Blaue Augen

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"George, bringst du bitte noch einen Karton Kotzpastillen und Langziehohren mit? Ach und vergiss die Kopflosen Hüte nicht! Die haben uns hier den ganzen Laden ausgeräumt!", rufe ich gehetzt in den hinteren Teil des Ladens, während ich Betty, unserer neuen Angestellten, die Auslagen und Wahren-Lager zeige und gleichzeitig auch noch eine Gruppe Tu-nicht-Gute überwache, die sich alle auffällig ruhig in eine Ecke verzogen haben und nun zu ein paar Mädchen gleichen Alters herüberspähen, die sich bereits vor einer halben Stunde um die Wunderhexe-Produkte geschart haben und für nichts Anderes mehr Augen haben. Ach, die junge Liebe!

Das Hogwarts-Alter scheinen sie noch nicht ganz erreicht zu haben, da alle elfjährigen Kinder und aufwärts, gerade die Schulbank drücken. Dennoch, an die 10 Jahre alt, müssten sie sein. Die Frage ist, wo sind die Eltern?

"Hey, du da, ja, du mit dem grünen Basecap! An deiner Stelle würde ich das ganz schnell wieder zurücklegen, Kleiner. Wir wollen doch nicht etwa klauen?"

Und genau das meine ich, so etwas Verantwortungsloses. Also George und ich waren bestimmt nicht solche kleinen Rotznasen. Ja, wir haben vielleicht auch hin und wieder über die Stränge geschlagen, aber an sich waren wir meistens einfach nur jung und unschuldig. Jawohl. Ich meine, eine Toilette mit oder ohne Klobrille, was macht das schon für einen Unterschied?

"So Betty, du bist unsere erste Angestellte hier! Der Laden ist neu und wir wollen unsere Erfolgsquote halten. Ich hoffe ich kann mich auf dich verlassen, aber mein erster Eindruck von dir ist gut! Weiter so! Ich denke, mit dem Warenangebot kannst du dich auch noch selbständig ein wenig vertraut machen. Über das Gehalt und die Arbeitszeiten haben wir ja bereits ausführlich gesprochen. Eins noch, denke immer daran, mit einer Extraportion Humor an die Dinge ranzugehen! In diesen grauen Tagen müssen wir ein bisschen Farbe in die Meute werfen, meinst du nicht auch? Und wir wollen unsere Kunden ja nicht gleich mit Trauerminen vergraulen! Davon gibt es auf der Straße schließlich genug.", wende ich mich zurück an die kurzhaarige Blondine, die mir auch gleich eifrig zunickt.

"Verstanden, Mr. Weasley! Dürfte ich heute gleich anfangen?" Na wenn das nicht vielversprechend klingt!

"Aber bitte. Wo deine Uniform hängt, weißt du ja! Wenn du Fragen hast, mein Bruder und ich stehen dir jeder Zeit zur Verfügung!"

Und mit einem letzten Lächeln entlasse ich sie zu ihrer Arbeit. Ja, ich bin mir sicher, sie ist eine gute Wahl.

Anfangs waren George und ich alleine. Nachdem wir einen Teil unserer Produkte, hauptsächlich Nasch-und-Schwänz-Leckereien, in der Schule getestet haben, sowohl die Wirkung, als auch die Nachfrage, haben wir unseren Traum endlich verwirklicht.

Zugegeben, wir hatten einige Starthilfe. Zum Beispiel Harrys großzügige Spende, den Goldgewinn vom Trimagischen Turnier. Er hatte Recht, als er sagte, wir alle können einen Lacher vertragen und es würden trübe Zeiten auf uns zukommen.

Zu meinem größten Bedauern hat sich nämlich genau diese Befürchtung bewahrheitet und das nicht mal ein Jahr später. Denn während wir nach der Rückkehr von Dem, dessen Name nicht genannt werden darf, dachten, es könne nicht mehr schlimmer werden, hetzte uns das Zauberei Ministerium diese Umbridge-Kröte auf den Hals!

Das war dann der zweite ausschlaggebende Punkt, die Schule frühzeitig zu verlassen und die kleinen Schul-Geschäfte zu erweitern. Um den Laden hatten wir uns bereits gekümmert und so konnten wir direkt einziehen.

Merlin, Mom war gar nicht begeistert, aber wir sind volljährig und schließlich musste auch sie feststellen, dass in dieser Hinsicht jedwede Überredungskunst reine Verschwendung wäre. Sie würde eh nur auf taube Ohren stoßen.

Letztendlich hat sogar unsere Mutter gemeint, dass etwas Farbe der Winkelgasse guttäte. Kein Wunder. Seit dem Massenausbruch aus Askaban ist die, früher so massenhaft besuchte, Einkaufsstraße ziemlich trist und leer. Nirgendwo pressen kleine Kinder ihre Stupsnasen an die Schaufenster. Nirgendwo wuseln Hexen, mittleren Alters von einem Geschäft zum Nächsten, um die verschiedensten Utensilien für Haus und Hof zu besorgen. Nirgendwo ist ein Schulanfänger zu sehen, der seinen ersten Zauberstab bei 'Ollivanders' kauft. Wie auch, wo er doch tragischerweise entführt wurde.

Anfangs dachten wir, wir könnten den Laden dicht machen. Dabei sind gerade wir es, die einen Grund darstellen, der Winkelgasse, trotz der schlechten Zeiten, dennoch einen Besuch abzustatten!

Und damit das auch so bleibt, erweitern wir unser Sortiment ständig, weshalb wir mittlerweile, neben den Scherzartikeln auch schon seriösere Produkte produzieren, die wir sogar an die Auroren-Zentrale verschicken. Richtig, das Geschäft boomt.

Erst heute haben wir ein brandneues Produkt fertig entwickelt. 'Die marktreife Verstopfungssensation, die die Nation in Atem hält!'

Gerade bin ich dabei ein Schaufenster mit diesem Renner neu zu gestalten, als mir auch schon der passende Werbe-Slogan einfällt. 'Wen ängstigt schon Du-weißt-schon-wer! Du solltest mehr Angst haben vor Du-scheißt-nie-mehr!' Das ist es!

Mit ein paar Handgriffen und Zauberstabbewegungen prangen die neon-grünen Buchstaben an der Scheibe und gerade als ich die letzte Schachtel auf dem Stapel positioniere, passiert es.

Die kleinen Pappkisten stapeln sich mannshoch und gewähren einem vorbeilaufenden Passanten nur durch einzelne Lücken einen Blick in das bunte Innere des Ladens. Und eben durch solch eine Lücke sehe ich mich plötzlich einem Paar leuchtend blauer Augen gegenüber.

Kaum kreuzen sich unsere Blicke, ist es mit mir geschehen! Zu Beginn rührt der Anblick nur an etwas in meinem Gedächtnis, findet jedoch keinen Halt, bis mir die Erkenntnis wie Schuppen von den hellbraunen Augen fällt.

Die Ahnungslosigkeit, die sich für den Bruchteil einer Sekunde in mir ausbreitete, verpufft und macht stattdessen einer Erinnerung Platz.

Ich habe sie nie ganz vergessen, aber bis zum heutigen Tag in den hinteren Teil meines Kopfes verbannt. Doch jetzt dämmert es mir wieder. Ich kenne diese Augen. Natürlich, dieses stechende Blau würde ich überall wiedererkennen.

Es war in meinem dritten Schuljahr, in Wahrsagen, als ich sie zum ersten Mal sah und die Tatsache, dass sie in einer Kristallkugel erschienen, ließen sie für mich eher wie ein Traum wirken.

Doch hier, genau vor mir steht der Beweis, dass diese Augen, die mich nach dieser Wahrsagen-Stunde hin und wieder im Schlaf heimsuchten, so viel mehr als ein Traum sind.

Ein Jahr lang verfolgten sie mich und nun verfolge ich sie. Denn der Blick dieser unbekannten Person bleibt kurz an meinen Augen hängen, bevor er über die Schachteln zu der leuchtenden Schrift huscht. An dieser Stelle weiten sie sich kurz, bevor sie sich zusammenziehen, so wie es geschieht, wenn man ehrlich lacht.

Und dann, ehe ich mich versehe, sind sie verschwunden. Kurz kämpfe ich mit mir. Ich könnte einfach weiterleben, schließlich waren es nur zwei Augen. Aber könnte ich einfach weiterleben?

Ich habe ein Jahr lang gegrübelt, ja, mir regelrecht den Kopf zerbrochen, über etwas, von dem ich dachte, dass es nur in einem Objekt für überirdische Künste existiert und nun, wo ich sehe, dass dieses 'Etwas' tatsächlich existiert, lasse ich die Person einfach gehen?

Nein, das kann ich nicht, denn würde ich sie jetzt laufen lassen, würden mich diese Augen länger als nur ein Jahr im Schlaf verfolgen. Nämlich mein Leben lang.

Das ist der zündende Funke am Pulverfass, der mich explosionsartig durch die sauber aufgestapelten Kistchen stolpern lässt, geradewegs durch die Tür, die mit lautem Läuten der Türglocke aufschwingt und mir den Weg auf die Straße ermöglicht. Doch das Einzige, was ich sehe, sind weiß-blonde Haarspitzen, die um die nächste Ecke wehen.

In diesem Moment weiß ich, dass ich meine Chance vertan habe, aber seien wir mal ehrlich. Selbst wenn ich diese mysteriöse Person noch hätte abfangen können, welche Frau, so viel konnte ich erkennen, will sich schon mit jemandem abgeben, der Dosen, gefüllt mit der Verstopfungssensation des Jahres, in ein Schaufenster einordnet?! Richtig, niemand!

Herzlichen Glückwunsch Fred, du hast auf ganzer Linie versagt!

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Die Nebel der ZukunftDonde viven las historias. Descúbrelo ahora