Kapitel 1

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24.08.1882

Heute war ich in einem Stück von Richard Wagner. Ein toller Komponist. Mit Parsifal hat er ein wundervolles Stück erschaffen.

Es war ein ruhiger Tag. Schon seit fast zwei Wochen habe ich keinen mehr in den Tod begleitet und ich denke, ich beherrsche mich gut. Ich habe noch kein Verlangen nach Energie. Ich hoffe, dass das so bleibt, denn mein Leben hat sich beruhigt.

Die ersten paar Monate nach meiner „Verwandlung" waren anstrengend. Das Verlangen so weit zu kontrollieren, dass ich nur noch alle paar Tage eine Seele begleiten muss, hat lange gedauert.

Doch jetzt genieße ich es, nicht mehr so oft Menschen sterben zu sehen.

Ich hoffe, dass es auch so bleibt.

H.



Fiona

Zögernd guckte ich erneut aus dem Fenster des Taxis, doch die Umgebung blieb bestehen: Wir waren im Ghetto Londons angekommen.

„Wo genau wohnen wir nochmal?", wisperte Anne niemand Bestimmtem zu und sprach damit aus, was wir alle dachten. Wo waren wir gelandet?

„Okay, hier sind wir", sagte der Taxifahrer auf Englisch und wir schreckten alle etwas zusammen. Seit wir losgefahren sind, hatte er nichts von sich gegeben.

Skeptisch sahen wir nun nach draußen. Hier sollten wir wohnen? Die Häuser waren hier ziemlich heruntergekommen. Bei den meisten war die Fassade bröckelig und man erkannte sofort, dass sie entweder nicht bewohnt wurden oder die Mieter sich nicht dafür interessierten, wie ihr Haus aussah. Wie sollten wir hier ein halbes Jahr leben?

Marlene war die Erste, die sich regte und den Mann unentschlossen anlächelte. Sie sprach aus, was wir alle drei dachten. „Sind wir hier wirklich richtig? Das sieht so anders aus als auf den Fotos."

Der Taxifahrer lachte leise. „Glauben Sie mir, Miss, das ist oft so in dieser Gegend. Das ist aber die richtige Adresse."

Langsam nickte Marlene und schien sich mit dem Gedanken abzufinden, dass sie hier wohnen müsste. Ob ich mich jemals mit diesem Gedanken abfinden könnte, würde sich herausstellen.

„Okay... Wie viel wäre das dann?"

Während Marlene die Taxifahrt bezahlte, stiegen Anne und ich aus dem Wagen und holten unser Gepäck aus dem Kofferraum.

Ich drehte mich zögernd zu den Häusern um und widerstand dem Drang, meine Mundwinkel nach unten zu ziehen. Hinter uns fuhr das Taxi mit quietschenden Reifen los- Der Fahrer konnte es auch nicht abwarten von hier wegzukommen.

Wir waren im Nirgendwo von London. Die Häuser sahen alle so aus, als hätten sie nur ganz knapp den Zweiten Weltkrieg überlebt. Und wären danach nicht renoviert worden.

„Ich wusste natürlich, dass wir eine billige Wohnung haben werden und nicht viel erwarten dürfen, aber so was? Wir müssen auf jeden Fall umziehen!", zischte Anne und bevor ich etwas sagen konnte, erschien Marlene hinter ihr mit ihrem Gepäck und lächelte uns an. „Na kommt, machen wir das Beste draus. Wir wohnen in 71b."

Ohne lange suchen zu müssen, fand ich das Haus. „Da liegt das Schild", gab ich zögernd von mir und zeigte auf ein blaues Schild, das auf der kleinen Wiese davor lag. Anne seufzte nur und motiviert zog Marlene ihren Koffer auf das Haus zu.

Es war grausam. Wir hatten gedacht, dass die Fassade des Hauses bröckelig war, aber das Innere war doppelt so schlimm. An den Wänden waren Schrammen, als hätte jemand ein Messer an der Wand entlang gezogen. Und das mehrmals. Daneben waren zusätzlich braune Flecken.

Swallows: The Connected SoulsWhere stories live. Discover now