Kapitel 15

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Wenn du dir Adelaide King vor zwei Jahren angesehen hättest, hättest du ein fröhliches kleines Mädchen mit zwei Eltern, die sie sehr liebten gesehen. Sie hätte lange blonde Haare und ein Lächeln, dass immer in ihr Gesicht eingraviert war.

Jetzt war sie still und verschlossen. Sie lächelt nur, wenn sie mit Anne oder Gilbert zusammen ist, und das ist selten.

Sie hasste es.

Adelaide verachtet die Person, zu der sie geworden ist absolut, aber was konnte sie dagegen tun? Sie war ein verängstigtes junges Mädchen, dass nicht genug Emotionen hatte, um eine Person zu sein. Sie hatte Angst, Menschen zu verlieren, die sie liebte, sie hatte Angst, eine Enttäuschung zu sein, und vor allem hatte sie Angst, sich selbst zu verlieren.

Das einzige, was Adelaide nicht fürchtete, war der Tod. Sie wusste, dass er kam und ging wie die Flut, und das er unvermeidlich war. Der Tod wäre immer da, um zuzuschlagen. Es war das einzige, worauf man sich verlassen konnte.

Leider hat der Tod einen Bewohner von Avonlea aus dieser Welt gerissen: John Blythe. Der Tod war nicht nett zu ihm, nein. Sein Tod dauerte lange. Vielleicht war das in gewissem Sinne gut.

Adelaide war nicht schockiert, als sie herausfand, sie wusste, dass es bald passieren würde. Sie hat eine Träne vergossen, aber nicht wegen John. Sondern Gilbert. John brauchte ihre Träne nicht, er war jetzt an einem besseren Ort. Es war der Junge, der ohne Familie auf dieser Erde zurückgeblieben war, der ihre Träne brauchte.

Adelaide strich ihr dunkles Kleid glatt. Ihre Haare wurden mit einem Band aus ihrem Gesicht gehalten als sie versuchte, präsentabel auszusehen. Sie wusste, dass Gilbert heute nicht mit ihr reden wollte, aber sie hatte das Gefühl, dass er es verdiente, dass sie für ihn da war.

"Bist du schon fertig?" Schrie Alice die Treppe hinauf. Adelaide schnürte sich die Stiefel, bevor sie zu ihrer Mutter rannte.

"Ja, lass uns gehen." Antwortete sie knapp.

Das Duo traf sich mit dem Rest der Stadt, die in ähnlich deprimierenden Kleidern gekleidet war. Sie gingen alle langsam hinter der Kutsche her. Darauf stand ein Sarg, darin lag John Blythe. Adelaide konnte Gilbert ganz vorne sehen, und selbst aus dieser Entfernung konnte sie sehen, wie starke schmerzen er hatte. Er stapfte neben der blonden Krankenschwester entlang und führte die Gruppe Menschen an, die um den Tod seines Vaters trauerten.

Adelaides Tempo war gleichmässig und sie seufzte, als die Menschenmasse endlich die Begräbnisstätte erreichte, die direkt hinter dem Blythe-Haus lag. Ein paar andere Gräber wurden hieher verlegt, damit John nicht der einzige hier sein würde. Sie hielt den Kopf gesenkt, als der Priester sprach. Sie konnte niemandem in die Augen sehen, nicht einmal Gilbert. Schon gar nicht Gilbert.

Sie konnte nicht zulassen, dass die Leute die Wahrheit erfuhren, die direkt hinter ihren smaragdgrünen Augen lag. In Wirklichkeit war sie nicht traurig wegen John. Sie war eifersüchtig.

Adelaide konnte nicht glauben, dass sie das dachte, aber sie war eifersüchtig, dass John ein gutes Leben geführt hatte und friedlich gestorben war. Adelaide dachte darüber nach, wie einfach es wäre, zu sterben und wie viel Schmerz es ihr nehmen konnte.

Die krankhaften Gedanken gingen ihr durch den Kopf, als sie plötzlich eine feste Umarmung erhielt. Als sie die roten Haare sah, entspannte sie sich und und umarmte zurück.

"Hallo Anne." Sagte Adelaide mit trauriger Stimme. Anne liess sie los und sah ihre blonde Freundin in ihre leblosen Augen.

"Oh, Adelaide, ist es nicht schrecklich? Wie furchtbar muss sich Gilbert fühlen! Obwohl er zumindest Zeit mit seinem Vater verbringen konnte. Ich habe meine Eltern nie kennengelernt, sie sind gestorben, als ich noch ein Baby war." Adelaide legte ihren Arm um Annes Schultern, um sie zu beruhigen. Dann legte Adelaide den Kopf auf die Schulter der Rothaarigen und schloss die Augen. Sie hörte den freundlichen Worten des Priesters zu und zuckte fast zusammen, bei dem Gedanken, wie unehrlich sie waren. Er meinte kaum etwas, von dem, was er sagte. Er kannte John Blythe nicht so gut, wie er behauptete. Niemand kennt wirklich jemanden ausser sich selbst.

Nachdem er fertig war, gingen alle zum Empfang ins Haus. Adelaide blieb zurück, um mit Gilbert zu sprechen. Ihr Herz brach noch mehr, als sie sah, wie seine Augen den grössten Teil ihres Funkelns verloren hatten. Er sass auf der Bank und starrte ins nichts. Adelaide setzte sich neben ihn und wartete einige Sekunden, bis sie sprach.

"Ich weiss besser als jeder andere, dass Mitleid das Letzte ist, was du gerade brachst oder willst. Alles was ich sagen werde, ist, dass ich für dich da bin. Ich kann dir zuhören oder mit dir reden oder was auch immer du brauchst. Ich dachte du solltest einfach wissen, dass ich für dich da bin." Stotterte sie heraus, nicht fähig, de richtigen Worte zu finden. Er sah sie nicht an.

"Ich denke, ich möchte im Moment einfach alleine sein, Adelaide." Gilbert spielte mit seinem Schal und Adelaide sah ihn zweimal an, bis sie seufzte und nickte. Dies war ein natürlicher Instinkt von jemandem, der trauerte, Menschen von sich zu stossen. Sie hatte es selbst getan.

Sie warf ein letztes Mal ein Blick auf den traurigen Jungen vor sich, bevor sie durch den tiefen Schnee lief Richtung Blythe-Haus. Die Bewohner Avonleas plauderten miteinander und vergassen wahrscheinlich den Grund, wieso sie überhaupt hier waren. Nachdem sie sich mindestens eine Stunde lang umgesehen hatte, hatte sie genug von dem ständigen Mitleid, das nicht einmal für sie war.

Adelaide nahm einen Keks vom Tisch und liess sich auf einen Stuhl fallen. Ihre Augen wanderten zu Anne, die aus dem Fenster sah.

Die Schultern der Rothaarigen hingen schlaff nach unten und ihr warmer Atem begann das kalte Fenster zu beschlagen. Adelaide nahm einen Bissen vom Keks, legte den Kopf schief und fragte sich, worauf Anne starren könnte. Anne erwiderte ihren Blick und lächelte, bevor sie zum älteren Mädchen lief.

"Hallo, schon wieder." Sagte Anne feierlich.

"Was hast du dir angesehen?" Fragte Adelaide.

"Oh, ich habe bemerkt, dass Gilbert wegging und das mich eine schreckliche Traurigkeit überkam. Ich weiss nicht, was ich dagegen tun soll. Ich glaube nicht, dass er mich mag, also wenn ich mit ihm sprechen würde, könnte nichts Gutes dabei rauskommen. Vielleicht könntest du ihn aufheitern?" Sagte Anne die nun Luft holte. Adelaide seufzte, bevor sie den Kopf schüttelte.

"Ich glaube nicht, dass er mit mir reden will-", begann Adelaide, aber Anne hatte sich das schon in den Kopf gesetzt. Sie legte ihren Schal um Adelaides Hals und schob sie zur Haustür. 

"Geh! Sprich einfach mit ihm, er würde am ehesten mit dir sprechen." Sagte Anne und lächelte, bevor sie das Mädchen aus der Tür schob und sie zuschlug.

Adelaide seufzte noch einmal darüber, wie hartnäckig Anne sein konnte, folgte aber dennoch den Fusspuren, die Gilbert hinterlassen hatte.

wondrous (Gilbert Blythe fanfic) german translationWhere stories live. Discover now