Kapitel 05

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Die Sonne stand hoch am Himmel und es war weit und breit nicht eine Wolke zu sehen. Immerhin war das Wetter gut. Wenn es draußen ihrem Gemütszustand entsprechend noch regnen, stürmen und donnern würde, dann wäre die Einleitung der sich in kleinen Schritten anbahnenden Katastrophe perfekt. Bemüht nicht zu viel Zeit, Gedanken und Energie an Hayden zu verschwenden, zog Mercedes sich ein schlichtes, blaues Kleid an, band ihre Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz und schulterte ihren Rucksack. Äußerlich ruhig betrat sie die Küche, packte ein paar Wasserflaschen sowie etwas Obst ein, wobei sie ihren Mitbewohnerinnen zur Begrüßung zunickte.
„Guten Morgen, Mary", begrüßte Holly sie. Holly steckte beinahe bis unters Kinn in einem Overall, der von oben bis unten mit Erde bedeckt war.
„Guten Morgen, Holly. Du solltest dich nicht so viel um Garten kümmern." Holly verdrehte die rehbraunen, großen Augen.
„Doch. Doch. Ich bestehe darauf. Der Gärtner, der es normalerweise machen soll, ist einfach schon zu alt, außerdem ist das eine gute Gelegenheit um den Kopf freizubekommen. Du solltest das auch mal ausprobieren."
„Ich dachte, du backst um den Kopf frei zubekommen." Holly schüttelte lächelnd den Kopf.
„Quinn und Ruby gehen auf diverse Partys um abzuschalten. Sage stürzt sich in ein Buch nach dem Anderen. Trish malt etliche Bilder aus unterschiedlichsten Themenbereichen. Ich kümmere mich um den Garten und verköstige meine Mitbewohnerinnen. Und wie schaltest du ab?" Gemeinsam traten sie auf die Veranda heraus und Mercedes fühlte sich beim Anblick des alten, pinken Fahrrads, welches dekorativ im Vorgarten mit einigen Blumentöpfen positioniert war schon etwas leichter.
„Ich denke, ich genieße einfach den Anblick der Natur und erfreue mich am Duft der frischen Blumen beim fröhlichen Klang der zwitschernden Vögel." Holly lachte.
„Klingt wie aus einem kitschigen Roman."
„Das stimmt." Hollys Blick glitt an ihr vorbei zur Straße und ihr Lächeln erstarb.
„Was macht er denn schon wieder hier?" Überrascht von ihrem plötzlichen Stimmungswechsel drehte sich Mercedes um und traute ihren Augen nicht, als Hayden durch ihren bunten, blumigen Vorgarten zielstrebig auf sie zusteuerte. Holly richtete ihre überwältigenden 1,6o Meter neben ihr auf und verschränkte misstrauisch die Arme vor der Brust.
„Guten Morgen, die Damen. Hast du eine Stunde für mich? Ich habe noch nicht gefrühstückt und würde gerne mit dir ein Restaurant am Strand ausprobieren?" Hayden nahm seine dunkle Sonnenbrille ab, steckte sie in den Ausschnitt seines weißen Hemdes und strich sich lässig mit einer Hand durch das kastanienbraune Haar. Er hatte sich rasiert. Der dunkle Bartschatten, der gestern seine markanten, kantigen Gesichtszüge unterstrichen hatte, war verschwunden.
Holly sah abwechselnd skeptisch zwischen ihnen hin und her. „Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist, außerdem bin ich zum Lernen in der Bibliothek verabredet."
„Es lernt sich schlecht, wenn man nicht gefrühstückt hat", wand er ein und machte einen Schritt auf sie zu. Sein Geruch stieg ihr in die Nase und unbewusst zog sie ihn tief in ihre Lungen. Er roch nach Salz und Meer. Sie liebte diesen Geruch. Und hasste Hayden dafür.
„Ich frühstücke nicht." Holly nickte bestätigend.
„Dann lass uns eben ein Eis essen gehen."
„Zum Frühstück?" Er zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Wieso nicht? Man kann auch Pizza zum Frühstück essen." Mercedes warf Holly einen hilfesuchenden Blick zu, worauf diese mit einem entschuldigenden Schultern zucken reagierte. Verdammt, ihr gingen allmählich die Argumenten aus und sie hatte keine Ahnung wie sie dem Ganzen entkommen konnte.
„Ihr Männer macht das so, aber wir Frauen frühstücken nicht auf diese Weise."
„Pizzafrühstück? Ich liebe Pizza, ob am Morgen, am Mittag, am Abend oder um Mitternacht. Pizza geht immer genauso wie Lasagne, Eis, diese leckeren Muffins mit flüssigem Schokokern, .." Die blauhaarige Ruby tauchte hinter Hayden auf und gesellte sich zu ihnen. Sie reichte ihm die Hand und grinste bis über beide Ohren. „Ruby. Freut mich dich kennenzulernen und du bist?"
„Hayden Carmichael." Ruby musterte ihn neugierig von Kopf und nickte dann anerkennend. Holly und Mercedes tauschen ein paar vielsagende Blicke aus.
„Du bist also Phoebes älterer Bruder und der Mann, der uns vergangene Woche Freitag aus dem Schlaf gerissen hat." Bei der Erwähnung jener Nacht wurde Mercedes ganz warm im Gesicht und sofort lag Haydens stechender Blick wieder auf ihr. „Trish! Alicia! Kommt mal."
Im Haus wurde gepoltert und kurz darauf standen zwei weitere große, schlanke Frauen auf der Veranda und begrüßten den Mann. Ruby legte ihr einen Arm um die Schulter, wobei sie Hayden nicht eine Sekunde aus den Augen ließ.
„Ich an deiner Stelle würde ihn nicht zurückweisen. Er sieht wirklich verdammt gut aus und ist bestimmt ein richtig guter Liebhaber", flüsterte sie ihr ins Ohr. Allerdings war ihr Flüstern nicht leise genug, denn Haydens Lippen verzogen sich zu einem selbstsicheren, belustigen Lächeln. Er nickte Ruby zu und Mercedes stach sich mit ihren Fingernägeln in die Handflächen. Es hatte Sekunden gedauert und er hatte Ruby zu seiner Verbündeten gemacht. Und Ruby als Verbündete bedeutete so viel wie eine Atomwaffe im Weltkrieg.
„Hayden möchte mit unserer schüchternen Mary frühstücken, aber sie sagt nein", teilte Ruby den anderen beiden Frauen mit, die daraufhin überrascht die Augenbraunen hoben.
„Ruby, wenn Mary nicht möchte, dann ..." Ruby hob die Hand und schüttelte den Kopf, woraufhin Holly unterbrach.
„Hayden, setz dich in dein Auto und mach dir keinen Kopf. Wir kümmern uns darum." Ohne auf eine Antwort seinerseits zu warten, zog Ruby sie hinter sich her zurück ins Haus und warf die Tür hinter ihnen zu, sobald die anderen Frauen drinnen waren. Prüfend warf sie einen Blick nach draußen und nickte dann.
„Männer können so einfach sein. Ein Lächeln hier, ein Augenzwinkern da und schon sind sie Wachs in deinen Händen", lachte Ruby, lockerte ihren unordentlichen Dutt und schüttelte ihre lange Mähne aus. Alicia schob ihre Hornbrille auf der Nase zurecht und warf Trish einen fragenden Blick zu.
„Was hast du vor Ruby?", sprach Holly aus, was so ziemlich jeder durch den Kopf ging.
Ruby grinste breit. „Der wird gleich sein blaues Wunder erleben."
Nickend ging Ruby voran die Treppe hinauf und die anderen folgten ihr ratlos bis zu Reynas Zimmer.

UnverhofftWhere stories live. Discover now