-seize-

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Philippa-
„AAAAAH! PIIIIPP!" höre ich meine beste Freundin schon von weitem über den Bahnhof kreischen und sehe mich um. Sie kommt trotz des riesigen Rollkoffers auf mich zugesprintet und strahlt über beide Ohren. Als sie bei mir ankommt, lässt sie das Monstrum von Koffer fallen und springt in meine ausgebreiteten Arme. „Schön dass es endlich geklappt hat." Strahle ich und helfe ihr dann mit dem Gepäck.

„Und wie ich mich erst freue! Oh mein Gott du musst mir alles erzählen, in jedem Detail!" natürlich habe ich sie von meinen Erlebnissen immer wieder auf dem Laufenden gehalten und auch die Aktion mit Roman erwähnt, aber bin nicht genauer darauf eingegangen. So kenne ich meine Melli, immer aufgedreht und neugierig. „Keine Sorge, du wirst nicht schon an deiner Neugier sterben." „Ha ha. Sehr witzig, Philippa. Aber es zerreißt mich bald, rück raus was ist denn jetzt mit dir und Milli?" etwas unsicher blicke ich um mich, schließlich ist es in Dortmund nicht gerade unüblich den Verein und die Spieler genauestens zu kennen. „Nicht so laut." Zische ich ihr zu. „Und nein, da ist nichts." „Noch." Sie zwinkert mir zu, als ich mein Auto aufsperre und den Kofferraumdeckel öffne. „Du bist erst fünf Minuten da und schon gehst du mir auf den Geist, du Nervensäge." Ich schmunzle, ehe wir ihr Gepäck einladen. „Gott, was hast du da bitte drin?" frage ich sie gepresst, bis ich endlich den Koffer eingeladen habe. „Na was wohl, Münchner Bier." „Nicht dein Ernst." Lachend schaue ich sie an und sie zuckt nur mit den Schultern. „Na was denn? Das vermisst du sicher." „Wenn es was gibt das ich vermisse, ist es sicherlich nicht dein ekliges Öttinger." Empört schnappt sie nach Luft. „Du weißt ja nicht was gut ist." Wir steigen ein und ich starte den Motor. „Aber von wegen nur ich hab was zu erzählen. Na sag schon, das mit dem spontanen Dortmundtrip kommt nicht von irgendwo." Schmunzelnd sehe ich sie von der Seite an und sehe wie sich ihre Wangen leicht rot werden. „Okay, Erik hatte mich auch eingeladen. Und wieso nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wenn du eh schon länger hierbleibst?" redet sie sich grinsend raus und ich verdrehe lachend die Augen. „Verstehe, verstehe."

Als wir an meiner Wohnung ankommen und das Gepäck das erste Stockwerk hinaufgeschleppt haben, staunt Melli erstmal nicht schlecht. „Wow, in München wär das unbezahlbar." „Glaub mir, das hier ist auch nicht billig." Ich lasse mich auf einen der Küchenhocker sinken und sehe mich ebenfalls um. „Du kriegst das doch eh bezahlt?" fragt sie dann und setzt sich ebenfalls. „Habe ich, als sie mich unbedingt herholen wollten für Milli, aber seit ich den Vertrag unterschrieben habe und festes Gehalt bekomme, zahle ich die Miete selbst." Erkläre ich ihr. „Wie dem auch sei, coole Bude, obwohl ich dir nen anderen Einrichtungsgeschmack zugedichtet habe." Ihr Blick schweift durch die Wohnung und ich winke ab. „Ich hab hier nichts eingerichtet, ich dachte eigentlich dass mein Aufenthalt hier begrenzt ist." Nachdenklich sieht meine beste Freundin mich an. „Wie hast du dir das eigentlich vorgestellt? Ich meine du hattest dein Leben eigentlich in München und jetzt ziehst du Knall auf Fall um." In ihrer Stimme erkenne ich die Enttäuschung aber auch den Ärger. Niemand war wirklich begeistert von meinem Entschluss, auch meine Eltern nicht, aber ich habe die Chance einfach ergreifen müssen. Dass etwas in mir das auch wegen Milli getan hat, versuche ich zu verdrängen.  „Ich weiß, es kam unvorbereitet aber..." „Aber es ist deine große Chance und ich freue mich ja für dich." Lächelt sie nun und ich umarme sie. „Du bist die beste. Außerdem hast du so jetzt immer nen Grund Erik zu besuchen. Aber sag mal, was ist das jetzt?" drehe ich ihren Spieß von vorhin nun um und sofort wird sie wieder rot. „Naja, er kommt ja jetzt dann ebenfalls wieder in eure Praxis nach München. Ich frage mich wieso er mir beim ersten Mal nicht aufgefallen ist." Auch ich erinnere mich jetzt wieder daran, als Erik damals die Reha bei uns hatte. Ich hab nur einmal eine Einheit mit ihm gemacht, ganz am Anfang aber ich hatte nicht sonderlich stark auf ihn geachtet. Trotzdem tut es mir leid, dass er nun schon wieder außer Gefecht ist. „Vielleicht weil du noch zu sehr an Luca gehangen hast?" grinse ich und erinnere mich auch an ihre 2 Wochen Beziehung mit meinem Boss. „Ha ha. Sehr witzig. Das ist ungefähr schon Jahre her." Ich lache nur und gehe dann zur Kaffeemaschine. „Willst du auch einen?" „Ja, gerne. Aber sag mal, was unternehmen wir denn heute?" Nachdenklich ziehe ich die Stirn in Falten, als ich einen Blick auf die Uhr werfe. „Eigentlich wollte ich dir ja die Stadt zeigen, aber es ist schon spät und naja..." druckse ich etwas herum. „Hast du etwa ein Date?" fragt meine beste Freundin sogleich und grinst wieder. „Quatsch, als würde ich ein Date haben wenn du mich besuchen kommst. Nein, der BVB spielt gleich, und vielleicht hat Maxi sein Comeback." Erneut grinst sie und nickt wissend. „Man Melli, das hat nix mit den Küssen zu tun. Ich habe lange mit ihm daran gearbeitet, man freut sich einfach wenn der Patient wieder fit ist." Begründe ich es ausweichend, doch sie lässt mich damit nicht in Frieden.

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Zwei Stunden später sitzen wir nun mit Popcorn und Schokolade auf der Couch vor dem Fernseher und sehen zu wie die Spieler ins Stadion einlaufen. Milli ist natürlich noch nicht in der Startelf, sitzt aber auf der Bank. Ich habe die Hoffnung, dass er wenigstens ein paar Einsatzminuten bekommt. Während der laufenden Spielzeit quatschen wir über alles, was ich in München bisher verpasst habe. „Chris und Luca wollen dich übrigens auch besuchen, aber anscheinend auch nur wegen beruflichem." „Ja klar, die werten Männer wollen ja nicht zugeben, dass sie mich vermissen." Witzele ich und sehe nun wie der  vierte Offizielle eine Einwechslung ankündigt. Die grüne Zahl die aufleuchtet ist die 20 und sofort macht mein Herz einen Aussetzer. „Omg! Melli!" quietsche ich schon fast und rüttle sie am Arm. Wenig später sehe ich auch Milli, der mit Mario abklatscht und auf Spielfeld läuft. In mir fällt alle Anspannung der letzten Wochen ab und ich bin unheimlich froh, dass er es so schnell wieder geschafft hat. „Du müsstest dich mal sehen, was haben die denn hier mit dir gemacht? Du hast doch noch nie gefangirlt." Sie stupst mir leicht in die Seite und ich lache. „Ich kann mich nur wiederholen, man freut sich einfach für seinen Patienten." „Falsch. Du freust dich für Milli." Korrigiert sie mich und ich seufze resigniert auf. „Okay na schön, ich freue mich für ihn. Besonders." Füge ich dann an und Melli grinst zufrieden. „Und wann kommt ihr dann endlich zusammen?" „Man Melli!" Ich schlage sie mit einem der Sofakissen und es entbrennt eine Kissenschlacht. „Stopp jetzt, ich will das Spiel sehen." Sage ich dann lachend. „Falsch. Du willst Milli sehen." Als sie meinen absolut tötenden Vernichtungsblick sieht verstummt sie dann grinsend.

-Maximilian-

„Gutes Spiel, Milli." Jule klatscht mit mir ab und klopft mir anerkennend den Rücken. „Freut mich, dass du wieder auf dem Platz stehst." Zu meiner Verwunderung kommt dies von Roman, der sich neben mir auszieht. „Hast ja jetzt was du brauchst." Verwirrt runzele ich die Stirn. „Was meinst du?" „Naja, Fußball, Pippa..." Kurz muss ich auflachen. „Wir sind nicht zusammen. Wir verstehen uns gut." Es tut mir weh das zu sagen, schließlich haben wir uns jetzt schon zweimal geküsst, aber wirklich geklärt ist nichts. „Achso." Gibt er dann nur knapp zurück und verschwindet dann in der Dusche. Die ganzen Glücksgefühle, die mich durchströmt haben als ich endlich wieder auf dem Platz stand, sind nun wieder meinen Grübeleien gewichen. Auch ich schlüpfe nun aus meinen verschwitzten Klamotten und gehe duschen.
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Wie als wäre ich nie raus gewesen, steige ich in den Bus und setze mich auf meinen Platz neben Jadon. Der quirlige 18-jährige grinst mich über beide Ohren an und ich kann nicht anders als dies zu erwidern. „Wie geil dass du wieder da bist!" strahlt er und ich lächle. „Ich bin auch unheimlich froh, hat lange genug gedauert." Seufze ich und der Kleine nickt zustimmend. Ich stöpsle meine Kopfhörer an, ehe ich sie mir ins Ohr stecke und meine Lieblingsmusik anmache, einfach um etwas runterzukommen. Als wir vom Stadion wegfahren, kreisen meine Gedanken auch um Pippa. Mal wieder. Auch den anderen ist natürlich nicht entgangen was los war, nicht zuletzt weil das Foto von Roman im Gruppenchat herumging. Jetzt sind natürlich alle, nicht nur Erik und Jule, ständig dabei mich zu ihr auszufragen und mich anzustacheln. Einerseits bin ich mir über meine Gefühle halbwegs im Klaren, andererseits weiß ich nicht, was das alles werden soll. Zwischen uns gibt es etwas unausgesprochenes, was mich immer wieder zum Grübeln bringt.

Ehe ich mich versehe, kommen wir auch schon am Trainingsgelände an, und ich beeile mich meine Sachen zu nehmen und mich von einigen zu verabschieden, bis ich schließlich endlich in meinem Auto sitze. Ich wähle in der Freichsprechanlage die Nummer meiner Mama und fahre vom Parkplatz. „Hallo, mein Schatz. Wie geht es dir?" fragt sie so wie immer als erstes und ich lächle. „Sehr gut. Habt ihr das Spiel gesehen?" „Ja, Oma hat sich riesig gefreut dich endlich wieder spielen zu sehen. Und ich erst. Wie ging es?" „Ist noch nicht ganz schmerzfrei, aber das ist normal, denke ich." „Na, das ist ja wunderbar. Da hat deine Therapeutin gute Arbeit geleistet." Ich spüre förmlich wie sie grinst und ich schüttle lachend den Kopf. „Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Nein wir sind noch nicht zusammen." „Noch, mein Schatz. Bring sie doch mal mit nach Berlin, dann können wir sie auch kennen lernen." Ich seufze laut aus. „Mama, ich weiß nicht ob das nicht vielleicht etwas zu viel ist?" „Ach Unsinn. Frag sie doch einfach mal, wenn du sie ausführst." Ich sollte definitiv aufhören meiner Mama so viel zu erzählen. „Ist ja gut." Ich lache etwas und parke dann in meiner Einfahrt. „Mach das Beste draus, Maximilian. Wir hören uns." Ich verabschiede mich von ihr und steige dann aus.

Etwas später sitze ich auf meiner Couch und lasse meine Eindrücke von heute etwas sitzen. Ich hatte ein tolles Comeback, bin vielleicht bald zurück in der Startelf und hab vielleicht endlich eine reelle Chance bei meiner Traumfrau? Lächelnd lasse ich mich zurücksinken und bin dann bald eingeschlafen.

Mister Shyguy- nichts ist wie es scheint.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt