chapter four - surrender

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Jimin stand auf dem Gehweg, im Regen, der in pulsierenden Schlieren auf ebendie Häuser hinabging, die wohl niemals mehr ein Sturm zu entwurzeln vermochte. Das Kurioseste an der ganzen Sache war jedoch, dass er sich in dem Augenblick, in dem er seinen Kopf in den Nacken legte und zu der Spitze des Trade Towers aufsah, der sich im Nebel des Smogs hervortat wie ein Martyrium der Vergessenen, nicht wirklich überzeugt sagen konnte, wieder hinein zu wollen.

Im Namusairo, als sein bester Freund ihre jahrelange Verbundenheit für politische Unantastbarkeit mit Füßen getreten hatte, war nichts in ihm dringlicher gewesen als die Notion, von der Straße zu verschwinden, in einem der Häuser Zuflucht zu suchen; sich dort mit einem Handtuch die Spuren des Regens von Wangen zu wischen und den Geruch der Abgase mit demjenigen eines teures Colognes zu tilgen. Aber als ihm Jisoo, in der Kälte gegen seinen Arm gelehnt, ihre Wahrheit verkündet hatte, war ihm plötzlich etwas Grundlegendes bewusst geworden: der Regen, der dort auf der Straße auf ihn niederging, war bei ihren Worten vielleicht nicht versiegt—wohl aber die Kälte, die seine Knochen zuvor nicht mehr verlassen hatte.

Alles in allem bedeutete seine idiotische Allegorie wohl mehr, als Jimin in diesem Augenblick erfassen wollte—und anstatt diesen unangenehm gegen seine Schädelwand pochenden Gedanken nachzugehen, zwang er sich, seine Schritte zu beschleunigen, sich in den Mauervorsprüngen zu halten, damit er vom Regen nicht noch weiter durchnässt wurde, als ohnehin schon. So brauchte er kaum zehn Minuten bis das glatte, eiskalt schimmernde, kantige Gebäude am Rande seines Blickfeldes auftauchte, sich hinter dem Lotte World Tower hervor schob, als er vom Teheranno herunter in eine Querstraße stieg.

Jang Sungho, der älteste Businessfreund seines Vaters, hatte sich auf den Export von koreanischen Elektronikgut spezialisiert, das er als Mittelsmann nach Europa und Japan verkaufte. Seine Firma, die seit ihrer Gründung in den frühen Neunzigern Beachtliches an Profit angesammelt hatte, war der Öffentlichkeit nicht zwingend bekannt, operierte Sungho meist mit der Transparenz eines Zwischenhändlers, der sich lediglich als Fußzeile im Jahresbericht von Samseong Electronics oder Hyeondai anführen ließ. Jimin hatte manches davon noch aus der Zeit gewusst, in der Sungho ein ständiger Gast in der Maision Park gewesen war—und den Rest hatte er im Internet nachgelesen, als er nach der Adresse seiner Firma recherchiert hatte. So war ihm auch wieder bewusst geworden, dass Sungho sich ebenfalls der LKP angeschlossen hatte, als sein Vater in die Politik gegangen war—innerhalb der Partei hatte er als sein Senior-Berater fungiert und sich, so vermutete Jimin, auf die ein oder andere Weise bereichert.

Dass er von dem Skandal um die LKP und seinen Vater unangetastet geblieben war, lag vermutlich daran, dass Sungho sich niemals in den Vordergrund gedrängt, das Rampenlicht gemieden hatte wie der Teufel das Weihwasser und Jimin konnte nicht anders, als dahinter eine eiskalte Berechnung zu sehen. Wenn Sungho tatsächlich seines Vaters engster Vertrauter gewesen war—und Jimin war sich da vollkommen sicher—dann hatte er von jeglicher Involvierung mit Kkangpaes gewusst.

Nicht nur aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe, die er dem Freund seines Vaters gegenüber hegte, schlug sein Herz rasend schnell in seiner Brust, als die schwach erleuchtete Fensterfront von Jang Inc. vor seinem Blickfeld auftauchte. Der Schriftzug glänzte in schlichten, dimmen Buchstaben von der Front des hochmodernen Gebäudekomplexes herunter, dessen gläserner Vorbau den Regen vom Haupteingang aus divergierte und ein paar Meter seitwärts auf den Asphalt goss. Auch, wenn kein Portier mehr vor dem Eingang zu erkennen war, machte Jimin im Inneren der Haupthalle eine Rezeptionistin hinter einer Empfangskasse aus und er schluckte hart. Wie sollte er der Frau begreifbar machen, dass er mit ihrem Boss sprechen wollte, durchweicht und herunterkommen, wie er war?

Er hätte sich über diesen winzigen Umstand vielleicht Gedanken machen sollen, ehe er sich in einer groß angelegten Aktion eigenhändig nach Gangnam-Gu durchgeschlagen hatte. Sein Atem verließ seine Lippen zur gleichen Zeit wie ein unterdrückter Fluch, und er legte den Kopf in den Nacken, wobei der Regen ungehindert auf seine Stirn, seine Wangen und Haare fiel—ihn zwang, die Augen zu schließen. Irgendwo dort oben, jenseits seines verschwommenen Blickfelds, saß Jang Sungho in einem Büro, von dem aus man die gesamte Stadt überschauen konnte, trank vermutlich teuer importierten Whiskey und dankte den Göttern jeden Tag aufs Neue, dass ihm nicht geschehen war wie Park Dongsun.

PURPLE RAINWhere stories live. Discover now