(5) Amore Fraterno: Bruderliebe

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In einem Kinderheim eines abgeschotteten Dorfes wuchsen die beiden Brüder, Matteo und Giorgio Marini, auf, da ihre Eltern einer tödlichen Krankheit unterlagen, die vor wenigen Jahren das ganze Land heimsuchte und Millionen von Opfern forderte. Matteo zählte zu diesem Zeitpunkt acht Jahre, während Giorgio nicht einmal sechs Jahre jung gewesen war. Dieser Verlust setzte den beiden Geschwistern schwer zu, doch wollte sie um nichts auf der Welt den jeweils anderen auch noch verlieren, weshalb sie sich schworen für immer und ewig zusammenzubleiben. Nicht einmal der Tod sollte sie trennen können.
Diesen Schwur aufrechtzuerhalten, würde sich jedoch als schwieriger herausstellen, als sie es für möglich hielten. 
Stets kamen Leute zu dem Waisenhaus, die Gefallen an Matteo fanden, doch nur an dem Älteren, nicht an beiden Brüdern. Matteo aber machte den Interessenten jedes Mal erneuert klar, dass er nicht ohne seinen Bruder gehen würden, worauf sie meistens verschwanden. 
So verstrichen die Jahre und die Jungen wuchsen zu Männern heran. Allerdings verfolgte die Brüder das Waisenhaus auch weiterhin, denn Matteo verliebte sich in seine Freundin aus Kindheitstagen, Amelia, welche ebenfalls lange Zeit eine Bewohnerin des Heims war. Sie wurde jedoch mit zehn Jahren von einem weitentfernt lebenden Paar aufgenommen, dadurch sahen sich die beiden eine sehr lange Zeit nicht mehr und verloren sich aus den Augen. 
Eines Tages aber, Matteo war 20 Jahre alt, trafen sie sich wieder und die Liebe erblühte in voller Pracht. Doch Amelias Gefühle galten nur Matteo, nicht aber seinem nichtsnutzigen Bruder, der bei diesem lebte und sich von ihm durchs Leben tragen ließ. Für die wunderschöne Frau war Giorgio nicht mehr als eine Behinderung, ein schwerer Klotz am Bein ihres Geliebten. 
Giorgio war der Grund, warum Matteo nicht adoptiert worden war.
Giorgio war der Grund, warum Matteo nicht den Reichtum besaß, den er verdiente.
Aber vor allem war Giorgio der Grund, warum ihre junge Liebe vielleicht zerplatzen würde. 
Daher begann sie, ihren mittlerweile Verlobten von seinem Bruder weiter wegzuführen. Matteo, von der Liebe geblendet, bemerkte die Intrigen seiner Zukünftigen nicht und ließ ihren hinterlistigen Handlungen freien Lauf. 
Selbst als ihn Amelia dazu überredete, gemeinsam eine neue Wohnung zu beziehen, wurde er nicht stutzig, obwohl diese im weitenferntesten Stadtteil von seiner jetziger lag, die nach seinem Auszug allein Giorgio bewohnen würde. So entfremdeten sich die beiden Brüder immer weiter und auch wenn Matteo dies überhaupt nicht erkannte, so war sich der drei Jahre jüngere Giorgio dessen deutlich bewusst, doch wusste er auch, dass sein großer Bruder diese Frau über alles liebte und niemals wollte er seinem Glück im Weg stehen. 
Er ließ es also geschehen.
Als schließlich Amelia und Matteo vor dem Altar standen, schien das Band, das einst so stark um die beiden Brüder gewickelt war, nur noch schlaff knapp am Boden entlang zuschleifen, kurz davor auseinanderzufallen. Nur noch ein einziges Wort mit zwei Buchstaben sollte fehlen, um es endgültig besiegt zu haben, doch als Matteo, den Mund schon geöffnet hatte, um das magische Wort endlich auszusprechen, wanderten seine Augen automatisch zum Ende des Saales und begegneten dem traurigen Blick seines Bruders. In diesem Moment spürte er die kilometerweite Entfernung nicht nur, er sah sie auch und sein Herz zog sich bei diesem Anblick zusammen.
Ohne darüber nachgedacht zu haben, ging er mit großen Schritten auf Matteo zu, schnappte sich dessen Hand und zog ihn hinter sich her. Vor dem Ausgang blieb er schließlich stehen, um sich noch ein letztes Mal zu seiner Geliebten umzudrehen, die ihm sehnsüchtig nachsah. Doch bevor er seine Entscheidung bereuen konnte, wendete er ihr rasch, genau in dem Moment, als sich eine Träne aus den glasigen Augen löste, den Rücken zu.

Es hatte keine Woche gebraucht, da hatten die Brüder ihre Sachen gepackt und waren in eine andere Stadt gezogen. Matteo hätte es nicht mehr lange dort ausgehalten, denn alles erinnerte ihn an Amelia und spätestens, wenn sie einen neuen Mann finden würde, mit ihm gemeinsam an den kühlen Frühlingsmorgenenden durch die Stadt schlendern würde und er sie dabei sehen würde, wie sie ihm ihr schönstes Lächeln schenken würde, zerspränge ihm das Herz in der Brust.
Giorgio erging es anfangs ebenfalls nicht leicht, denn er gab sich die Schuld für die Leiden Matteos, die schwer auf seinen Schultern wog. Im Traum suchte ihn der schmerzerfüllte Blick seines Bruders heim, den er Amelia bei seinem Abschied zuwarf. Am Tag schauten Matteos Augen sehnsüchtig auf die vielen gemeinsamen Bilder von ihm und Amelia oder er starrte geistesabwesend aus dem Fenster. Ohne ihn zu fragen, wusste Giorgio, dass er hoffte Amelia zu entdecken.
Doch mit der Zeit vergingen die Schmerzen, die Wunden schloßen sich und das Band gewann wieder an Stärke zurück.
Fünf Jahre lebten sie so in Einklang. Die Vergangenheit geriet immer weiter in Vergessenheit, bis sie schließlich in der tiefsten Schublade ihrer Gedanken verstaubte.
Aber aller Frieden findet irgendwann sein Ende, wie es die beiden Brüder schmerzlich am eigenen Leib erfahren mussten.
Matteo erkrankte.
An Tuberkulose.
Die Ärzte erklärten es gleich als unheilbar.   
Matteo wurde von Tag zu Tag schwächer, konnte bald gar nicht mehr aus dem Bett steigen. Mit seinem Schicksal hatte er bereits abgeschlossen, doch musste er, wenn schon nicht für sich selbst, dann für seinen Bruder, so lange wie möglich stark bleiben.

Diamante di Luce [Arcana Famiglia]Where stories live. Discover now