Sommer unter Segeln 5

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Das erste mal auf diesem Boot wacht Nicole mit guter Laune auf. Wegen der Hitze schlägt sie ihre Decke zurück, bleibt aber liegen und lauscht auf die Geräusche ihrer Familie. Ihre Mutter deckt vermutlich den Tisch und Anna ist vermutlich wie immer schon am Baden. Sie ist so eine Wasserratte und Nicole kann sie nirgends hören. Ein Blick auf ihr Handy und sie entschließt, noch liegen zu bleiben. Halb acht ist eindeutig zu früh, um aufzustehen. Verschlafen sinkt sie zurück auf ihr Kopfkissen und lässt den gestrigen Abend vor ihrem inneren Auge revue passieren. Ihre Augen sind geschlossen, aber ihr Mund verzieht sich zu einem Lächeln, als sie sich Fabians Gesicht vorstellt.
Nach ihrer Dusche war sie zurück an den Strand gekommen, wo Fabian in seinem blauen Handtuch eingewickelt auf sie wartete. "Hi NICOLE."Den Nachklang dieser Worte hört Nicole immer noch. Sie mag ihren Spitznamen "Nici" nicht, aber wie Fabian ihren vollen Namen ausgesprochen hat, war noch viel schlimmer. Sie ist immer noch insgeheim stolz auf sich, wie souverän sie reagiert hat und ruft sich die Worte noch einmal in den Kopf. "Hab schon verstanden, FABI!", dann ihr Augenrollen und ein freches zwinkern. Es war eine spontane Idee, aber er ließ wieder sein Lachen hören und Nicole wusste, dass sie sich mit diesem schrägen Vogel verstehen würde. Sie fingen an, sich ein bisschen über banales Zeug zu unterhalten. Das Wetter, ihren Tag auf dem Boot, das Meer und den Sonnenuntergang. Kurz darauf kam seine kleine Schwester, um ihn abzuholen. Nicole war ein bisschen enttäuscht, als er mit einem kurzen "Gute Nacht und bis morgen, Nici" auf seinem Boot verschwand, aber was hatte sie erwartet? Eine herzliche Umarmung?
Zumindest ist sie sich sicher, dass sie ihn heute  wiedersehen wird und allein dieser Gedanke bringt sie dazu, sich doch noch aufzusetzen. Schließlich macht sie sich auf die Suche nach etwas zum anziehen und entscheidet sich für ein blassblaues Sommerkleid mit braunem Gürtel, Spaghetti-Trägern und verziertem Bund, das noch nicht klamm und salzig ist.
Sie geht an Deck, wo ihre Mutter gerade fertig ist das Geschirr auf dem engen Tisch im Cockpit zu platzieren.
"Na? Heute gut gelaunt, Mäuschen?", fragt ihre Mutter, als sie Nicoles breites Lächeln sieht. Diese ist jetzt schon wieder kurz davor, die Augen zu verdrehen. Wer nennt seine 16 jährige Tochter denn bitte "Mäuschen"? Noch dazu hat ihre Mutter den Blick, vor dem es Nicole graut, seit sie ihren Eltern deutlich und laut erklärt hat, dass ihr der Urlaub auch nach einiger Gewöhnungszeit nicht gefallen würde. Den typischen haben-wir-doch-gleich-gesagt-Blick. Nicole will sich nicht geschlagen geben und erwidert kühl: "Ich habe mir das erste Mal auf diesem Schiff über Nacht nichts verrenkt oder bin aus dem Bett gefallen. Ja, ich bin ganz gut gelaunt." Ihre Mutter seufzt und fast tuen Nicole ihre Worte leid, aber jetzt kann sie es auch nicht mehr ändern. Ihre Mutter setzt zu einem Versuch an, mit Nicole ernsthaft zu reden, wird aber von Anna unterbrochen, die in dem Moment mit selbst aufgetauchten Muscheln und Abdrücken von ihrer Taucherbrille zurück kommt. Sie tropft auf Nicoles Füße und erntet dafür einen bösen Blick, was sie dazu anspornt, kräftig ihre Haare auszuschütteln. Wütend schubst Nicole ihre kleine Schwester ein Stück nach hinten. Gerade so kann Anna sich an den Stangen links und rechts abfangen, bevor sie auf die ausklappbare Badeinsel oder den Steg gefallen wäre. Den Geschwistern ist der Schock in den Augen anzusehen und sofort will Nicole sich entschuldigen und fasst Anna an die Schulter. Diese reißt sich los, funkelt böse und macht sich mit einem Handtuch auf, unter Deck.
"Anna warte, es war doch keine Absicht!" Nicole versucht etwas weiches in ihre Stimme zu legen, aber sie kann nicht ganz verbergen, wie gereizt sie schon wieder ist. Was kann sie denn dafür? Schließlich hat Anna angefangen.
"Du passt nie auf, immer geht es nur um dich. Ich wäre fast auf den Steinboden geknallt und du kannst dich nicht mal richtig entschuldigen!" Annas Stimme klingt gedämpft aus dem Bauch des Bootes, aber Nicole hört die Wut trotzdem klar heraus. "Sorry! Ist doch nichts passiert. Stell dich nicht an." Nicole wird auch wütend. Ihre Mutter, die vor hatte, ihre Töchter den Streit alleine lösen zu lassen, greift ein. "Nicole du entschuldigst dich jetzt anständig und dann gehst du deinem Vater entgegen. Er müsste gleich mit den Einkäufen zurück kommen."
"Aber..."
"Nichts aber!"
Nicole verdreht die Augen und murmelt eine halbherzige Entschuldigung. Sie wiederholt sie lauter und weniger genervt, nach dem unzufriedenen, auffordernden Blick ihrer Mutter. Schnell schlüpft sie in ihre schwarzen Flip Flops, um vor dem restlichen Ausgang der Situation zu flüchten und macht sich auf, in Richtung Supermarkt. Ihre gute Laune ist gänzlich verschwunden und da kann der Gedanke an den schönen Abend mit Fabian auch nichts ändern. Sie wirft einen unauffälligen Blick in das Schiff, von dem sie vermutet, dass es Fabians sein müsste. Gestern war es zu dunkel, als das sie sich jetzt sicher sein kann aber die "Maranta" scheint es wirklich zu sein. Über die Reling hängt das blaue Handtuch von Fabian. Wie sie es erwartet hat, scheint die Familie aber noch zu schlafen. Warum zur Hölle sind ihre Eltern solche Frühaufsteher?
Der "Supermarkt" ist eher ein winziger Tante-Emma-Laden und Nicole bezweifelt, dass es hier Nutella gibt. Wenn sie kein neues Nutella findet, kann der Tag gar nicht mehr besser werden.
In dem überschaubaren Geschäft entdeckt Nicole ihren Vater sofort.
"Hast du schon Nutella gefunden?"
"Klaro, willst du lieber das mit Hummer- oder Fisch-Geschmack?" Wäre sie nicht schlechter Laune, könnte sie über den Witz ihres Vaters lachen, aber so verdreht sie lieber die Augen. Außenstehende könnten meinen, es wäre ein Tick von Nicole und sie sollte es mal behandeln lassen, so oft tut sie es in letzter Zeit. Gerade so rettet ihr Vater die Situation, indem er ihr stolz ein Nutella-Glas präsentiert. Mit Nutella-Geschmack! Dieser Tag hätte noch eine letzte Chance verdient, denkt sie und überrascht sich damit selbst. Vor einer Woche hat sie dem Tag nicht mal eine einzige Chance gegeben. Sie bringt ein kleines Lächeln zu stande und hilft Ihrem Vater mit den restlichen Einkäufen.

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