K A P I T E L D R E I Z E H N

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Noch zwei Tage bis zum Wochenende und ich habe ein eigenes Zimmer. Der Schultag ging soweit ziemlich schnell vorbei. Zwischen mir und einem Netflix Marathon stehen nur noch zwei Stunden Literatur. Heute wird uns mitgeteilt, welches Stück wir für den Rest des Jahres erproben und im nächsten Sommer aufführen werden und natürlich auch wer die Besatzung für welche fiktiven Figuren ist. Deswegen ist es heute mein Ziel meine Schauspielkünste komplett zu entfalten, damit ich die Hauptrolle spielen kann. Koste es was es wolle. Glaubt mir, ich bin bereit alles dafür zu geben. Wollt ihr meine Freunde? Kein Problem, habe zwar nur eine Freundin auf dieser Schule aber wenn das meine eins auf dem Zeugnis sichert, werde ich mich nicht wehren. Dieses Mindset möchte ich bloß nicht verlieren. Zwar geht es erst nächstes Jahr los mit dem Abitur, aber dieses Jahr möchte ich mich schon darauf vorbereiten. Um Wirtschaft zu studieren brauche ich kein hohes Numerus Clausus, aber ich strebe auf ein Stipendium an, da ich nach den YouTube Videos von Hailey Sani unbedingt am Meer studieren möchte. Zugegeben: Ich weiß, dass es sehr unwahrscheinlich ist und zudem auch schwer, weil ich keine Sprache so gut wie Deutsch beherrsche. Auch wenn ich es schaffen würde ein Stipendium zu bekommen, hätte ich im Endeffekt große Schwierigkeiten mit der Sprache. Die Universitäten in Deutschland gefallen mir nun mal nicht. Aber diese Gedanken schiebe ich schnell zur Seite, als ich meinen Literaturlehrer sehe. Nachdem der gesamte Kurs sich auf dem Boden vor der Bühne der Aula hingesetzt hat, erläutert der Lehrer das Vorhaben für die zwei Stunden. "Ohne viel Zeit zu verlieren steige ich auch schon in das heutige Thema ein. Meine Lieben, heute findet das Casting statt und je nachdem wie ihr euch heute repräsentiert, teile ich euch entsprechend wichtige Hauptrollen oder weniger wichtige Nebenrollen zu." Er teilt den Stapel Blätter mit seinen Daumen entzwei und bückt sich, um diese Stapel zwei Personen zu geben, die die Stapel rumreichen sollen. "Ich verteile euch jetzt die Dialoge, die ihr, zusammen mit einem Partner des anderen Geschlechtes kurz einproben müsst. Das heißt natürlich nicht, dass ihr es auswendig wissen müsst. Es reicht, wenn ihr das einpaar mal euch durchlest. Ich denke ihr seit alt genug um selbst zusammen zu finden. Ab der zweiten Stunde beginnt ihr vorzutragen." Zögernd hebt sich eine Hand von einem blonden Mädchen. "Ja bitte?", fragt der Lehrer. "Müssen wir vor jedem vortragen?", fragt sie mit einer leisen, zu hohen Stimme. Also die wird definitiv keine wichtige Rolle bekommen. "Ach Leute natürlich! Ihr seid hier im Literaturkurs und werdet zwei Stücke vor einem 300 köpfigen Publikum aufführen. Verglichen dazu, ist das hier nichts. Also stellt euch nicht so an!", antwortet der Lehrer leicht genervt. Ehrlich gesagt kann ich ihn verstehen. Wieso wählt man den Literaturkurs, wenn man Angst hat, auf einer Bühne aufzutreten? Jetzt kommen wir zum eigentlichen Problem. Wer wird mein Partner? Mit meinen Augen halte ich Ausschau nach Anil. Er ist der Einzige, der für mich in Frage kommt. Er ist nämlich der Einzige, außer Levin, den ich kenne. Und Levin werde ich niemals fragen. Nur über meine Leiche! Nachdem ich endlich fündig geworden bin, sehe ich, dass Anil bereits mit Lana zusammen das Stück einprobt. Mist. Natürlich kann ich nicht immer erwarten, dass Anil mir zur Verfügung steht, dann wenn ich es will. Ich schaue mich weiter im Raum um, als jemand, nicht weit weg hinter mir,  mich leicht aufschrecken lässt. "Suchst du etwa nach mir?" Ich drehe mich um und da steht kein anderer als Levin. Natürlich Levin! Wer sonst ist denn so sehr von sich selbst überzeugt, wie er? Ich ziehe mein Gesicht angeekelt zusammen. "Träum weiter." Passend zum Augenblick sticht mir ein dürrer Junge mit schwarzen Locken ins Auge, der auch noch keinen Partner hat. Ich haste ein wenig zu eilig zu ihm. "Sollen wir zusammen machen?" Etwas schwerer atmend stemme ich meine Hände in die Hüfte und warte auf seine Antwort. Ich wüsste nicht was ich mache, wenn er nein sagt. Er muss ja sagen. Er hat doch keine andere Möglichkeit. Ich auch nicht, also bitte sag einfach ja. "Gerne", antwortet er schließlich. Mit dieser Antwort gebe ich mich doch zufrieden. Erleichtert atme ich aus, denn während ich auf seine Antwort gewartet hatte, hatte ich unbemerkt die Luft angehalten. Zusammen setzen wir uns auf die Treppen, die zur Bühne führen, hin. "Ich heiße übrigens Amin", stellt er sich mir freundlich lächelnd vor und hebt seine rechte Hand, wie man sie bei einer Anwesenheitskontrolle zu Beginn der Stunde heben würde. Wie ein Spiegel übernehme ich seine Gestik und Mimik und wechsele nur seinen Namen mit meinem Namen aus und wiederhole seine vorherige Vorstellung und lasse das 'übrigens' weg: "Und ich heiße Ela." "Am besten wir lesen uns den Dialog zuerst eigenständig durch?", schlägt er vor. Einstimmend nicke ich, denn selbst um nur 'ja' zu sagen, fehlt es mir an Konzentration, die ich nämlich gerade für das Lesen des Dialoges aufbringe. Bevor er überhaupt vorgeschlagen hat, den Text zu lesen, hatte ich schon angefangen damit. Stumm lesen wir also den Text. Jeder für sich. Der Dialog handelt von zwei besten Freunden, einem Mädchen und einem Jungen, die ein Streitgespräch führen. Der Junge hat die Geheimnisse des Mädchens verraten, damit er mehr Ansehen bei den beliebten Jungs bekommt. Dabei wurde er nur ausgenutzt und hat nicht nur weniger Ansehen bekommen sondern auch seine langjährige beste Freundin verloren. Der Grund bereitet mir echt eine Gänsehaut. "Bin fertig", lasse ich ihn wissen. "Ja ich auch." "Dann, sollen wir jetzt dann üben? Ich meine üben zu schauspielern." Er stimmt mir zu. "Gut dann fange ich jetzt an." Ich halte kurz inne, ehe ich beginne.

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