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Nachdem Hannah sich wieder gefangen hatte, nahm sie Pad an die Leine und beschloss an die frische Luft zu gehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, Paddy so am Telefon anzufahren? Innerlich ohrfeigte sie sich selbst dafür, dass sie ihren Frust ausgerechnet jetzt rauslassen musste. Auch wenn Hannah den Verlauf des Gesprächs bitter bereute, war die Enttäuschung dennoch groß. Es war noch nie vorgekommen, dass Paddy eine Verabredung mit ihr versäumte. Warum dann ausgerechnet jetzt und dann auch noch so zeitnah an ihrem Geburtstag? Je länger Hannah darüber nachdachte, desto trotziger wurde sie. ‚Ich mache das nicht mehr mit', dachte sie sich und wählte Sandras Nummer, die sofort an ihr Handy ging. „Hallo meine Liebe!", begrüßte Sandra sie und wollte gerade zu einem Satz ansetzen als Hannah ihr jedoch zuvorkam. „Hey. Du pass auf. Ich bin gerade noch bei meiner Mutter und Pad unterwegs." Während sie am Telefon sprach, griff sie in ihre Hosentasche und holte den Flyer hervor. „Mein Studiengang gibt heute eine Semesterabschlussparty am See. Bist du dabei?" Sandra verschlug es den Atem und traute ihren Ohren kaum. „Bitte was? Wer sind sie und was haben sie mit Hannah gemacht?" „Komm schon Sandra, lass mich nicht hängen." „Ich bin gerade zu geschockt als dass ich überhaupt irgendetwas sagen könnte. Du willst mich nicht verarschen, oder?" Hannah rollte mit den Augen. „Hör zu, ich habe heute überhaupt keine Lust alleine zu Hause rumzuhocken und Trübsal zu blasen." Sandra wurde misstrauisch. „Hannah, ist irgendetwas passiert?" „Nein alles bestens. Ich habe nur viel zu lange nichts mehr für mich unternommen und es wird mal wieder Zeit, dass ich auf andere Gedanken komme." Immer noch skeptisch zögerte Sandra, stimmte ihrer Einladung jedoch zu. Erleichtert verabschiedete sich Hannah und machte sich auf den Weg zu sich nach Hause, nachdem sie Pad zurückgebracht hatte.

Auf dem Weg in die WG, machte sie an einem Supermarkt halt und besorgte eine große Flasche Rum. Normalerweise war ihr gar nicht nach starken Spirituosen, doch heute machte sie eine Ausnahme. Sandra war noch nicht zu Hause, so dass Hannah die Wohnung für sich hatte. Sie zog ihre Schuhe aus und ließ ihren Frust freien Lauf, in dem sie ihre Nirvana-CD hervorholte und diese in voller Lautstärke hörte. Sie sang lauthals mit und räumte das ein oder andere im Wohnzimmer auf. „Was ist denn hier los?" Sandra versuchte gegen die laute Musik anzureden und beobachtete Hannah, wie sie passend zur Musik mitgröhlte. Hannah ging zur Anlage hinüber und machte die Musik leiser. „Sorry, ich habe dich gar nicht gehört. Mir war danach." Sandra schaute Hannah mit ernstem Blick an und zog sie mit sich auf das Sofa. „Was zur Hölle ist los? Du kannst mir nicht erzählen, dass alles in Ordnung ist." „Sandra wirklich, es ist alles in Ordnung. Ich muss mal raus aus diesem Trott. Es sind Semesterferien, Paddy tingelt in der Welt rum, warum sollte ich dann nicht auch etwas erleben dürfen?" „Und woher der Sinneswandel?", harkte Sandra nach. Doch Hannah zuckte nur mit den Schultern. „Na gut wie du meinst. Ich sollte wahrscheinlich froh sein, dass du etwas unternehmen willst. Ich zieh mich schnell um, dann können wir los. Wo soll es eigentlich hingehen?" Hannah zeigte ihrer Freundin den Flyer, den Sandra aufmerksam studierte. „Klingt super!" Mit diesen Worten verschwand Sandra in ihrem Zimmer, während Hannah in ihr Zimmer ging und sich ebenfalls für die Party fertig machte. Sie stand eine gefühlte Ewigkeit vor ihrem Schrank, ehe sie sich für ein hellblaues Minikleid entschied, dass sie mit Sneaker und einer Jeansjacke kombinierte. „Woah, du willst es heute aber wissen, meine Liebe.", meinte Sandra zu ihr und musterte sie von oben bis unten. „Na, dann warte, bis du das hier siehst." Hannah ging an Sandra vorbei in die Küche und holte den Rum aus dem Kühlschrank. „Hannah, ich weiß zwar immer noch nicht, was ich davon halten soll, aber du erstaunst mich immer wieder." Hannah streckte ihr die Zunge raus. „Also, wollen wir los?" Sandra nickte, nahm ihr die Flasche ab und gingen gemeinsam auf die große Party.

„Sollen wir N&N eigentlich noch fragen, ob die auch kommen wollen?", dachte Sandra laut vor sich hin, doch Hannah grinste. „Habe ich schon, Nora ist mit Kai unterwegs, aber Nicole kommt nach." Als die beiden den See erreichten, war die Feier schon im vollen Gange. Hannah begrüßte einige ihrer Kommilitonen und stellte ihnen Sandra vor. „Du kommst mir irgendwie bekannt vor.", sagte ein großgewachsener, junger Mann mit schwarzen Haaren an Sandra gerichtet. „Studierst du nicht auch Psychologie? Ich glaube, ich habe die am Anfang des Semesters bei der Einschreibung in die Listen gesehen. Hast du dich nicht auf sämtliche Listen gestürzt?" Neugierig schielte Hannah zu Sandra, die leicht errötete, jedoch relativ schnell die Fassung wiederfand. „Ja, kann gut sein. Es ist ja auch echt schwierig in die Kurse reinzukommen, nicht wahr?" „Also studierst du auch Psychologie?" Hannah konnte sich nicht zurückhalten und fing an zu lachen. „Nein, ich studiere Journalismus, aber ich bin eine so gute Freundin, dass ich mich damals als Psychologiestudentin ausgegeben habe und Oberstreberin Hannah in die Listen eingetragen habe." Der junge Mann schaute verwirrt von Hannah zu Sandra, fing jedoch an zu lächeln: „Verstehe. Ich bin übrigens Sascha." Er streckte Sandra die Hand entgegen. „Hi, ich bin Sandra." Als Hannah merkte, dass Sascha und Sandra in ein Gespräch vertieft waren und sie überflüssig war, gesellte sie sich zu einigen Studienkollegen und trank mit ihnen einen Schnaps nach den anderen. Benebelt vom Alkohol tanzte sie mit einem attraktiven Kommilitonen namens Emil, mit dem sie zusammen schon öfter Seminararbeiten anfertigte und mit dem sie auf anhieb gut klar kam. „Was meinst du, wollen wir noch etwas trinken und eine kleine Pause einlegen?", fragte Emil, während Hannah nickte. Wortlos nahm er ihre Hand und sie gingen an die Bar. Ohne Hannah zu fragen bestellte er zwei Wasser. „Wasser? Ich hätte viel lieber noch Rum oder Wodka oder so etwas." Doch Emil ließ sich nicht beirren. „Ich glaube, du hattest schon genug davon", sagte er, nahm die Gläser entgegen und setzte sich, etwas abseits von den anderen, zusammen mit Hannah an das Seeufer. „Du willst mich jetzt aber nicht abschleppen oder so?", fragte Hannah ungeniert. Emil sah Hannah geschockt an. „Was nein! Du bist überhaupt gar nicht mein Typ." „Danke genau so etwas will ich gerade jetzt hören...nicht mein Typ." Emil lächelte: „Hannah, ich bin schwul." Hannah verschluckte sich an ihrem Wasser. Emil klopfte ihr auf den Rücken, bis sie wieder einigermaßen Luft bekam. „So eine schlimme Nachricht ist das nun auch nicht." Hannah lächelte entschuldigend. „Entschuldige. Ich dachte wirklich, du hast etwas anderes im Sinn." „Genau, und deswegen bestelle ich für uns beide Wasser." Sie stellte ihr Glas ab und fasste sich an ihren Kopf. „Bei mir dreht sich alles. Ich glaube, heute habe ich echt übertrieben." Emil lächelte sie verständnisvoll an. „Und was willst du verdrängen?" „Gar nichts", antwortete Hannah ernst, doch Emil wusste es besser. „Ich studiere genauso wie du Psychologie und analysiere Menschen. Also, was bedrückt dich?" „Psychologen haben auch immer gleich ein Helfersyndrom, oder?" Emil zuckte mit den Schultern. „Mir ist nur aufgefallen, dass du dich immer mehr zurückziehst, das ist alles. Weißt du, manchmal hilft es mit jemanden reden, der einem nicht so vertraut ist." Hannah schnitt eine Grimasse. „Wie einem Psychologen zum Beispiel?" Ihr Kopf drehte sich und sie schloss die Augen, in der Hoffnung, dass das Schwindelgefühl aufhören würde. Sie ließ ihren Kopf auf seine Schultern sinken, der Alkohol tat den Rest und löste ihre Zunge. „Ich habe einen Freund und wir haben uns heute gestritten...irgendwie. Eigentlich war es kein Streit, sondern nur ein Hagel von Vorwürfen und es tut mir eigentlich jetzt schon leid, was ich da gesagt habe." „Dann geh doch zu ihm hin und klär das." Hannah lachte schrill. „Haha, ja klar. Ich fliege mal eben schnell nach China und kläre das mit ihm. Wir führen so etwas wie eine Fernbeziehung. Ich kann die Stunden an den Händen abzählen, so oft haben wir uns in den letzten Monaten gesehen." Hannah redete sich in Rage und fing wieder an zu weinen. „Warum ist das alles so kompliziert?" Emil hörte ihr aufmerksam zu. Nachdem Hannah ihm ihr Herz ausschüttete, fing sie an zu lachen. „Weißt du was das Schlimme daran ist?" Als Emil mit dem Kopf schüttelte, fuhr sie fort. „Normalerweise würde ich mich mit so etwas auch bei meinem Freund ausheulen. Bevor wir zusammen gekommen sind, waren wir sehr gut befreundet. Wir haben uns sogar gegenseitig Tipps für unsere Beziehungen gegeben." Emil lächelte. „Weißt du, dass solche Beziehungen eigentlich die schönsten sind? Wenn aus Freundschaft Liebe wird? Ihr scheint beide schon eine gemeinsame Vergangenheit zu haben, warum sollte das nicht auch weiter gehen? Für mich klingt das alles gar nicht nach einem Ende, sondern eher nach einer schwierigen Phase, die ihr bestimmt überstehen werdet."

„Hannah bist du hier irgendwo?", rief Sandra, die von Nicole begleitet wurde. „Ich glaube, die beiden suchen nach dir.", meinte Emil und deutete auf die zwei Gestalten, die sich näherten. Hannah atmete noch einmal tief durch und wischte sich die restlichen Tränen von ihrem Gesicht. „Geht das so?", fragte sie Emil, der nickte. „Gut." Sie stand auf ging auf ihre Freundinnen zu, die sie entsetzt anstarrten, als sie bemerkten, dass Hannah in Begleitung eines jungen Mannes war.

Zwischen Liebe und FreundschaftWhere stories live. Discover now