal gemacht, realisierte Astrid, dass sie in einem Bett lag und Hicks direkt neben ihr am Bettrand saß. Er sah so besorgt aus. Kurz wusste Astrid nicht, warum, dann fiel ihr wieder das Geschehen der ganzen Woche ein, auch das von der Insel mit den Riesenhaften Alpträumen.
,,Hicks, willst du gar nichts sagen?", fragte sie etwas unsicher, nachdem sie eine lange Stille erduldet hatte. Hicks' Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln, das Traurigkeit zeigte. ,,Ich weiß aber nicht, was ich sagen soll." Astrid hielt ihren Blick noch ein paar Sekunden auf ihm, bis sie sich abwandte und an die Decke starrte.
Nach diesem weitern kurzen Schweigen richtete sich die 20-Jährige auf. Sie bemerkte sofort ihr Kopfweh, Hicks ebenfalls. ,,Hier", sagte er und reichte ihr Kräuter, die am Kasten daneben gelegen waren. ,,Danke", kam die Antwort gleich darauf. ,,Okay, ich denke, du weißt, was jetzt kommt", sagte Hicks. Astrid nickte. ,,Aber nur, wenn du bereit bist. Falls du noch verwirrt bist von den Kopfschmerzen oder-" Astrid unterbrach ihn. ,,Nein, es geht schon. Im Prinzip kann ich dir nicht sehr viel mehr erzählen, als du bereits gesehen hast. Ich weiß nicht, was los war. Keine Ahnung, warum ich auf einmal so Schmerzen hatte." ,,Was für Schmerzen waren es?", fragte Hicks. ,,Eigentlich hat mein ganzer Körper auf einmal wehgetan. Am meisten mein Kopf. So wie sonst eben Kopfweh, nur schlimmer. Ich hab mich nicht mal auf den Beinen halten können und hab nichts um mich mitbekommen." Astrid merkte, wie Hicks sich versteifte und seine Miene sich veränderte. ,,Mach dir keine-", wollte sie ihn besänftigen, doch er man ihr dazwischen: ,,Nein, Astrid, sag es gar nicht erst. Ich mache mir Sorgen. Ich mache mir verdammt viel Sorgen. Du hättest dich da sehen müssen. Du bist voller Schmerzen am Boden gelegen, hast nichts mehr von der Außenwelt wahrgenommen. Ich habe fast gedacht, das wär's jetzt!" Astrid schwieg kurz, bevor sie sprach: ,,Im Moment fühle ich keine Schmerzen mehr. Es geht mir gut." Sie beobachtete kurz Hicks' Prozess, in dem er sich langsam entspannte oder es zumindest versuchte. Er wirkte trotzdem nicht begeistert. Wie sollte er auch in dieser Situation?
Aus diesem Grund rutschte Astrid näher an ihn heran. Sie legte ihre Arme um seine Schultern und zog ihn an sich. ,,Ich bin da, heil und gesund", flüsterte die Wikingerin. ,,Aber wir wissen nicht, wie lange noch", seufzte Hicks und legte seine Arme um seine Freundin. ,,Was ist, wenn das Ganze tödlich für dich ist? Wenn du mal so viele Schmerzen haben wirst, dass...dass" Der junge Mann brach ab. Er konnte gar nicht anders. Er wagte nicht, diesen Gedanken auszusprechen, es war viel zu schrecklich. Astrid merkte nicht nur an Hicks' brüchiger Stimme, sondern auch daran, dass er seine Finger in ihr Oberteil grub, wie verzweifelt er war.
Eigentlich wusste Astrid selbst nicht weiter. Sie war genauso verzweifelt wie er und hatte keine Ahnung, was mit ihr geschehen würde. Die 21-Jährige hatte auch den Verdacht, dass es tatsächlich tödlich für sie enden könnte.
,,Es wird nichts mit mir passieren", flüsterte sie trotzdem und fuhr sanft mit ihren Fingern durch Hicks' Haare. ,,Wir haben uns schon in so vielen lebensgefährlichen Situationen befunden. Wir hätten so oft draufgehen können. Aber wir haben es doch immer da raus geschafft, oder? Sonst wären wir nicht hier." ,,Ja, aber-", wollte Hicks dennoch protestieren, aber Astrid löste die Umarmung und legte einen Finger auf seine Lippen. ,,Kein Aber", besänftigte sie ihn und ersetzte schließlich den Finger mit ihren Lippen. Der erste Kuss dauerte nur kurz. Astrid hielt Hicks' Kinn mit ihren Fingern und schaute ihm tief in die Augen, ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. ,,Hörst du? Ich werde nicht so einfach draufgehen. Ich bin sehr verletzt, dass du das von einer Hofferson denkst", sagte sie mit ernster Stimme, doch Hicks erkannte sofort den Spaß darin, was ihm ein Lächeln entlockte. Er erwiderte: ,,Noch dazu von Astrid Hofferson. Ich weiß, ich bin schrecklich." Dann trafen sich ihre Lippen erneut. Hicks fuhr mit seinen Händen über ihren Rücken, Astrid streichelte seine Wange.
Nachdem sie den Kuss beendet hatten, informierte sich Hicks: ,,Weißt du noch, was du in der Vision gesehen hast?" Sie nahmen sie Hände voneinander und Astrid lehnte sich wieder gegen die Holzwand des Bettes. ,,Ja. Ich hab eine Höhle gesehen." ,,Eine Höhle?" Hicks zog die Augenbraue hoch. ,,War es die, neben der du gesessen bist?" Astrid überlegte kurz. ,,Nein, die Höhle in der Vision hat ganz anders ausgesehen und bestand auch aus anderem Gestein." ,,Okay, verstehe. Dann werde ich morgen noch mal zu der Insel fliegen, nach einer anderen Höhle und anderen merkwürdigen Dingen Ausschau halten." ,,Wie jetzt?" Astrid stockte. ,,Du willst dort alleine hinfliegen?" ,,Ja, wieso nicht?" ,,Ich komme mit", meinte Astrid entschlossen. ,,Nein, sicher nicht! Sonst brichst du wieder vor dieser Höhle zusammen!", mahnte Hicks ernst. ,,Es war nur Zufall, dass ich vor dieser Höhle die Vision hatte." ,,Jaja, red's dir schön ein. Mich kannst du nicht davon überzeugen. Ich werde dort morgen alleine hinfliegen. Sollte dir etwas passieren, wärst du auf Berk, wo Gothi dir sofort helfen kann." Astrid blickte ihren Gegenüber misstrauisch an. Die Drachenreiterin wusste, dass er Recht hatte, aber sie wollte mitkommen. Sie hasste es, Hicks alleine wo hingehen zu lassen. Klar, er hatte Ohnezahn, aber es konnte immer irgendetwas passieren.
,,Nimmst du die anderen mit?", fragte Astrid. ,,Nein, ich fürchte, mit denen wird's nur zu chaotisch. Fischbein wäre noch hilfreich, aber die Zwillinge und Rotzbakke würden sofort Wind davon bekommen." Astrid musste kurz lachen. ,,Ja, verstehe ich." ,,Und du verstehst auch, wenn ich nicht möchte, dass du mitkommst, auch wenn ich deine Gesellschaft normalerweise sehr genieße." ,,Nein, das verstehe ich ganz und gar nicht. So langsam glaube ich, du triffst dich da heimlich mit einem anderen Mädchen", behauptete Astrid, wobei man den Sarkasmus deutlich heraushören konnte. Hicks stieg darauf ein: ,,Oje, ähm, da musst du dich vertan haben. Ich treffe mich nicht mit einer anderen. Bestimmt nicht." Er ließ es so wirken, als würde er sich ertappt fühlen. Astrid setzte eine gekränkte Mine auf. ,,Ach, vergiss es, Hicks. Du hast eine andere. Aber ich hab dich sowieso auch schon seit so einem Jahr betrogen, also passt das für mich." ,,Na, dann. Alles gut." Beide begannen, zu lachen. Dann nahm Hicks Astrids Hand. ,,Also verstehst du's." Sie antwortete: ,,Ja, ich verstehe, dass du eine andere magst." Hicks musste kurz lachen und wiederholte dann mit Nachdruck: ,,Also verstehst du's?" ,,Ja, ja, ich verstehe es schon. Du kannst in Ruhe zur Insel fliegen, ohne dich von mir verfolgt zu fühlen. Ich werde auf Berk bleiben." ,,Sehr gut. Ich wusste ja, dass ich dich überreden werde", meinte Hicks und gab der jungen Frau einen Kuss auf die Wange. ,,Hey, übertreib mal nicht. Ich kann meine Meinung noch immer ändern und dir doch folgen", sagte Astrid drohend. ,,Willst du darauf hinaus, dass ich dich am Schluss im Kerker einsperre, damit du Berk nicht verlässt?" ,,Pff", lachte Astrid. ,,Du und mich einsperren? Sicher nicht. Da brech ich ja mit Leichtigkeit aus." ,,Du bist eine wahre Gefängnisausbrechkünstlerin." ,,Natürlich. Astrid, die Gefängnisausbrechkünstlerin."

So kam es also, dass Hicks es geschafft hatte, Astrid zu überreden, auf Berk zu bleiben. Während diese noch gemütlich in ihrem Bett schlief, machte Hicks sich auf Ohnezahn auf den Weg zu der Insel. Der Grund, warum er so früh schon losflog, war, dass er nicht von den anderen Drachenreitern bemerkt werden wollte. Die Sonne war schon längst aufgegangen, aber Fischbein, Rotzbakke und die Zwillinge waren allesamt Langschläfer. Er kam auf der Insel circa zur Mittagszeit an. Sein Ziel beruhte nur darauf, Astrid zu helfen.
Hätte er nur gewusst, was mit ihr an diesem Tag passieren würde, während er nicht da war.

Hiccstrid ~ Rote Bilder ✅Where stories live. Discover now