Und ich hasste meine Aufgabe, sie begleiten zu müssen. Ich hasste es. Doch ich wollte leben und dafür musste sie sterben, so egoistisch das auch war. Das war seit Jahren meine Aufgabe und die würde ich auch weiterhin erfüllen. Das war das Einzige, was ich noch im Leben besaß.

Ich legte ihr meine Hand auf die kaum bedeckte Brust. Eigentlich hätte ich auch ihre Hand ergreifen können, aber die eine war unter ihr bedeckt und die freie Hand hatte zwei Finger, die bereits dick angeschwollen waren und blau anliefen. Da hatte ich zu sehr die Angst, dass ich sie noch mehr verletzen würde.

Welch Ironie. Ich wollte sie nicht mehr verletzen, obwohl sie in wenigen Sekunden tot wäre. Mit mir stimmte wahrscheinlich auch schon lange etwas nicht mehr.

„Keine Sorge, es dauert nur ein paar Sekunden. Danach bist du erlöst", sagte ich leise und erhöhte den Druck auf ihre Brust. Doch ich berührte sie nicht zu fest. Auch wenn sie starb, sollte sie Respekt bekommen.

Ich öffnete mich für ihre Seele und war bereit, alles von ihr aufzunehmen, doch es dauerte, bis ich Fionas Seele spürte. Und ich spürte auch, wie sie sich wehren wollte. Sie wehrte sich? Das hatte noch nie ein Opfer gemacht. Normalerweise waren sie meistens bereit für den Tod oder zu schwach, um noch dagegen zu kämpfen.

Unbeirrt von ihrer Stärke fuhr ich fort, ihre Seele an mich zu binden, damit ich sie begleiten konnte. Aber sie kämpfte weiterhin gegen mich an. Als sie ihre Augen flatternd aufschlug, wusste ich dennoch, dass ich es richtig ausführte. Nach Jahrhunderten hätte es mich gewundert, wenn ich es falsch gemacht hätte.

Ihre Augen konnten keinen festen Punkt fokussieren, bis sie mich sahen. Sie kniff ihre Augen etwas zusammen und schien sich auf mich zu konzentrieren. Sofort nutzte ich die Chance und drang etwas weiter vor. Einen Teil ihrer Seele konnte ich erfassen.

„Die Andere ist tot." Er beugte sich über uns, sodass sein Schatten auf Fiona fiel und ihre blonden Haaren nicht mehr glänzten.

Auf einmal war es, als wäre eine Mauer zwischen Fiona und mir. Was tat dieses Mädchen? Verwirrt öffnete ich die Augen und runzelte die Stirn. Langsam schüttelte ich den Kopf und sah zu ihm hoch. Er besaß mehr Erfahrung als ich. „Ich komme nicht zu ihr durch. Sie wehrt sich. Hast du so etwas schon mal erlebt?"

„Dass sich ein Opfer wehrt? Nie. Sie waren immer dankbar." Er guckte mich ernst an, als wüsste er, dass ich mit dem Gedanken spielte, sie leben zu lassen. „Sie muss trotzdem sterben."

„Ich weiß", murmelte ich und erhöhte den Druck auf ihre Brust.

Beinahe lächelte ich schwach. Ich spürte, wie etwas in ihrer Abwehr brach. Die Mauer stürzte ein und ich konnte sie wieder erfassen. Doch bloß für wenige Sekunden, dann wehrte sie sich wieder und ich sah auch, wie sie ihre Augenbrauen konzentriert zusammenzog.

Wie konnte sie sich so sehr wehren? Sie müsste tot sein!

„Komm schon", murmelte ich und ließ ihre Seele nicht los. Ich würde nicht aufgeben! Energisch klammerte ich mich an den einen Teil von ihr, den ich erfassen konnte.

Aber sie entglitt mir immer mehr. Ich verstand nicht, wie sie so stark sein konnte.

„Verdammt nochmal! Ihre Seele ist zu stark!", knurrte ich nun und schüttelte wütend den Kopf. Energisch presste ich meine Hand fester auf sie und nahm nun auch die zweite Hand dazu.

Ich spürte ihre Energie und versuchte sie zu greifen. Fiona schien das auch zu spüren, denn sie wehrte sich erneut. Es war, als würde dieses Mädchen bockig „Nein!" rufen.

Doch ich krallte mich fest in sie. Ich würde nicht aufgeben!

„Ich hab's fast", murmelte ich wieder konzentriert.

Doch plötzlich war ihre Energie weg. Als würde man einen Lichtschalter ausknipsen. Verwirrt lehnte ich mich etwas zurück und öffnete die Augen.

Auch Fiona öffnete wieder die Augen und schien sich etwas verwirrt umzuschauen. Kraftlos hob sich ihre Brust und ich sah sie ungläubig an.

Wie war das möglich? Wie konnte sie auf einmal atmen?

„Was zur Hölle?"

Ich sah in ihre hellen, blauen Augen und wusste, dass ich sie nie vergessen würde.

Eine unsichere und von den Schreien geschädigte Stimme sprach leise und mein Herz blieb beinahe stehen. „Bin ich im Himmel?", fragte sie krächzend und ich betrachtete sie überrascht an.

„Wie ist das möglich?", fragte ich leise und blickte wieder zu ihm hoch. Doch er wusste auch keine Antwort. Ausnahmsweise war er auch sprachlos.

Sekundenlang betrachteten wir das Wunder, das vor uns lag und immer noch unsicher Luft holte. Dabei verzog sie auch schmerzverzerrt das Gesicht. Ich konnte mir vorstellen, dass die ein oder andere Rippe gebrochen war.

„Sie ist nicht tot", sprach er meine Gedanken aus, als könnte er es nicht glauben, und sah verwirrt zu mir.

„Ich- Ich bin nicht tot?", wiederholte Fiona mit rauer Stimme und ihre großen Augen lagen auf mir. Ihr Blick ließ mich nicht gehen und so sah ich sie irritiert an. Wie zur Hölle konnte dieses Mädchen überlebt haben?

„Wir müssen ihre Erinnerungen nehmen", sagte ich bestimmend.

Skeptisch betrachtete er mich und ich wusste, dass er meine Idee schlecht fand. „Weißt du denn, wie das funktioniert? Solltest du nicht doch lieber versuchen, sie in den Tod zu begleiten? Da kann weniger schiefgehen."

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Sie hat sich zu stark gewehrt, ich kann sie nicht begleiten. Ich werde es ausprobieren", sagte ich entschlossen und sah dem Mädchen fest in die Augen. „Ich werde dir jetzt die Erinnerungen nehmen. Du musst ruhig sein. Dir wird nichts geschehen, versprochen."

Fiona starrte mich immer noch mit ihren großen Augen stumm an und ich legte vorsichtig meine Hand auf ihre Brust.

„Wenn sie sich nicht wehrt, kannst du immer noch versuchen, sie zu begleiten. Denk daran, dass das eigentlich dein Auftrag war."

Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich darauf, ihre Erinnerung an die letzten Minuten zu löschen. Sie durfte sich nicht an uns erinnern.

Wenn sie wüsste, wer wir waren, dann wäre ihr Leben mehr in Gefahr als je zuvor.

Swallows: The Connected SoulsOnde histórias criam vida. Descubra agora