Kapitel 3

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„Ich hoffe es", murmelte ich, bevor ich den Anruf annahm und durch die andere Balkontür in das Wohnzimmer lief. „Hey, Mama."

„Hallo! Mensch, Fiona, wir vermissen dich jetzt schon! Wie ist es in London? Habt ihr schon Leute kennengelernt?"

Sofort plapperte Mum los und ich lächelte etwas. Genauso kannte ich meine Mutter: Immer sofort alles aus einem rausquetschen und sich dabei noch Sorgen um einen machen.

„Wir sind doch erst seit einem Tag hier, Mama", erklärte ich ruhig und setzte mich auf meine Matratze, die ohne ein Bettgestell einfach auf dem dreckigen Boden lag. Wir mussten hier sofort putzen.

„Aber wir haben bereits Leute kennengelernt. Unsere Nachbarn, die direkt gegenüber von unserer Wohnung leben. Sie sind sehr..."

Fies. Unfreundlich. Unhöflich. Kein bisschen hilfsbereit. Zumindest einer von ihnen.

„... nett", sagte ich und presste das letzte Wort gezwungen raus. Wenn ich meiner Mutter sagen würde, dass hier ein Mistkerl namens Hayden wohnte, wäre sie entweder komplett verwirrt und würde denken, er würde zur Mafia gehören (jeder, der sich entgegen der Norm verhielt, war für meine Mutter ein Teil der Mafia) oder würde wollen, dass ich nochmal mit ihm rede (und das würde ich garantiert nicht tun!).

„Echt? Vielleicht ist einer der Jungs etwas für dich!", erwiderte Mum überrascht und ich hörte die Erleichterung in ihrer Stimme. Zwar hatte ich schon zwei Freunde bisher gehabt, aber nie waren diese etwas wirklich Festes gewesen und meine Mutter hoffte fest auf England, dass ich dort den Richtigen fand. Ich glaubte da kein bisschen dran, aber ich würde ihr nicht die Hoffnung nehmen.

Zum Glück hatte sie noch nicht nach der Wohnung gefragt.

„Ja, die sind echt ganz cool drauf. Einer ist wirklich hilfsbereit und hat uns beim Möbelschleppen geholfen! Die haben auch eine Party gemacht, die ganz okay war. Aber da ist kein besonderer Junge bei, Mama", sagte ich und fuhr durch meine Haare. „Die sind nett, aber da wird sich nichts entwickeln", betonte ich nochmal, doch meine Mutter würde diese Worte höchstwahrscheinlich gekonnt ignorieren.

Ich schwieg kurz, dann fiel mir etwas ein. „Annes Cousin bringt uns um zwei Uhr unseren Wagen vorbei, dann können wir ein paar Sachen schon mal einräumen."

Exakt. In die Regale einräumen, die gar nicht existieren.

„Wie ist denn die Wohnung? Ist sie so schön wie auf den Bildern, die du mir gezeigt hattest?"

Mist. Jetzt konnte ich dem Thema nicht mehr aus dem Weg gehen. Ich fuhr mir durch die wuscheligen Haare und drehte danach eine blonde Strähne um meinen Finger. „Da gab es ein paar Probleme. Die Wohnung ist nicht wirklich so, wie wir sie uns vorgestellt haben und du weißt doch noch, was für Möbel auf den Bildern drauf waren, oder? Die sind hier nicht. Eigentlich ist hier nichts, außer der Möbel für Küche und Badezimmer."

„Was?" Die schrille, nun panische Stimme meiner Mutter ließ mich erschrocken meine Strähne loslassen. „Ihr zieht da sofort aus, Fiona. Sofort. Wer weiß, was da sonst alles sein könnte? Habt ihr an Ungeziefer gedacht? Die sind gut im verstecken und-"

„Mum, wir wollen heute schon nach einer neuen Wohnung suchen, keine Sorge. Wir haben von den Nachbarn, von denen ich gerade erzählt hatte, ein paar Sachen bekommen. Sie haben sogar heute Morgen für uns eingekauft. Aber keine Sorge, wir werden nach einer neuen Wohnung suchen. Nur unser Vermieter kann leider nicht helfen, weil er momentan verreist ist. Wir sind da auf uns allein gestellt."

Verreist ist gut. Er wird sich nicht einen Millimeter in Mexiko für uns bewegen, das hatte Marlene schon gestern gesagt.

„Fiona, bitte sucht euch eine neue Wohnung", wisperte Mum und ich lächelte etwas.

„Das machen wir, Mum. Keine Sorge. Wir gehen heute in die Stadt und finden dort bestimmt ein Internetcafé oder so. Annes Cousin kümmert sich um das Internet erst in zwei Tagen."

Ich hörte Mama seufzen und ich biss mir auf die Unterlippe. Ich konnte mir vorstellen, wie sehr sie sich gerade Sorgen machte. „Es ist alles gut, Mama. Die Nachbarn haben uns geholfen und bis auf das Problem mit dem Vermieter hat alles gut geklappt."

Mama seufzte erneut und sagte dann: „Okay, melde dich nochmal, ja? Soll ich morgen einfach wieder um diese Zeit anrufen?"

„Ja, gerne. Und ich vermisse euch", flüsterte ich und drängte die Tränen zurück, die sich bemerkbar machten.

Ich wollte es verdrängen, doch das Heimweh war bereits nach einem Tag riesig. Ich vermisste mein Zuhause, in dem alles vorhanden war und nicht eine einzige Baustelle vor uns lag.

„Wir dich auch, meine Kleine. Papa hat schon die ganze Zeit Terror gemacht, weil er am liebsten direkt nach eurer Landung gestern angerufen hätte. Filippa vermisst dich übrigens auch ganz stark. Sie fragt die ganze Zeit, wo ihre Tante ist."

Ich lächelte und biss mir auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzuhalten. Meine kleine Filippa, dieses tollpatschige Kind. Es war wie ich, nur eine jüngere Version.

Ein Klingeln an der Tür ließ mich hochschrecken. „Anne? Marlene? Macht ihr auf? Ich sehe aus wie ein Zombie!", rief ich, während ich mir frische Klamotten zusammensuchte. „Mama? Ich muss auflegen, wir müssen noch in die Stadt und alles. Wir telefonieren später noch, okay?"

Wir verabschiedeten uns voneinander und ich verschwand schnell ins Badezimmer.

Schnell duschte ich mich und band meine Haare danach hoch, während ich mir mein Gesicht wusch und danach in die frischen Klamotten schlüpfte. Als ich aus dem Badezimmer kam, sah ich, wie Annes Cousin im Wohnzimmer stand und sich alles anguckte, bevor er sich vor den kleinen Fernseher hockte, den Nils uns vorläufig gegeben hatte.

„Hey!", rief ich lächelnd und trat zu ihm. Er drehte sich um und lächelte mich an. „Ich bin Fiona", stellte ich mich auf Englisch vor und er nickte.

„Ich bin Nick. Wir fahren gleich alle zusammen in die Stadt, dann zeige ich euch mal London, aber ich wollte vorher noch versuchen, dass euer Fernseher ein paar Sender empfängt", antwortete er und ich grinste.

„Ich kann es kaum abwarten, endlich loszufahren!"

Swallows: The Connected Soulsحيث تعيش القصص. اكتشف الآن