Sommerferien, unbändige Gefühle

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Woche 3 der Sommerferien

Gakushuu POV

Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss, als Gakushuu Asano wutentbrannt und am Ende seiner Nerven durch den Garten seines Hauses stampfte, hinaus in eine Welt, die ihn ignorierte und nicht mit Worten zerschlug.
Worte über Starke und Schwache.
Worte über Schule.
Worte über die eigene Inkompetenz.
Er hatte sich nur an die Kücheninsel gesetzt, um etwas zu essen und eine kleine Pause vom Lernen zu nehmen, damit auch er mit seinen sechzehn Jahren kurz aufatmen konnte. ,,Du siehst gar nicht gut aus. Hast du wenig geschlafen, Asano?", hatte ihn sein Vater falsch lächelnd gefragt, dabei war diese Aussage nicht einmal ausschlaggebend gewesen. Ja, er hatte schlecht geschlafen, denn er war zu seinem Bedauern auf der Couch eingeschlafen, während ihm sein Vater Worte zugesprochen hatte und in immerwährende Alpträume geschickt hatte. Wenn es hoch kam, hatte der Junge mit violetten Augen drei Stunden Schlaf bekommen, zumal ihn seit einem Tag schon Halsschmerzen quälten und der trockene Hals ihn ständig dazu brachte, beim zu tiefen Luft hohlen zu husten. So war er nass geschwitzt aufgewacht, um vier Uhr morgens, unter dem höhnischen Blick seines Vaters.
,,Du hast dich wirklich schnell auf dem Präsentierteller serviert.", hatte dieser immer weiter gelächelt, während er von hinter dem Sofa auf seinen Sohn hinabblickte, dessen Nerven bereits am Ende waren. Dabei hatte der Tag kaum angefangen. Es hätte alles anders enden können, hätte er in sein Zimmer gehen können, doch stattdessen hatte ihn sein Vater einer Lektion über Schwache und Starke unterzogen und wie er im Schlaf ganz einfach ausgenutzt werden könnte.
Dieses Haus war eine reine Tortur geworden-eine Schule. Obwohl sich Gakushuu meist in der Schule lieber aufhielt. Dort war er immerzu der Starke, alle sahen zu ihm auf und preisten ihn für seine Stärke. Keine fallende Fassade, keine Schwachpunkte und nicht immer ein Vater, der jede Situation nutzte, um ihm eins auszuwischen. Nur an Tagen wie solchen kam der kleine, lang verbannte Gedanke an seine Mutter zurück. Ob es anders gewesen wäre mit ihr? Doch er schüttelte seinen Kopf und damit jegliche dieser Gedanken ab. Er hatte keine Zeit für solch belanglose Gedanken, da sie ihm in seiner Situation nicht halfen. Er sah in den Himmel, die Stirn in tiefe Falten gelegt und verfluchte den Tag. Es war ungewöhnlich kalt für einen Sommertag, so trug er nur ein T-Shirt und eine Jeans, weil er gedacht hatte, dass es reichen würde.
Nie in seinem Leben hatte er eine Vaterfigur haben wollen, denn was er von Vätern kannte-Tch. Darauf konnte er auch verzichten. Asano Senior war es zwar zu verdanken, dass Gakushuu der kluge und selbstbewusste Junge war, zu dem er erzogen wurde. Doch der Hass für seinen Vater und den restlichen fehlenden Dingen, die ein Kind gebraucht hätte, war sehr groß. Aber das alles war nicht mehr von Relevanz für ihn. Er war nun nahezu erwachsen. Und genau deswegen wollte Gakushuu sich seinen Vater als Haustier halten. Gefesselt mit einer Leine, immerzu von ihm abhängig. Das war sein großes Ziel im Leben und trieb ihn weiter, während die Gier nach diesem Bild in seinem Kopf immer mehr anstieg. Mit jedem Wort, dass von seinem Lehrer fiel. Gakushuu zuckte kurz unter der kleinen, aber Druck innehabenden Berührung auf seiner Nase zusammen. Ein Tropfen rutschte seine Nase hinab, auf seine Wange und hinterließ eine kalte Spur. Der nächste Tropfen traf seine Stirn und der nächste seinen frei liegenden Arm.
,,Das hat mir gerade noch gefehlt.", murmelte Gakushuu erzürnt vor sich her. Würde es nun regnen, hatte er weder Regenschirm noch eine andere Art von Schutz bei sich. Es würde kalt werden, doch die Wut in ihm warf ihn ins Feuer. Adrenalin durchzuckte seinen Körper, während er versuchte, seinen Hass zu bändigen. Denn es brachte doch nichts, sich über seinen Vater aufzuregen. Er sollte die Zeit nutzen um sich zu überlegen, wie er ihn als nächstes ausspielen konnte. Doch außerschulisch gab es wenig, womit er seinen Vater in die Schuhe spielen konnte, da er nichts von ihm wusste. Er ging weder aus, noch traf er sich oft mit Freunden. Das einzige was er tat, waren seine morgendlichen Joggingrunden um die Straßen.
Nach nur einem weiteren Gedankengang fing es plötzlich wie aus Eimern an zu regnen, als sei es Jahre her und das getrocknete Lande sehnte sich der Nässe hin.
,,Scheiße!", fluchte Gakushuu laut, aber jetzt war es zu spät. Er würde definitiv nicht nach Hause gehen, nicht bis Morgen früh, so würde er sogar lieber bei Sakakibara übernachten und warten, bis sein Vater am nächsten Tag um sechs Uhr früh endlich in den Urlaub fliegen würde. Der Junge wusste ganz genau, wieso er nicht mit in den Urlaub kam, davon abgesehen, dass er nicht einmal gefragt wurde. Zwölf Tage mit diesem Mann in einem fremden Land? Never ever.
Gakushuu rieb sich die Arme, denn die Kälte drang allmählich zu ihm durch betäubte seine Sinne. Reichte es nicht, dass seine Stimmung bereits im Tief war? Musste es ihm das Wetter auch noch unter die Nase reiben? Wieso rannte er ausgerechnet an dem Tag des heißen Sommers hinaus, an dem es kalt war und noch dazu Regen hervorsah? Er hatte einfach kein Glück und das frustrierte ihn. Doch ein Gedanke der Glückseligkeit überfiel ihn und das zarte Gesicht, mit den lila/roten Augen kam ihm in den Sinn. Und wie gerne er das Lila in ihren Augen gesehen hätte, dass nur ein Mal ihre Iris übernahm. Denn das rot dominierte immerzu. Sie war die einzige Stütze, an die er sich wirklich anlehnen konnte ohne in Sorge zu verfallen, dass man seine Schwachpunkte ausnutzte.
Er schniefte und rieb sich mit dem Handrücken über die Nase. Eine warme Spur legte sich auf diesen Bereich und normalerweise hätte er sich selbst geekelt, doch sein Gemütszustand übernahm die Kontrolle. Er ballte seine Hände zu Fäusten, doch durch die Kälte fiel es ihm zunehmends schwer und auch seine Beine fühlten sich schwer an, die Füße hingegen erlagen bereits der Taubheit. Doch er musste weiter laufen und sich warm halten. Plötzlich durchfuhr ein Kribbeln seine Nase und er verzog das Gesicht, bevor er niesen musste. Ihm blühte Schlimmes. Würde er krank werden, würde es ihn vom Lernen abhalten und sein Vater würde merken, dass etwas nicht stimmte, wenn er anrief oder vom Urlaub wieder kam. Dieser Mann spürte die Atmosphäre eines Schülers, der lernte. Ihm entging nichts in diesem Gebiet. Doch Gakushuu musste zugeben, dass ihn eine gewisse körperliche Schwäche übermannte.
,,Nein.", fuhr er sich selbst laut an. ,,Du läufst weiter. Du bist nicht schwach."
Und so lief er mit einem neuen Anflug der Motivation-so konnte man es vielleicht nennen-immer weiter. Er merkte sich nicht wohin und es interessierte ihn auch nicht. Irgendwann würde er irgendwo ankommen, an einem Platz, an dem er ruhen kann. Er würde warten, bis sein Vater vor dem Flug zu Bett gehen würde. Für Flüge wollte er immer ausreichend Schlaf haben, damit er im Flugzeug weiter arbeiten konnte.
Sprich, würde er gegen zwölf Uhr oder halb eins Morgens zu Bett gehen. So lange würde er draußen bleiben, sich einen Ort suchen. Aber jeder Schritt wurde mit einem Mal unerträglich und er rieb sich müde die Augen. Nein! Er musste weiter. Doch die Verlockung war groß und wiegte schwer auf seinen Schultern, sich einfach zu setzen, nur für kurz. Er wollte ein Mal schwach sein, aber es wäre dumm. Er würde sich vermutlich so oder so eine Erkältung zuziehen, auch wenn er ein gutes Immunsystem hatte. Es waren gefühlte fünf Grad und er sah auf seine Hände, die bereits blau waren und kaum zu bewegen waren. Die Kälte fing nun an, sich in sein Inneres zu drängen und es legte sich ein Druck auf seinen Brustkorb, sodass ihm das Atmen schwer fiel.
Es konnte so einfach sein, schwach zu sein. Aufgeben war immer einfach, aber dafür war Gakushuu nicht geboren. Er konnte nicht und durfte nicht, was ihn sein Verstand versuchte zu sagen, doch sein Herz sagte, dass er ruhen sollte.
Er solle sich einfach an den Straßenrand setzen und dort verweilen, bis der Regen auf hörte oder er neue Kräfte gesammelt hatte. Die Verlockung war so groß, dass der Junge in einem Moment des unbedachten Handelns tatsächlich stehen blieb. Er sah sich schwer atmend um, sein Hals schmerzte und jeder Atemzug raubte ihm den Verstand. Ziemlich schnell war er auch noch gegangen, sodass der Wind immerzu gegen seinen Körper gepeitscht hatte.
Wieder wurde ihm kalt und die einzige Lösung wäre gewesen, weiter zu gehen, nach Hause und sich zumindest ins Warme zu begeben. Kurz spielte er sogar mit dem Gedanken, an eine fremde Tür zu klopfen. Aber Gakushuu Asano brauchte keine Hilfe, dachte er und bewegte sich auf den Straßenrand zu.
Eine Schwäche übermannte ihn.
Er trat auf die verregnete Straße, während der Regen unaufhörlich auf ihn einpreschte und setzte sich hin. Der Boden überbrachte ihm seine Kälte und er rieb sich die Arme. Es könnte einfach sein, einfach die Augen zu schließen und alles vergehen zu lassen. Sein Vater? Der würde höhnisch lachen oder sich aufregen, was für ein inkompetentes Kind er zur Welt gebracht hatte. Er musste gestehen: wären sie sich äußerlich und charakterlich nicht so ähnlich und er hätte seine Geburtsurkunde nicht gesehen, hätte er sogar die Vaterschaft von Gakuho Asano angezweifelt. Verbittert lachte der Junge kurz auf, alsbald ihn erneut das Husten durchrüttelte.
Wieso musste er alles alleine durchmachen? Konnte er sich nicht helfen lassen ohne den Gedanken an Verlieren und Gewinnen zu verschwenden? Sein Vater hatte ihn viel zu sehr bearbeitet, als das dieser Junge noch wie ein gesunder Teenager denken konnte. Immerzu der Wettkampf. Immer wieder war er der Beste. Und doch erfüllte es ihn nicht. Es war ein großes Puzzle. Jedes einzelne Teil war perfekt an seinem Platz, doch ein einziges Teil fehlte und so suchte der Junge seit Jahren das passende Stück.
,,Gakushuu?", hörte er am Rande des Bewusstseins eine weibliche Stimme, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er sah sich schwach um und erblickte das Mädchen, dass er mögen gelernt hatte, gar mehr für sie empfand, als er sich zumuten konnte. Sie kam sichtlich besorgt auf ihn zu, einen Regenschirm in der Hand haltend.
Schützend hielt sie den Schirm über ihn, als sie sich hin hockte und auf seine Höhe kam. Eine warme Hand legte sich auf seine eiskalte Wange, hinterließ ein wohliges Gefühl der Vertrautheit und schüttelte ihn durch.
,,Huh!", entkam es ihr erschrocken. ,,Du bist kalt wie der Tod selbst! Komm, steh auf.", forderte sie auf und zog ihn bereits am Oberarm. Nur durch ihre Augen hatte er sich aufrappeln können, denn sie waren die Motivation, die er im Leben brauchte. Wie sie mal gefährlich, mal neckisch, mal gefühlvoll und mal aufgeregt aufblitzten. Keine Note der Welt war Motivation genug, wie ihre Augen-und der Gedanke es seinem Vater heim zu zahlen.
Als er stand, verlor er kurz das Gleichgewicht, was Mia zu seinem Glück entgang. Sie harkte sich bei ihm ein, während sie den Schirm über ihn hielt und ihn sanft in eine Richtung zog.
Gakushuu starrte auf das Mädchen neben ihn und auf das neu gefundene Puzzlestück. Es sah perfekt passend aus, aber ob es das wirklich tat? Eine kleine Unterscheidung zu der Aussparung und das Puzzlestück würde niemals hinein passen.

Just let go.Where stories live. Discover now