10. Kapitel☆

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Müde und mit schweren Gliedern stapeln meine kalten Finger das benutzte Geschirr, die Soßen und Dips, sowie das übrig gebliebene Essen von unserem Grillnachmittag auf ein großes Tablett. Geräuschvoll atme ich aus, die Williams sind ganz schön versackt. Der eigentlich geplante Grillnachmittag ist in einen langen Grillabend ausgeartet. Ich bin vollkommen erschöpft. Der ganze Tag war eine einzige Zerreißprobefür mich und meine armen Nerven gewesen. Das einzige was ich jetzt will, ist das Aufräumen schnell hinter mich bringen, in bequeme Kleidung schlüpfen und gemeinsam mit Tammi im Bett einen Film gucken. Seufzend greife ich nach dem letzten Teller, der noch auf dem Tisch steht. Doch auf halber hält meine Hand inne, verweilt orientierungslos in der Luft. Mein Blick gleitet von dem Teller über das Besteck hin zu dem Glas, welches daneben steht und an dem ein rosafarbener Lippenstiftabdruck haftet. Sofort sind meine Gedanken mit voller Wucht wieder ein paar Stunden in die Vergangenheit gereist.

Der Brotkorb mit dem Baguette war leer und viele Gläser ebenfalls, also bot ich an Nachschub aus der Küche zu holen. Alle waren hellauf begeistert gewesen, was aber eindeutig auch an dem langsam aber sicher steigenden Alkoholpegel lag. Tammi stand sofort auf und lief mir nach, um zu helfen. Gemeinsam kramten wir in der Küche die nötigen Dinge zusammen. Sie schnitt das heiße Baguette klein und ich machte einen auf Amateurbarkeeper, was zu meinem Erstaunen ziemlich gut funktionierte. Von draußen her drang über das Wohnzimmer bis hin zu uns in die Küche das Gackern der Frauen und das kehlige Lachen der Männer. Doch plötzlich verstummten diese Geräusche und wandelten sich in ein ernster klingendes Gespräch.Überrascht und mit hochgezogenen Augenbrauen sahen wir beide uns an. Mit vollen Händen gingen wir zurück und gerade als ich nach Tammi aus der Glaschiebetür trat, hörte ich Jakes Stimme, bevor ich ihn sah. Was seine Stimme sagte schoss sofort durch meinen Körper und ließ ihn erstarren. Er hatte gesagt, dass Becka, die ich bis dahin gar nicht wahrgenommen hatte und es in diesem Moment immer noch nicht richtig tat, seine feste Freundin sei. Die Tatsache, dass er sie mit hierhin gebracht hatte, um sie seinen Eltern vorzustellen war Beweis genug. Dieser Beweis traf mich so hart wie eine schallende Ohrfeige. Meine Gedanken tobten wirr durcheinander, doch gleichzeitig herrschte gähnende Leere in meinem Oberstübchen. Mit pochendem Herzen, was jede Sekunde drohte stehenzubleiben, sah ich ihn an. Ich musterte wie nah er neben ihr stand, als wären sie zusammengewachsen. Mein Blick verweilte auf seiner Hand, welche er mit solcher Vorsicht auf ihrer Hüfte platziert hatte, als könne zu viel Druck Schaden anrichten. Dieser simplen Geste lag so viel Gefühl zugrunde, doch gleichzeitig auch die zur Schaustellung einer Art von Besitzanspruch. Ich spürte wie die beißende Galle im Begriff war sich einem Weg meinen Hals empor zu bahnen, sodass ich schnell meine Lippen aufeinander presste und mit aufsteigendem Tränenschleier in den Augen, den ich zu unterdrücken versuchte, zu schlucken. Als ich mich zumindest einigermaßen wieder gefangen hatte, ließ ich meine Augen zu seinem Gesicht hochwandern. Und bei dem Anblick krampfte sich mein Herz in meiner Brust zu einem nicht mehr zu rettenden Muskelklumpen zusammen. Dieses dämliche, überglücklich Grinsen in seinem Gesicht, was wie eingemeißelt schien, gab mit den Rest. Ab diesem Moment war ich, wenn überhaupt, nur noch zu einem Minimum Herrin über mich selbst. In meinem Gesicht mussten klar und deutlich mein Schock und meine Fassungslosigkeit zu sehen sein, doch ich hoffte, dass der Schmerz nicht so offensichtlich zu Erkennen war, dass ich wenigstens seine Zurschaustellung unter Kontrolle hatte. Plötzlich trafen Jakes Augen auf meine und binnen weniger Sekunden war das Lächeln einem Gesicht gewichen, in dem Verwirrung und ein dickes Fragezeichen prangten. Der restliche Tag war pure Qual gewesen. Ich hatte versucht mich normal zu verhalten, hatte gelacht und getan als wäre nichts, als wäre alles in bester Ordnung. Doch diese ganze Situation zerrte unbeschreiblich an mir. Folter schien mir im Vergleich dazu harmlos.

Mit einem lauten Klirren deppert das Besteck zu Boden und ich bin gedanklich und nicht mehr nur rein körperlich wieder im hier und jetzt. Ich bücke mich um Messer und Gabel vom Boden aufzuheben, als ich das Knirschen von Kies höre. Verwundert richte ich mich auf und drehe den Kopf zur Seite. Schneidend ziehe ich die Luft ein. Am Fuße der kleinen Treppe zur Terrasse stand mit den Händen in den Hosentaschen Jake auf dem Kiesweg. „Hey Addy", sagt er mit seinem schiefen Lächeln und ich muss schlucken. „Was willst du Jake? Hast du was vergessen?"frage ich ihn. Ich drehe mich zu dem Stuhl auf dem er heute gesessen hatte, doch dort lag nichts. „Nein habe ich nicht, deshalb bin ich nicht hier." Unbeholfen löst er eine Hand aus der Hosentasche und kratzt sein von hellen Bartstoppeln übersätes Kinn. Ich merke wie ich innerlich unruhig und kribbelig werde „Jake, was ist los? Weswegen bist du dann hier?" frage ich ihn. Er nimmt die wenigen Stufen, bis er direkt vor mir steht und guckt mir mit einem festen und gleichermaßen fürsorglichen Ausdruck in die Augen. Daraufhin muss ich Schlucken und die Augen niederschlagen. „Ich wollte mit dir reden, weil ich mir Sorgen Mache Addy." Bei diese Aussage hebe ich den Blick und erwidre seinen. „Du warst heute den ganzen Tag komisch, so angespannt und nicht du selbst." dafür das er so doof sein kann, ist er bezüglich mancher Dinge echt scharfsinnig. Aber ich werde mir jetzt wohl kaum die Blöße geben und ihm sagen was Phase ist. Er legt seine große Hand auf meine Schulter und ich spüre dessen Wärme deutlich durch den Stoff meines Oberteiles auf meiner Haut. Seine Nähe ist das Letzte was ich gerade gebrauchen kann, doch gleichzeitig schreit alles in mir, dass er bloß nicht mehr gehen soll und seine Hand für immer auf meiner Schulter ruhen lassen soll. Gott, bin ich armselig. Normalerweise bin ich ziemlich stark, aber im Augenblick nicht, nicht im geringsten. Im Augenblick bin ich an meinem Limit, wenn nicht sogar schon drüber. „Hey",raunt er mit sanfter Stimme, als würde er mit einem ängstlichen Welpen sprechen „Ist was passiert? Bedrückt dich etwas? Fühlst du dich nicht gut?" Ja, ja und nochmal ja. Wenn du bereits weißt was alles nicht stimmt, warum bist du dann verdammt nochmal hier, schießt mir durch den Kopf. Aber die Sorge die in seinen Augen geschrieben steht ist aufrichtig und echt. Wenn du nur wüsstest Jake, wenn du nur wüsstest. Aber was los ist kann ich ihm unmöglich sagen, eher lernen Schweine fliegen, also schüttle ich den Kopf und verneine „Nein, es ist nichts. Alles in Ordnung." Ein missbilligender Zug legt sich um seinen Mund „ Komm schon verarschen kannst du wen anders, aber nicht mich. Ich kenne dich besser als jeder sonst, also spucke es schon aus." Warum kann er sich nicht einfach damit zufriedengeben und es gut sein lassen, wenn man sagt, dass nichts ist. Warum ist er nur so dickköpfig in dieser Hinsicht? Ich spitze die Lippen und reibe mir über die Stirn. In diesem Punkt sind wir gleich. Zwei sture Esel. Ich würde auch nicht locker lassen und weiter bohren, wenn ich das Gefühl hätte ihm ginge es nicht gut, oder ihn belaste etwas. Nachdenklich neige ich den Kopf. Ich will ihn nicht anlügen, aber auch nicht alle meine Karten offen auf den Tisch legen, denn dass wäre lediglich demütigend und noch mehr wäre es schmerzhaft. Also entscheide ich mich für einen Teil vom Ganzen, damit er Ruhe gibt. „Kommt da noch irgendwann etwas, oder ist das Ding zum Sprechen in deinem Gesicht nur zur Dekoration da?" Als Antwort darauf rolle ich mit den Augen und untermale dies noch damit, dass das ich das Ding in meinem Gesicht tatsächlich zum sprechen benutze, „Wenn du frech wirst gehe ich rein und du kannst dich mit der Topfpflanze hinter dir unterhalten, vom Intellekt her müsstet ihr ja auf einer Wellenlänge sein." Bevor er etwas erwidern und ich einen Rückzieher machen kann, gehe ich direkt über zu dem kleinen Teil, den ich ihm denke offenbaren zu können. „Ich war überrascht und geschockt, ehrlich gesagt bin ich es immer noch. Ich sehe dich fast eine Woche lang nicht, du warst nie in der Wohnung, ich hatte keine Ahnung wo du warst und du hast auf meine Fragen auch nicht geantwortet. Doch dann schlägst du hier plötzlich mit ihr auf und stellst sie nicht nur deiner, sondern auch noch meiner Familie als deine feste Freundin vor." Betreten kratze ich mir den Nacken, bevor ich leiser fortfahre „Warum hast du mir das nicht erzählt?" Natürlich war ich nicht nur deswegen verletzt, offensichtlich, aber normalerweise erzählen wir einander Dinge die wichtig sind. „Kann es sein, dass du Becka nicht magst?" Das ist das Erste was dir einfällt? Scharf kombiniert, natürlich mag ich sie nicht du Idiot. „Es geht nicht darum ob ich sie mag oder nicht, ich kenne sie ja nicht mal richtig. Heute war erst das Zweite mal, dass ich sie gesehen habe. Das ganze macht mich nur nachdenklich. Ich kann mich nicht daran erinnern wann du jemanden so schnell so auf diese Art und Weise gesehen hast." Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das überhaupt mal vorgekommen ist. „Gehst du das nicht alles zu schnell und überstürzt an? Wie lange kennt ihr euch? Ein paar Wochen?" Diese sorgenvollen Äußerungen sind ernst gemeint und nicht im mindesten gelogen. Jake sieht mich nur an, erwidert nichts. Doch plötzlich fängt er an zu lächeln, was in dieser Situation gleichermaßen gruselig wie unangebracht ist. Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen, damit sie im nächsten Moment direkt wieder in die Höhe schnellen können. Erschrocken schnappe ich nach Luft, als sich Jakes Arme um mich legen und in eine innige Umarmung ziehen, die sich wie der finale Todesstoß für meine Seele anfühlt. „Du hast also den ganzen Tag so neben dir gestanden, weil du dir Sorgen um mich und mein Wohlbefinden gemacht hast," flüstert er über meinem Ohr. „Das macht mich echt glücklich Addy, aber du brauchst dir nicht den Kopf zerbrechen." Ich muss nicht mal eben genannten Kopf drehen und aufschauen, ich kann das widerliche zufriedene Grinsen aus seiner Stimme heraushören. Anscheinen muss er es aber nochmal mit Worten verdeutlichen „Ich weiß auch nicht, aber ich bin glücklich, es ist echt komisch. Ich fühle mich gut und ich mag sie. Ich mag sie sehr. Das ich mich so gut und ausgelassen fühle ist wegen Becka und deshalb hinterfrage ich es dieses mal auch nicht, sondern lasse mich einfach darauf ein." Mit dem Gesicht an seine Brust gedrückt kneife ich die Augen zusammen. Das einzig Gute an dieser Position ist, dass er mein Gesicht nicht sehen kann, denn den Ausdruck in diesem will ich ihm nicht zeigen, ich würde ihn selbst auch nicht sehen wollen. Ich muss über mich selber schmunzeln, wie armselig. Er mag sie. Er mag sie wirklich und aufrichtig. Das hat man gerade aus seinen Worten und der Art wie er diese gesagt hat nur zu deutlich heraushören können. „Das ich es dir nicht gesagt habe tut mir Leid, normalerweise erzählen wir uns wichtige Dinge. Du bist mir sehr wichtig Addy, du bist wie meine kleine Schwester, und du bist meine beste Freundin, deshalb ist mir auch wichtig was du denkst. Ich hoffe echt, dass du und Becka klar kommen werdet. Aber da bin ich mir sicher, Becka ist toll." Da ist es schon wieder, dieses Wort, dieses Etikett, welches ich in diesem Leben mit Sicherheit nie loswerde. Und dann will er auch noch, dass ich mich mit diese reingebildeten, hochnäsigen, arroganten, rothaarigen Zicke anfreunde? Eher gefriert die Hölle zu. Okay jetzt reicht es, mehr halte ich definitiv nicht aus. Entschlossen lege ich die Hände auf seine feste Brust und drücke ihn bestimmt von mir um die Umarmung aufzulösen. Wenn das ganze Szenario auch nur eine Minute so weitergeht, dann schreie ich. Fragend sieht er mich an und ich zwinge mich zu einem Lächeln, was mir alles abverlangt, das ich noch aufweisen kann. „Ich denke wir haben jetzt alles geklärt oder?" Das klang abweisender und härter als ich es beabsichtigt hatte, also setzte ich noch nach, „Ich will dich nicht abwimmeln, aber ich muss." Ich mache eine Handbewegung zum Tisch. „Es muss noch der Rest hier aufgeräumt werden und außerdem habe ich meiner Mom gesagt, dass ich mich beeilen werde um dann in der Küche mit zu helfen." „Nein, nein natürlich,sorry," entgegnet Jake sofort „Ich will dich nicht noch länger aufhalten. Becka wartet bestimmt auch schon, wir wollten noch ins Kino. Du weißt ja selbst das man hier sonst nicht viel machen kann. Also, gehe ich dann jetzt schnell zurück, ja?." Schon steht er auf dem Kiesweg und geht ihn schlendernd entlang, diesmal mit den Händen in den Taschen seiner Sweatshirtjacke. Ich habe schon das Tablett gegriffen und will gerade ins Haus, als er sich nochmal umdreht. „Addy? Ich bin froh dass wir geredet haben. Gute Nacht." Mit diesen Worten verschwindet er hinter der Hecke und ich kann endlich wieder atmen, halbwegs. Meine Hände krallen sich so sehr um die Griffe des Tabletts, dass meine Finger sich schon weiß färben und die Knöchel hervortreten. In diesem Moment wird hinter mir die Tür geräuschvoll aufgeschoben und jemand fängt an zu schnattern. „Was machst du denn hier draußen so lange. Deine Mom und ich haben schon die Küche wieder fix gezaubert und du bist hier draußen immer noch zu..." Tammi unterbricht sich, als ich mich zu ihr drehe und sie anschaue. „Addy. Was ist passiert?" Ich kann nur den Kopf schütteln „Ich muss hier weg, ich habe das Gefühl ich ersticke." Tammi greift entschlossen nach meinem Ellenbogen „Dann lass uns das Ding in die Küche bringen, leer räumen und danach ab ins Auto."


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⏰ Last updated: Dec 15, 2018 ⏰

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