Ich hatte das Gefühl nicht nur meine Mutter verloren zu haben, sondern auch meinen Vater. Denn selbst wenn er hier war, befand er sich in dem gleichen Zustand wie jetzt. Voll gelaufen und nicht mal ansprechbar.

"Ahhhh da bist du ja, Tessssssaaaaa!" gröhlte er wieder und riss mich aus meinen Gedanken. Er hatte endlich aufgehört sich zu übergeben und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Nun ja, ansprechbar vielleicht schon aber sicherlich nicht zu einem vernünftigen Gespräch verfügbar.

Langsam stieß ich die Luft aus und näherte mich meinem Dad, der wie ein kleines Kind die Arme nach mir ausstreckte. Sollte das nicht irgendwie andersrum sein?

"Weissssdu waaaas?!" lallte er, als ich ihn schließlich erreichte und versuchte die Fahne nach Alkohol und Kotze aus seinem Mund zu ignorieren.

Ohne auf seine Frage einzugehen packte ich ihn an den Armen und versuchte ihn hochzuziehen, aber ohne das er mir half würde mir das kaum gelingen. Doch er machte keine Anstalten zu versuchen aufzustehen, sondern packte mich einfach bei den Haaren und zog mich zu sich hinunter.

Mit einem kleinen Aufschrei fasste ich mir an den Kopf und beugte mich zu ihm nach unten, damit er mir nicht meine ganzen Haare herausriss.

Den Versuch mich aus seinem Griff zu befreien unterließ ich gleich. Ich wusste eh schon, dass das es nur schlimmer machen würde. Hast du immer noch die Hoffnung, dass es nicht schlimmer wird?!  Ich versuchte die Stimme einfach auszublenden, aber sie war echt hartneckig. Es kommt immer noch schlimmer Tessa...

Mein Vater drehte die Spitzen meiner dunkelbraunen Haaren, die aus seiner Faust hinausluckten. Ich schluckte, den Kopf schräg gelegt, um die Spannung an meiner Kopfhaut zu reduzieren. Doch plötzlich zog er erneut kräftig an meinen Haaren und ich ging wieder aufschreiend dem Schmerz nach, sodass ich nun halb auf ihm lag und mein Kopf ganz nah an seinem war. ,Der Geruch des Alkohols war kaum auszuhalten.

"Du siehst aus wie sie", hauchte er er mir ins Ohr und ich erschauderte. Auch ohne das er es sagte wusste ich wen er meinte.

Meine Mutter.

Und er hatte Recht. Ich hatte meine Haare von ihr, meine atlethische Statur und die katzenhaft grünen Augen.

Das war auch ein Grund weshalb ich mich nicht gerne im Spiegel betrachtete. Ich wollte mich nicht an sie erinnern, das brachte nur Schmerzen. Außerdem würde ich nur jedesmal wieder erkennen, was für eine billige Kopie ich von ihr war.

Und auch mein Vater sah das so. "Aber niemals wirst duch auch nur annähernd an sie rankommen!" zischte er wütend und schubste mich kräftig nach hinten.

Ich stolperte einige Treppen hinauf und fiel dann nach hinten um. Mit geschlossenen Augen versuche ich die Tränen zu unterdrücken, die in mir aufstiegen. Ich weiß nicht woran es lag, dass ich kurz vorm Weinen stand. Zu einem schmerzte mein Kopf heftig von dem Reissen an meinen Haaren, genauso wie mein Steißbein von dem harten Aufstoß, aber es waren viel mehr die Worte, die mich verletzten.

Natürlich hörte ich sie nicht das erste Mal von ihm. Doch zu wissen, dass er in mir nur sie sah - in einer unvollkommenen Version - gab mir jedes Mal das Gefühl für ihn gar nicht vorhanden zu sein. Ich war in seinen Augen keine eigene Person.

Aber das bist du! Lass ihn nicht dein Leben bestimmen! Geh! Geh und lebe endlich dein Leben!, drängte mich meine innere Stimme. Aber wie könnte ich das? Er war mein Vater, alles was mir von meiner Familie noch übrig geblieben ist. Und wer sonst außer mir, würde sich um ihn kümmern?  Ohne mich wäre er schon längst vollständig kaputt.

Aber irgendwann wird es heißen entweder du oder er.

Aber so weit war es noch nicht! Ich würde nicht weggehen. Ich konnte es einfach nicht. Nicht, dass mir der Gedanke nicht schon des Öfteren gekommen wäre, aber schlussendlich war das hier mein zu Hause.

behind the screenWhere stories live. Discover now