58) Training

1K 49 4
                                    

A N D I

„Jetzt gehts auf ins Training, kleiner Mann" sage ich zu Linus und schnalle ihn in mein Auto als Antwort quietscht er freudig.
Heute steht noch einmal Training mit dem ganzen Team, inklusive den Damen, in Oberstdorf an, ehe es in einer Woche schon nach Wisla, zum ersten Wettkampf des Winters, geht. Um die Zeit mit Linus noch bestmöglich zu genießen, nehme ich ihn heute einfach mit. So kann sich Amelie auch einmal einen ruhigeren Tag gönnen und vielleicht ein wenig schlafen, denn sie ist diejenige, die nachts immer aufsteht, wenn Linus weint. Ich sage immer, dass ich auch aufstehen kann, aber sie redet mich dann so klein und bis ich mich versehe ist sie schon aufgestanden.

Vor unserem Abflug nach Polen muss ich auch unbedingt noch bei mir zu Hause in der Wohnung vorbeifahren, denn seit Linus auf der Welt ist war ich nicht oft dort, einmal um genau zu sein. Vielleicht können wir uns ja demnächst nach einem Eigenheim für uns drei umschauen, aber mit dieser Idee warte ich lieber noch ein wenig, denn ich will Amelie nicht überrumpeln.

Ohne Zwischenfälle erreichen wir beide Oberstdorf. Der kleine hat die ganze Zeit geschlafen, wie eigentlich immer. Baby müsste man sein! Essen, schlafen, essen! Ich schnappe mir meine Sporttasche und die Wickeltasche aus dem Kofferraum und nehme die Maxi Cosy in die freie Hand. Vor der Tür zu den Umkleideräumen warten schon ein paar der Jungs. Ich werfe ein fröhliches „Servus" in die Runde und Geselle mich zu Stephan und Markus. „Na wie läufts, Vatti?" fragt Markus sofort und nimmt mir die Babyschale ab. „Erstaunlich gut! Der kleine schläft eigentlich andauernd"
Genau in diesem Moment kommt Werner auf uns zu. „Na endlich lerne ich Linus auch mal kennen" sagt er und schaut neugierig in die Babyschale. „Das Aussehen hat er eindeutig nicht von seinem Vater" scherzt er und geht hinter den anderen in das Gebäude. „Habt ihr das gehört? Der hat mich total beleidigt" meine ich gespielt entrüstet.
Im Übungsraum wartet schon ein Teil der Damenmannschaft auf uns. Das letzte Training in Deutschland, bevor die Saison beginnt, absolvieren wir immer zusammen mit den Damen, um einfach den Kontakt zu halten, denn wir verstehen uns alle sehr gut und sehen uns während der Saison leider nur sehr selten. Eigentlich nur bei Weltmeisterschaften oder Olympia.

„Na Andi, wen hast du denn heute dabei?" sagt Carina und kommt auf mich zu. Auch die anderen Mädels versammeln sich um Linus. „Typisch" kommt es von einem der Jungs. „Och Mensch, der ist total süß" quietscht Katha. „Wie heißt er denn?" fragt Ramona. „Das ist der kleine Linus. Und er ist jetzt schon so verstört, dass er wahrscheinlich in seinem Leben einen weiten Bogen um jedes weibliche Wesen machen wird" sage ich und wie auf Kommando rollen alle Mädels mit den Augen. „Wie kommt es überhaupt, dass dir irgendjemand ein Kind zum babysitten gibt?" sagt Carina belustigt. „Warum wohl? Weils seins ist" sagt Markus, der mir zur Hilfe geeilt kommt. „Haha, sehr witzig. Und jetzt die Wahrheit" bohrt sie weiter. „Das ist die Wahrheit" sage ich schon ein wenig genervt" Gott sei dank hat der kleine einen guten Schlaf, sodass er das ganze gar nicht mitbekommt. „Oha Andi! Das hätte ich nicht gedacht, herzlichen Glückwunsch!" Katha und Carina und auch die anderen umarmten und beglückwünschen mich.
Das Training macht richtig Spaß und ich merke, wie groß die Vorfreude auf die neue Saison ist, auch wenn das bedeutet, dass ich ziemlich viel verpassen werde. In den letzten Jahren waren das immer Geburtstage, Familienfeiern und zahlreiche legendäre Partys! Jetzt verpasse ich an jedem einzelnen Tag einen Schritt in der Entwicklung meines Sohnes und lasse ihn quasi mit seiner Mutter allein! Auch wenn es nicht so ist, also, dass ich die beiden alleine lasse, es fühlt sich dennoch so an, da ich sie einfach in Menschen Situation nicht unterstützen oder Amelie helfen und ihr etwas abnehmen kann.

„Andi, ich glaube du hast zwei neue potentielle Babysitter" Stephan unterbricht meine Gedanken. Und ich schaue in Richtung Linus. Schon wieder stehen Katha und Carina um ihn herum. „Richtiger Frauenschwarm" sagt Markus lachend. „So lange sie ihn nicht aufwecken" Tja, zu früh gefreut, denn genau in diesem Moment fängt der kleine an zu weinen. Ich werfe einen fragenden Blick in Richtung Werner, der sofort nickt.
Dann gehe ich zu Linus, hebe ihn vorsichtig aus seiner Babyschale heraus und gehe mit ihm auf dem Arm nach draußen.
Beruhigend streiche ich ihm über den Hinterkopf und wippe ein wenig hin und her, bis er sich wieder beruhigt.
Als wir wieder zurück in den Kraftraum gehen, grinst er schon wieder fröhlich und brabbelt munter vor sich hin, was für eine Runde Lachen der Teamkollegen sorgt.

Anders als du denkst (Wellinger/ Kraft +  Team) Skispringen Where stories live. Discover now