Beisammen

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Als ich am nächsten Tage erneut um die gleiche Uhrzeit in dem selben Abteil der Flure trat, war Kai bereits da, schön wie der König, der er einst sein würde, stand er an die Wand gelehnt und wartete auf mein erscheinen. Ich schauderte bei seinem so all zu vertrauten Anblick ein bisschen.
 „Du bist hier.“
 „Wie versprochen“, erwiderte ich sein Strahlen, dabei etwas zögerlich. Er blendete mich und ich hätte gerne fort gesehen. Wenn das nur möglich gewesen wäre.
 „Komm mit!“
 Überrascht blinzelte ich mich aus dem Nebel meiner Gedanken heraus und fand mich von Kai fort gezogen in Richtung Terrasse wieder. „Wohin gehen wir?“
 „An einen wunderschönen Ort.“
 Es stellte sich heraus, dass wir in den Garten hinaustraten und Kai steuerte schnurstracks auf das Labyrinth zu.  
 „Du möchtest da rein?“
 „Hast du Angst?“
 „Pft kein Bisschen.“, log ich. Das Labyrinth war mir unheimlich und die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Ich wusste nicht ob dies eine  gute Idee sein würde.
 „Vertrau mir.“
 Und somit sprangen all meine Bedenken über Bord und ließen mich in der Sturmflut meiner Gefühle alleine, pardon, mit Kai zurück. Zumindest war ich in seiner Gesellschaft glücklich.
 Wir liefen durch das Labyrinth und gefolgt von unserem Lachen erreichten wir bald das Herzstück des in die Irre treibenden Geflecht von Wegen und Sackgassen.
 „Setzen wir uns in den Pavillon?“, fragte ich, die ganze Schönheit der Umgebung erstaunt in mich aufnehmend.
 Ein Schatten huschte über Kais Gesicht, ein Stich, eventuell Schuldgefühle oder Reue, ich wusste es nicht zu benennen, doch Kais Blick war eine Sekunde später wieder auf mich gerichtet und die vollkommene Wärme in seinen Augen ließ mich vergessen was eben noch so abstrakt gewirkt hatte.
 „Nein, es gibt noch einen viel schöneren Ort“, sagte er geheimnisvoll und zog mich sanft weiter. Während wir weiter durch das Labyrinth streiften, erzählte ich ihm von mir und Kai hörte meiner Geschichte aufmerksam zu. Ich fühlte mich verstanden von ihm, was komisch war, weil wir einander so unterschiedlich waren, aber das Gefühl geachtet und tatsächlich wahrgenommen zu werden blieb mir so präsent im Herzen, während ich nicht einmal mehr die geringste Ahnung hatte, wovon ich eigentlich gesprochen hatte.
 „Gott sei Dank nicht verlaufen“,flüsterte Kai fast unhörbar - offensichtlich nicht für meine Ohren bestimmt - als er schließlich anhielt. Stirn runzelnd wollte ich fragen ob etwas nicht stimmte, da griff Kai plötzlich in die Büsche und erstaunt stellte ich fest, dass wir beinahe an einer versteckten Türe vorbei gelaufen waren (zumindest ich). Die Pflanzen und Ranken hatten sich um die Türe gebunden, als würden sie sie schützend in ihrer selbst verbergen wollen.
 „Eine Tür?“
 Kai grinste über meine offenkundige Überraschung und einen Moment später lies er das quietschende Tor aufschwingen und ergriff erneut meine Hand als er durch sie hindurch trat. Erstaunlicherweise hatten die Büsche des Labyrinths eine kleine Lichtung unter Verschluss gehalten. Ein winziges Stück grün, das man so hier nicht erwartet hätte. Es war ein Garten der versteckt in der Mitte eines Labyrinthes lag. Es war, gelinde gesprochen, wunderschön.
 „Das ist unglaublich“, flüsterte ich und sah mich auf dem kleinen Grundstück sorgfältig um. Hier war das Gras nicht gestutzt sondern wucherte wie die Natur es wollte. Blumenbeete waren nicht ordentlich von einzigen Pflanzen in einer akkuraten Reihenfolge gepflanzt, besetzt, sondern Blumen aller Farben, klein und groß und willkürlich ihrer Art blühten überall. Ein dicker Baum, dessen Krone tatsächlich über die Büsche hinausragte, stand in einer Ecke, und an einem horizontal hängenden Stamm hingen zwei dicke Seile die eine provisorische Schaukel darstellten.
 „Willkommen im wahren Herzen des Labyrinths.“
 Kai lief in die Mitte des Grundstücks und verbeugte sich spielerisch bei mir als er sein kleines Schmuckstück stolz präsentierte.
 „Was ist das hier? Wieso gibt es diesen Ort?“
 „Es war mein persönlicher Rückzugsort als ich noch ein Kind war.“
 „Du bist alleine durch das ganze Labyrinth gegangen um hierher zu kommen?“, fragte ich erstaunt.
 „Ganz so war es nicht. Du siehst den Baum dort hinten in der Ecke nicht wahr? Er war zuerst hier, kann man sagen. Das Labyrinth wurde erst später um ihn herum erbaut und während das Labyrinth noch nicht existierte war dies mein Lieblingsort. Aber selbst als das Labyrinth schließlich stand, habe ich nie aufgehört hierher zu kommen.“ Er lachte kurz verlegen auf und fuhr sich zerstreut durchs Haar. „Nun, als ich schließlich älter wurde, habe ich aufgehört mich um diesen Garten zu kümmern. Daher sieht es hier recht..ungepflegt aus, im Vergleich zu dem restlichen Grundstück. Ich hätte natürlich einen der Palasteigenen Gärtner beauftragen können sich hierum zu kümmern, aber-...“
 „Nein. Nein, das solltest du nicht tun“, unterbrach ich ihn schnell, und zu spät bemerkte ich das mein Mund schneller als mein Verstand reagiert hatte. „Uh, also ich meine nur, dass es gut ist wie es ist. Es ist nicht ungepflegt sondern...natürlich, nicht künstlich. Verstehst du?“
 Kai sah mich mit großen, erstaunten Augen an und nickte. „Ich denke du hast in Worte gefasst, welche Gefühle mich daran gehindert haben, jemanden an diesen vergessenen Ort zu erinnern.“ Er räusperte sich um seine Verlegenheit zu überspielen, dieser Ort hatte offensichtlich etwas magisches an sich. Er war dazu fähig uns unseren Gefühlen bloß zu stellen.
 Unter dem Baum setzten Kai und ich uns in den Schatten. „Es fühlt sich wirklich so an, als wäre dies das Herz des Labyrinthes“, kicherte ich. „Es ist der lebendigste Ort den ich je in meinem Leben gesehen habe.“ Und ich blickte auf die Blumen die uns umringten. Eine solche Artenvielfalt an einem gebündelten Ort hatte ich noch nie gesehen.
 „Hier wachsen leider keine Rosen. Obwohl die Büsche der Labyrinth Wände mit Rosen versehen sind und eigentlich überall sonst Rosenbüsche zu finden sind, wachsen sie ausgerechnet hier nicht.“
 Ich zuckte die Achseln. „Die Schönheit der Rose ist den Stachel im Finger nicht wert. Diese Blume ist besonders Menschenfeindlich.“ Ich grinste ihn breit an und hoffte mein Scherz klang nicht zu eigenartig aber Kai strahlte mir entgegen und ein Gefühl des Glücks breitete sich in mir aus.
 „Ich liebe dich.“
 Damit war es raus. Kai hatte ausgesprochen was wir beide schon seit Wochen füreinander entwickelt hatten und was uns nun nicht mehr zu ignorieren gelang. Und mir war es recht.
 „Ich wünschte ich könnte das Gegenteil behaupten“, sagte ich mit traurigem Blick und lehnte meine Stirn gegen die seine. „Aber es geht nicht, mein Herz würde erstarren in der Sekunde in der ich es wagen würde, es auf solch grausame Art zu betrügen.“ Und damit lehnte ich mich vor und legte meine Lippen ganz sanft auf Kais. Ein Elektrischer Schlag schien durch meinen Körper zu vibrieren und sich auf Kai auszuweiten. Seine Hände lagen bald auf meinen Wangen, hielten meinen Kopf in behutsamer Zärtlichkeit und eroberte meine Lippen mit liebevoller Sorgfalt.
 Wir lösten uns ein paar wenige Zentimeter voneinander um wieder zu Luft zu kommen und als Kai in Lachen ausbrach weiteten sich meine Augen erschrocken. „Was? Was ist los?“ Doch der Jüngere gab mir keine Antwort. „Was Kai, was? Um Himmels Willen, was?!“ Ich schüttelte ihn aggressiv an der Schulter, doch er ließ sich einfach zur Seite und in die Wiese fallen und zog mich überraschenderweise mit sich. Ich landete halb auf ihm, die Arme auf seiner Brust, leicht abgestützt. Ich holte gerade Luft um ihn erneut aufgrund seines Lachanfalls zur Rede zu Stellen (Gott bewahre ich hatte irgendetwas im Gesicht, oder ein Kriechtier im Haar!) da zog der Kerl mich einfach wieder hinunter und schloss meinen Mund effektiv mit seinem eigenen.
 Gelegentlich spürte ich noch immer das Lächeln in unserem Kuss, doch ich  glaubte nun zu wissen warum er plötzlich angefangen hatte zu lachen. Es wurde ausgelöst von dem selben süßen vibrieren das auch in meiner Brust kitzelte und meine Mundwinkel anhob. Das Gefühl nannte sich Glück, weil Freude nicht ausdrucksstark genug war, und Glück recht undefinierbar und somit umfassender zu betrachten war. Wir waren glücklich, einfach weil wir zusammen waren.
 Später am Tag, es war bereits sehr dämmrig und wir würden bald aufbrechen müssen um uns in der Dunkelheit nicht völlig zu verirren, lagen Kai und ich ineinander verschlungen auf dem Boden und sahen dabei zu wie sich der Himmel langsam in ein sattes orange, rosa verwandelte.
 „Was ist deine schönste Kindheitserinnerung?“, fragte ich irgendwann, wir hatten lange Zeit geredet und ich scheute mich nicht mehr davor ihm Fragen persönlicher Natur zu stellen.
 „Die Tage hier, als ich noch klein war und meine Eltern mich hierher begleitet haben. Ich denke das war die schönste Zeit.“ Er kämmte mir nachdenklich mit den Fingern durchs Haar, zupfte hier und da an einer Strähne oder wand sie sich um den Finger. Ich wurde ganz ruhig.
 „Es war schön eine unbesorgtes Familienleben zu leben.“
 „Was hat sich verändert?“, fragte ich als der bittere Ton in seiner Stimme erschreckend deutlich wurde.
 „Unsere Familie...hat sich gespalten. Doch wahrscheinlich war die Illusion, dass sie jemals wirklich ganz war, ohnehin nur Trugbild. Damals zumindest, erschien mir alles noch so echt.“ Er nahm einen zittrigen Atemzug und ich tastete nach seiner freien Hand um seine Finger leicht zu drücken. „Es begann als eines Tages eine Frau und ein Kind an die Türen des Palastes geklopft hatten. Sie standen einfach nur da, plötzlich in unser Leben einmarschiert, um alles zu verändern. Mein Vater hat diese fremde Frau in die Arme geschlossen, obwohl Mutter und ich uns im selben Raum befanden und er hat geweint als er dem blonden Jungen, der sich an die Hand seiner Mama geklammert hatte, den Kopf getätschelt hat. Ich habe meinen Vater, den großen, allmächtigen König, noch nie zuvor weinen gesehen.“ Seine Worte verloren sich, als würden seine Gedanken in andere Welten tauchen.
 „Schließlich stellte sich heraus das die Frau die Geliebte, nein das klingt falsch...“ Er stockte kurz, seine Augen glitzerten traurig. „Diese Frau war viel mehr für ihn, sie war die Liebe seines Lebens, ehe er gezwungen wurde sich eine andere Frau zur Königin zu nehmen. Dennoch haben die beiden sich weiterhin getroffen, selbst nachdem ich zur Welt gekommen bin. Eines Tages haben sie wohl den Kontakt abgebrochen, ich weiß nicht wieso. Aber die Frau war bereits Schwanger, eventuell war gerade dies ja der Grund. Auf jeden Fall, Sehun wurde geboren und wenn du ihn dir ansiehst so besteht nicht der geringste Zweifel wessen Kind er ist.“ Ich konnte ihm nur zustimmen als das Bild des blonden Jungen in meinem Kopf erschien.
 „Nachdem die Frau jedoch auf eine schwere Krankheit diagnostiziert wurde, ist sie über ihren Schatten gesprungen und hat meinen Vater, sprich den Vater ihres Kindes aufgesucht und ihn gebeten sich um das Kleinkind im Falle ihres Ablebens zu kümmern. Mein Vater hat sich augenblicklich in das Kind verliebt. Natürlich, es ist das geliebte Kind, von der Frau die er niemals vergessen hat.“ Er seufzte. „Meine Mutter hat ihm diesen Verrat niemals verziehen und Sehun von da an, verachtet und aus unserem Leben gesperrt. Und obwohl mein Vater Sehun liebt, ließ er es geschehen, denn die bereits vorhandenen Unruhen innerhalb des Volkes durften nicht durch ein Uneheliches Kind zu Zorn auf das Königshaus ausarten.“
 Seine Stimme wurde plötzlich ganz weich. „Sehun ist zwar mein Halbbruder, aber in all den Jahren habe ich ihn kaum bemerkt, kaum gesehen. Ich weiß nicht wie er sich gefühlt hat, nachdem seine Mutter gestorben ist, weiß nicht wie es sich anfühlt Jahrelang alleine zu sein. Die Wärme einer Familie zu missen, die Verachtung meiner eigenen Mutter jeden Tag aufs neue zu spüren. Sie erhofft sich damit ihn bald, wenn er etwas älter wird, außer Haus zu schicken.“
 „Das ist schrecklich“, flüsterte ich und ich küsste Kais Hand um ihm damit meinen Trost zukommen zu lassen.
 „Ich bin schrecklich. Ich hätte viel früher für den anderen einstehen müssen. Doch...es ist so schwer. Zu sehen wie liebevoll mein Vater Sehun betrachtet...war ein Stich ins Herz für mich. Seit dem habe ich mich ebenfalls abgewandt.“
 „Das ist in Ordnung Kai, es ist nicht deine Verantwortung.“, flüsterte ich, zu mehr nicht in der Lage denn ich würde diese Gefühle wohl nie zur Gänze nachempfinden können, um ihm die geeigneten Ratschläge zu geben.
 „Bitte, nenne mich Jongin.“
 „Jongin?“
 „Es ist mein Geburtsname. Kai ist der Name der mir gegeben wurde, um der Krone gerecht zu werden. Es ist eine Art Titel, den alle übernommen haben, weil ich König werde. Ich habe manchmal das Gefühl alle anderen hätten meinen echten Namen schon vergessen.“ Er schauderte leicht. „Es fühlt sich an als würden sie mir dadurch meine Identität, meinen Willen und meine Persönlichkeit rauben.“
 „Ist gut, Jongin. Ich passe auf ihn auf. Ich passe auf alles auf. Sie werden dich nicht dir selbst stehlen, weil ich auf dich acht geben werde.“ Er küsste mich auf die Lippen und obwohl seine Wangen sich feucht anfühlten, waren seine Mundwinkel gehoben.

Königlich VerliebtWhere stories live. Discover now