Damit ihr es auch wisst

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Hi Leutis, ich hatte euch ja nach dem letzten Kapitel versprochen das ich euch erkläre was vorgefallen ist. Ich fange jetzt mal an und hoffe das ich alles einigermaßen sinnvoll zusammenfassen kann.

Gut, wo fange ich an.

Mir ging bzw geht es im Moment psychisch einfach nicht so gut. Ich hatte immer wieder Zusammenbrüche, Heul- und Zitteranfälle. Das ist Gott sei dank wieder besser geworden und ich bin durch dir Arbeit ganz gut abgelenkt.

Dann mache ich im Moment, also von September bis August ein Freiwilliges Soziales Jahr, bei dem man Seminare absolviert. Dies ist eigentlich eine echt tolle Sache, weil man viele Leute trifft die alle in der Nähe von einem auch ein FSJ absolvieren und man kann sich austauschen und ich verstehe mich mit allen auch echt gut. Am glücklichsten war ich als alle akzeptiert haben das ich trans bin. Ich habe beim ersten Seminar 2 Leute kennengelernt mit denen in mich echt gut verstehe. Jetzt hatten wir Anfang Dezember das zweite Seminar, bei dem sich eine leider vollkommen betrunken hat, weil es ihr so schlecht geht und ging. Bitte verurteilt sie nicht, weil ihr ihre Geschichte nicht kennt und die echt schlimm ist. Naja, sie wurde schonmal am 2. Tag abgeholt. Dann lief das Seminar wieder richtig gut. Wir hatten verschiedene Aktivitäten und viele Gespräche. Am Donnerstag hatten wir dann Abschlussabend, den wir mit einem Film verbrachten. Danach gingen viele ins Bett und eine kam ganz aufgelöst runter. Auf einmal ging alles ganz schnell und wir sollten uns im Seminarraum zusammenfinden und ruhig bleiben. Keine Informationen. Nichts! Wir warteten und auf einmal kam der Krankenwagen und der Notarzt. Das habe ich nicht mehr ausgehalten und ich bin raus an die frische Luft. Dann war ich psychisch so am Ende das ich wieder zusammengebrochen bin. Sie wurde mit dem Krankenwagen mitgenommen und hatte sich Gott sei dank noch nichts angetan. Ich hätte es mir glaub ich auch nie verziehen, wenn sie sich etwas angetan hätte. Naja, zu mindestens hatte ich dann noch ein Gespräch mit unseren beiden Seminarleitern. Diesen musste ich versprechen das ich mir nichts antue und mir wurden zwei Leute zur Seite gestellt die auf mich auf gepasst haben.
So das wäre mal das was so mit am schlimmsten war und wieso ich meine Kraft hatte zu schreiben.

So. Es ging aber noch weiter.
Ich hatte endlich den Mut um mich bei meinen Eltern zu outen und habe ihnen diesen Text geschickt waren d ich im Seminar war, weil sie sich da erstmal alleine Gedanken machen könnten und informieren können. Dachte ich zu mindestens.

Hallo Mama, Papa,
ich schreibe euch diesen Brief, weil ich mich wohler dabei fühle als bei einem direkten Gespräch. Außerdem will ich euch Bedenkzeit geben und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.
Ich habe in letzter Zeit (eigentlich das ganze letzte Jahr) ziemlich viel darüber nachgedacht wer/was ich bin. Ich weiß, dass ich zwar den Körper eines Mädchen habe, ich aber definitiv kein Mädchen bin. Ich fühle mich viel mehr wie ein Junge.
Als ich klein war, wollte ich immer ein Junge sein. Aber vor mehreren  Jahren habe ich versucht mehr wie ein Mächen auszusehen und so zu sein, denn ich dachte ich hätte keine andere Wahl. Das hat sich einfach nicht richtig angefühlt, mein ganzer Körper fühlt sich einfach falsch an. Wie ihr wahrscheinlich gemerkt habt habe ich mich relativ schnell verändert. Ich habe mir die Haare kurz schneiden lassen und ich habe angefangen in der Männerabteilung einzukaufen, weil ich mich dabei einfach wohler fühle. Dadurch hatte ich viele Diskussionen mit euch, aber ich habe nie verstanden warum, weil ein Junge ja dort einkaufen geht und ich ja einer bin. Es ist, wie in einem Film eine Rolle zu spielen - jeder kennt mich so aber das bin ich nicht. Und ich dachte, für dieses Gefühl muss es einen Grund geben. Also habe ich angefangen mich zu informieren. Ich habe gegoogelt, Videos geschaut und über andere Personen gelesen, denen es geht wie mir.
So habe ich erkannt, dass ich doch eine Wahl habe und dass ich der sein kann, der ich bin. Ich ein Wort für mein Gefühl gefunden: Transgender (auch "Transident" oder "transsexuell").
Jetzt bin ich mir sicher: Ich bin transgender. Ich bin ein Junge.
Und was heißt das jetzt? Ich fühle mich wie ein Junge und möchte auch wie einer behandelt werden.
Das heißt nicht, dass ich mich komplett ändere - ich bin immer noch ich.
Ihr habt mir mal gesagt, dass ich mich unterstützt und dass ich "immer eure Tochter bleiben werde". Kann ich nicht stattdessen euer Sohn sein?
Wie ihr jetzt vielleicht merkt ist "{...}" nicht wirklich ein Name für einen Jungen, auch wenn es ein toller Name ist. Deshalb habe ich auch darüber eine Zeit lang nachgedacht - mir gefällt der Name Noah. Und ich bitte euch mich so zu nennen. Stellt euch mal vor ihr werdet die ganze Zeit mit einem Namen gerufen, der überhaupt nicht zu euch passt, weil er einfach das komplette Gegenteil von euch ist. Mich verletzt es jedes mal auf neue wieder innerlich, weil ich denke das ich doch ein Junge bin und trotzdem beim falschen Namen gerufen werde.
Vielleicht fragt ihr euch jetzt: Was haben wir falsch gemacht? Nichts. Das hat nichts mit euch zu tun. Das ist einfach wie ich bin.
Und nein, das ist auch keine Phase. Ich habe wirklich intensiv darüber nachgedacht. Es ist auch nicht der Einfluss des Internets, sondern mein eigenes Gefühl. Und ich bin auch nicht zu jung um mir Gedanken zu machen.
Lasst euch aber ruhig Zeit um damit klar zu kommen und um euch zu informieren. Ich habe auch lange Zeit gebraucht um mich zu akzeptieren, aber mir wäre es wichtig das ihr mich unterstützt, weil es mir vieles einfacher machen würde und ich nicht auf euch verzichten möchte, da ihr die wichtigsten Menschen in meinem Leben seid und auch immer bleiben werdet.
Dieser Brief fast gut zusammen wie ich mich fühle. Ich habe wochenlang überlegt was ich schreiben soll. Jedes Wort ist fünf mal überdacht und sorgfältigst ausgewählt. Ich werde mir Mühe geben alle eure Fragen zu beantworten. Und wir können uns auch immer gerne zusammensetzen und uns informieren und dann darüber sprechen.
Ich hab euch lieb.
Euer Noah (den ihr als {...} kennt)

Nachdem ich den Text abgeschickt hatte kam keine einzige Nachricht von meinen Eltern während ich auf dem Seminar war. Das hat mich natürlich auch gestresst, weil ich ja nicht wusste was kommt. Dann komme ich zurück nach Hause und hoffe das sie such etwas informiert haben und sowas in der Art. Gekommen ist aber nichts. Sie behandeln mich noch genauso wie vor dem Seminar und benutzen meinen Deadname. Ich werde deswegen in nächster Zeit ein Gespräch mit ihnen führen und hoffe das sie es gut aufnehmen. Ich werde euch gerne auf dem laufenden halten.

So das wäre es auch erstmal. Reicht meiner Meinung auch, weil es mir immer noch nicht so gut geht. Werde mich aber im neuen Jahr wieder öfter melden.

Euer Noah

LGBT+Where stories live. Discover now