K A P I T E L F Ü N F Z E H N

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' i    w i l l     m a k e     e v e r y t h i n g     o f    n o t h i n g '

Meine erste Nacht in meinem eigenen Zimmer war angenehm. Sehr angenehm sogar. Angenehmer ist es aber jetzt Musik hören zu dürfen. Denn manchmal haben die Vorlesungen meiner Schwester viel später begonnen, als ich die Wohnung verlasse. Oder sie ist erst gar nicht zu den Vorlesungen gegangen. Wie auch immer, das Wichtige ist im Moment, dass ich Musik hören kann, ohne Rücksicht auf meine schlafende Schwester nehmen zu müssen. Ich schaue auf die leere Stelle links neben dem Tisch. Ich werde definitiv die Möbel im Zimmer umstellen müssen. Doch jetzt heißt es acht Stunden lang die Schulbank drücken und zudem fängt der Tag sehr aktiv mit einer Doppeltstunde Sport an. Wie ein Geistesblitz fällt es mir dann wieder ein, dass wir zuletzt in den Gruppen gearbeitet haben. Ob wir es heute fortsetzen? Mir scheint es so, als ob ich irgendetwas vergessen habe, aber ich weiß nicht was. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl, wie wenn man einen  Raum betritt mit der Intention etwas bestimmtes zu tun und dann plötzlich nicht mehr weiß was. Ohne mir weiter drüber Gedanken zu machen, stehe ich auf und mache mich bereit für die Schule. Da ich heute weder die Kraft, noch die Lust habe besonders schön auszusehen, müssen meine Mitschüler oder besser gesagt meine Mitinsassen mich in meinen Sportklamotten, einem Dutt und etwas geschwollenen Augen ertragen. Selbst in diesem Zustand sehe ich besser aus, als die Anderen. Wenn man es positiv sehen möchte bedeutet mein momentanes äußeres Erscheinungsbild lediglich, dass ich einen guten Schlaf hatte. Emotionslos werfe ich meine Bücher und Hefte in meine Tasche. Dass ich meine Motivation für die Schule verliere hat ja diesmal nicht lange gedauert. Mit meinem Rucksack an meiner rechten Schulter hängend schlendere ich zur Küche um mir eine Wasserflasche und die Butterbrotdose, die meine Mutter für mich vorbereitet haben muss, in meine Tasche zu verstauen. Spätestens jetzt ist es bewiesen, dass meine Mama ein Engel ist. Ein Blick auf die Küchenuhr verrät mir, dass es höchste Zeit ist, um mich auf den Weg zu machen, also schreie ich: "Danke Anne. Ich liebe dich", und verlasse die Wohnung. An dem äußerst hässlichen Gebäude angekommen, was die Stadt und als 'Schule' vorgaukeln will, haste ich zur Halle, da es soeben zum zweiten Mal geklingelt hat und ich mich eigentlich umgezogen in der Sporthalle befinden müsste. Ich drücke den Knopf, welches bei dessen Betätigung eine Sirene in der Halle auslöst, damit man innerhalb der Turnhalle weiß, dass jemand vor der Tür wartet, auch bekannt als Klingel, gleich mehrmals, doch wie erwartet macht mir keiner die Tür auf. Ziemlich verdächtig, dass noch keiner sich in der Halle befindet. Bestimmt tut Levin so, als ob er mir die Tür auf machen geht, aber macht es nicht. Von dem Verhalten  meines imaginären Gedanken-Levins empört schränke ich meine Arme ineinander und lache entrüstet auf. Dabei schüttele ich aufgebracht meinen Kopf und starre kurze Zeit auf den Asphaltboden links neben mir bis zwei Beine mich ablenken. Ich folge den langen Beinen bis zu ihrem Besitzer rauf und bin zorniger als bei meinem vorherigen Gedanken. Denn mein imaginärer Levin hat sich nun in einen realen verwandelt. Ich löse meine Arme um sie neben meinem Körper auszustecken. "Was machst du denn jetzt hier?", frage ich. "Schulpflicht?", antwortet er verwirrt. "Nein, ich meine wieso bist du nicht drinnen?" "Was kratzt dich das?" Ich kneife meine Augen zu Schlitzen zusammen und gucke ihn böse an, ehe ich dann arrogant meinen Blick von ihm abwende und gerade aus auf die Tür blicke. Er drückt ungeduldig mehrere Male auf die Klingel. "Warum machen die nicht auf?" , fragt er mich. Mein Blick schellt ungläubig zu ihm. "Woher soll ich das wissen?" Als Antwort rollt er nur seine Augen und klingelt weiterhin Sturm. "Du siehst doch, dass es nicht bringt. Hör jetzt auf!", fahre ich ihn genervt an. "Vielleicht erscheint dir diese Situation im Moment romantisch oder so, aber lieber klingele ich bis mir mein Arm abfällt, statt mit dir hier draußen zu stehen." Mein Mund öffnet  und schließt sich noch in der selben Sekunde. "Ich bewundere wirklich dein Verständnis von 'romantisch', doch ich muss dich leider enttäuschen. Ich will erst recht nicht mit dir hier stehen." Ich wedele wie wild mit meinem Zeigefinger rum und verschränke meine Arme nach meiner Antwort  wieder ineinander. "Mit mir kann alles romantisch werden", behauptet er. Ich werfe ihm einen missbilligenden Blick zu. "Du meinst wohl 'zum Horror'. Keine Sorge. Mir passieren Wortdreher auch mal hin und wieder. Ist was ganz Normales." "Mir nicht. Ich meinte es, wie ich es gesagt habe." Okay ich gebe langsam meine Hoffnung auf. Sein Ego ist größer als der Bereich zwischen der Erdoberfläche und unserer Nachbargalaxie Andromeda. "Genau. Und wenn ich etwas anfasse, dann verwandelt es sich zu Gold. Oder nein, jede Person, die ich anfasse, verliebt sich in mich. Nein, nein ich kacke Geld!", mache ich mich über ihn lustig. "Irgendwann wirst du es schon bemerken, Ela." Was genau meint er jetzt? Ich bin verwirrt. "Was?", frage ich ihn. "Was was?", fragt er zurück. "Was werde ich bemerken?" Ohne dass er mir antworten kann wird die Tür von jemandem geöffnet und Levin verschwindet sofort in  der Jungenumkleidekabine. Da ich bereits meine Sportklamotten anhabe, tausche ich meine Straßenschuhe nur mit meinen Turnschuhen aus und mache mich schon auf den Weg zur Halle. Als ich den relativ engen Zwischenkorridor zu unserem Hallenteil entlanglaufe, schneidet mir Levin den Weg ab, indem er von einem der Jungenkabinen unachtsam rauskommt, sodass ich ihm auf seine Ferse trete. "Pass doch mal auf!", faucht er mich an. "Pass du doch auf?", antworte ich. "Ela, du bist auf mein Fuß getreten nicht andersrum", informiert er mich. "Dann solltest du erst einmal nachsehen, ob der Weg frei ist!", belehre ich ihn. Er seufzt nur und führt seinen Weg fort. An der Hallentür angekommen betritt zuerst Levin die Halle gefolgt von mir. Die Aufmerksamkeit der in einem Kreis um die Lehrerin sitzenden Schüler, mitsamt der der Lehrerin liegt nun  auf uns. "Da sind ja unsere Streithähne!", begrüßt sie uns. "Ja, Entschuldigung. Aber mir hat niemand die Tür aufgemacht, sonst wäre ich natürlich pünktlich", rechtfertige ich mich. Levin wirft einen verwunderten Blick zu mir. Tja, bestimmt passt es ihm nicht, dass ich nicht 'wir' gesagt habe. Ich muss dich halt nicht erwähnen. I'm an independent woman! "Komisch. Ich stand auch draußen. Wieso habe ich dich nicht gesehen?", blufft Levin. Mein Atem stockt mir und meine Augen weitern sich. Dieser elendiger Verräter. Wie ein Adler fokussiere ich meine Beute, in diesem Falle Levin, indem ich die Augen zusammenkneife. Zu meiner Diskussionshaltung fehlt nur noch die an meiner Hüfte gestemmte Hand. Let the fight begin baby! "Weiß nicht. Vielleicht weil du nicht dort standest?" Zugegeben, mein Konter war echt schlecht. Aber wie genau soll man sich auch aus so einer Situation herausreden. Egal was man sagt, man bleibt der Lügner. Oh Mann ich hasse Levin einfach. "Also als ich die Tür eben aufgemacht habe, stand nur Levin da", lügt der Junge von eben. Was für ein scheiß Wichser! Ein flüchtiger Blick zu Levin informiert mich darüber, dass er mich im Moment mit einem breiten, schadenfrohen und siegessicheren Grinsen anlächelt. "Bist du eigentlich vollkommen dumm? Keine Ahnung wieso du so offensichtlich versuchst bei Levin zu lutschen, aber das ist es nicht Wert!", meckere ich den Typen in einer höheren Lautstärke an. "Er sagt doch nur die Wahrheit!", verteidigt ihn Levin mit dem selben Lächeln auf seinen Lippen, wie vorhin. "Sei du ganz leise Levin! Ich stand da und keiner hat mir die Tür aufgemacht. Fertig!" "Okay! Ruhe!", schreit die Lehrerin, "Levin und Ela, ihr räumt nach der Stunde alles alleine auf. Mir ist egal, wer wann wo stand. Fakt ist: Ihr seid beide zu spät gekommen und jetzt müsst ihr mit den Konsequenzen klar kommen!" Ich rolle meine Augen und seufze. Das Gute an der Sache ist, dass Levin für seine Tat bestraft wird. Das Schlechte ist, ich bin ein Teil der Bestrafung und muss mit ihm zusammen hier aufräumen. Wie ich sehe gefällt Levin diese Konsequenz genauso wenig wie mir, da seine Miene sich um einiges verdüstert hat. Um diese Reaktion zu sehen, würde ich sogar freiwillig die ganze Schule aufräumen und da vergesse ich sogar auch den Fakt, dass auf mich die selbe Strafe wartet, wie auf ihn.


Die Doppeltstunde Sport nimmt ein Ende, doch für mich fängt der richtige Sport erst jetzt an. Mit einem schief gelegten Kopf beobachte ich meine glücklichen Kurskameraden, wie sie nach und nach sich aus der viel zu kleinen Tür in die Freiheit quetschen. Darunter erkenne ich allerdings auch Levin, der versucht sich unentdeckt rauszuschleichen, aber nicht mit mir junger Mann. Ich marschiere zu ihm und halte ihn bestimmend an seinem Unterarm fest. "Du hast uns hier rein geritten. Sei also kein Feigling!", fahre ich ihn an. Er dreht sich zu mir um und löst sich ohne sich auch nur ein Hauch anzustrengen von meinem bombenfesten Griff. "Wärst du nicht so egoistisch und hättest du am Anfang gesagt 'wir' , dann wäre alles nicht passiert. Du bist also Schuld und du wirst es alleine aufräumen. Viel Spaß noch." Er kehrt mir den rücken zu und verschwindet. Levin, du bettelst nahezu darum, dass ich gemein zu dir bin. Und weil ich mich gerne ehrenamtlich betätige und Leuten stets Gutes tun möchte, werde ich mich sogar nur für dich zu einer Petze transformieren. Gesagt, getan. "Levin ist gegangen. Er war der Meinung, dass die Strafe unnötig sei und hat sogar gesagt, dass sie selbst aufräumen sollen" sage ich der Lehrerin. Ob ich mich schuldig fühle, dass ich gelogen habe? Nein, denn im Prinzip habe ich lediglich meine eigene Wahrheit erzählt. Und in jeder Realität steckt ein Teil Fiktion drin, wie Yin und Yang. Außerdem hat er es verdient. Der Lehrerin gefällt es gar nicht und sie stürmt aufgebracht zu den Umkleiden. Nach einer guten Weile kommt sie zurück mit Levin im Schlepptau. Der Gesichtsausdruck von der Lehrerin hat sich mittlerweile gelockert, wobei das Gesicht von Levin sehr angespannt aussieht, was mir ein Lächeln auf die Lippen zaubert. "So weil der Herr Ak sich dachte eher gehen zu müssen, kannst du, Ela, gleich nach 10 Minuten gehen", kündigt die Lehrerin an. Wenn Levins Gesicht sich nicht in kürzester Zeit entspannen sollte, fürchte ich, dass seine Muskeln reißen. "In Ordnung", antworte ich. Zu unserem Glück haben wir heute das neue Thema Parkour angefangen, weswegen viele Stationen, mit vielen verschiedenen und zudem schweren Geräten, aufgebaut wurden und jetzt von uns abgebaut werden müssen. Ich renne schnell zu dem Medizinball, welcher an einer Station als Hindernis aufgestellt wurde, um es wegzubringen. Zum Glück muss ich nur zehn Minuten mit aufräumen und in den zehn Minuten ist es mein Plan nur leichte Sachen wegzuräumen und das ganz langsam. Unsere Sporthalle hat neben der großen Tribüne noch in jedem Hallenteil zwei Garagen. in denen die Sportgeräte gelagert werden. Ich spaziere in der langsamsten Geschwindigkeit, die mir mein Körper zulässt, zur letzen Garage, denn dort gehören die Medizinbälle hin. Dort angekommen lege ich den Medizinball vorsichtig und langsam in den Ballwagen, wie ein Baby in seine Krippe. Als ich mich umdrehe kommt Levin mit einem Kasten und versperrt mir damit den einzigen Ausgang aus der Garage, ohne dass ich klettern bräuchte. Da er nicht den Anschein macht, mir Platz zu machen oder gar selbst rauszugehen, und den Kasten auch schon längst an seinen Platz abgestellt hat, beschließe ich ihn dazu aufzufordern: "Ich muss raus. Geh weg." Doch statt zur Seite zu treten, tritt er mir ein Schritt näher. "Was willst du eigentlich von mir?", fragt er mich in einem ruhigen Ton. Ich denke in diesem Moment kann er mir meine Verwirrung aus den Augen lesen. "Dass du zur Seite trittst?" "Nein, ich meine, wieso lässt du mich nicht einfach in Ruhe?" Dass ich ihn belästigen würde ist mir allerdings neu. "Wo habe ich dich bitte wann belästigt?" "Du machst immer etwas um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Was willst du damit erreichen?" Dieses Gespräch wird mir langsam zu blöd. "Levin, meinst du das gerade Ernst? Wenn du die Situation von eben meinst, sag mir nicht, dass du mich mit deiner Aktion hättest davon laufen lassen. Als ob ich alles alleine aufräume. Natürlich beschwere ich mich bei der Lehrerin und das aus Gerechtigkeitsgründen und nicht, weil ich heimlich in dich verschossen bin, freu dich nicht zu früh." "Und verschwinde endlich aus meinem Weg!", füge ich hinzu. Da er sich nicht vom Fleck rührt, nehme ich die Sache selbst an die Hand und klettere über den Mattenwagen raus aus der Garage. "Meine zehn Minuten sind übrigens abgelaufen. Dir noch viel Spaß", informiere ich ihn und verlasse die Turnhalle, ohne mich ein weiteres Mal umzudrehen.  Das war ja mal ein komisches Gespräch.

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⏰ Last updated: Jul 18, 2019 ⏰

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