Aussprache

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Mit leerem Blick schaue ich Z. an.
"Sie haben wirklich keine Ahnung, was ihre ach so tolle Chefin für eine Frau ist, nicht wahr?"
"Natürlich nicht! Du hast es mir ja nie sagen wollen."
Nein, das stimmt nicht. Ich wollte es ihr sagen. Ich wollte allen die Wahrheit zeigen. Ich wollte, dass man mir hilft.
Aber noch mehr wollte ich, dass SIE aufhört.

"Wollen sie es hören?", frage ich sie ohne, dass mein Gesicht irgendwelche Emotionen zeigt. Welche auch. In mir ist nur noch diese undefinierbare Kälte.
Verdutzt schaut Z. mich an. Plötzlich zieht sie die Augenbrauen zusammen und fragt mich nachdenklich:
"Warum jetzt auf einmal?"
Typisch Psychotussi. Immer gleich das Haar in der Suppe suchen.
Doch dieses Haar würde ich ihr nicht gönnen. Diesmal nicht. Das hier ist meine Suppe und ich will sie genau so haben, wie sie jetzt ist.

"Wollen Sie wissen, warum ich tat, was ich getan habe? Wollen Sie wissen, warum ihre ach so schöne Anstalt mein Leben zerstört hat?
Wollen Sie wissen, warum Sie selbst Schuld daran sind?
Wollen Sie wissen, was Peters mir alles angetan hat?
Überlegen Sie es sich gut. Was man einmal gehört hat, kann man nicht vergessen.
Noch können Sie einfach gehen und diesen Tag vergessen.
Wenn ich es Ihnen erzählt habe, werden Sie auf ewig mit dieser Schuld leben müssen."

Z. schaut mich lange an. Die Beine überschlagen und mit einem Stift in der Hand.
Genau wie damals.
Ich weiß, dass sie weiß, wie ernst ich es meine. Ich kenne sie besser als viele andere und sie kennt Teile von mir, die niemand anders kennt.

Außer Peters. Diese Frau hat schon jeden einzelnen Aspekt meines Seins gesehen.
Hat jeden einzelnen von ihnen gebrochen und sich Untertan gemacht.
Hat mich gezwungen Dinge zu sagen, die jegliche Würde meinerseits zerstört haben.

Nach ein paar Minuten, in denen ausnahmslos alle Anwesenden in fast schon ehrfürchtiger Stille auf Z.'s Antwort gewartet haben, nickt sie schließlich.

"Erklär mir, wo diese unglaubliche Verzweiflung in deinen Augen immer wieder herkam."

Es ist mir egal, dass auch alle anderen in meinem Kurs mich hören können.
Jetzt zählt nur noch eins:
die Wahrheit.
Nicht, dass das irgendeinen Sinn hätte, außer mir endlich die Erleichterung zu verschaffen mit jemandem darüber zu reden.

"Ich kam in die Anstalt, weil niemand mich verstehen konnte. Niemand verstand meine Entscheidung zu sterben und niemand verstand, warum ich deshalb nicht einmal traurig war.
Niemand verstand, dass ich, völlig ohne jegliche Emotionen, meinen Weg gefunden hatte und der war für mich nunmal schon zu Ende.

Anfangs wurde ich noch zu unterschiedlichen Therapeuten geschickt aber weil keiner von ihnen auch nur ansatzweise versuchte auch mal meine Seite zu verstehen, anstatt nur auf der Richtigkeit ihrer "Wahrheit" zu beharren, hörte ich bald auf auch nur ein Wort mit ihnen zu reden.

Als sich genug über das unnormale, frustrierende Mädchen beschwert hatten, kam ich zu Ihnen."

Z. sieht mich an. Regungslos.
Mein Lehrer steht in seiner Ecke und scheint völlig überfordert mit der Situation.
Meine Mitschüler sehe ich nicht an.

"Auch da habe ich mit niemanden geredet aber eigentlich ging es mir gut. Ich war zufrieden mit der Welt und auch mit mir, auch, wenn es nicht so aussah. Ich hatte erkannt, dass ich keinen weiteren Nutzen hatte und war einverstanden damit.

Bis ich irgendwann Peters vorgestellt wurde.
Weil ich "eine besonders harte Nuss" wäre, wurde ich zu ihrer persönlichen Patientin.

Jeden Tag musste ich zu ihr.
Nachdem sie meine Akte gelesen hatte, hat sie mir damals erzählt, war ihr sofort klar, dass ich einen richtigen Grund für meine Suizidgedanken haben müsste und sie versuchte alles, um diesen Grund aus mir raus zu bekommen.
Ich bin sogar auf sie eingegangen und habe ihr erklärt, dass es keinen anderen Grund als logisches Denken gab aber sie ignorierte meine Einwände jedes Mal, so dass ich irgendwann aufgab.

The EndWhere stories live. Discover now