□●Kap.13●□

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Gekonnt zog sie den Wetzstein über die Klinge. Das scharrende Geräusch, das diese Bewegung erzeugte, breitete sich im Innenhof des Aufklärungstrupps aus, der eigentlich in vollkommener Ruhe lag.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Doch in Guardians Kopf gab es diese Ruhe nicht.
"Komm schon! Warum versuchst du es denn überhaupt noch? Du versagst eh wieder!"
Ein weiterer Strich mit dem Wetzstein.
"Du versagst immer! Warum sollte es diesmal anders sein?"
Nocheinmal hallte das Scharren über den Innenhof.
"Wäre nicht alles viel leichter, wenn du ihn einfach töten würdest?"
Sie sprang auf, der Wetzstein fiel auf den Boden. Guardian zog ihr zweites Katana und ließ beide durch die Luft wirbeln.

Sofort war ihr Kopf leer. Ihr gesamter Körper konzentrierte sich auf den imaginären Gegner vor ihr.
Die Stimme, die bis Eben noch, die dunkelsten und verwerflichsten Ideen aus den Tiefen ihres Gehirns vor ihrem inneren Auge ausgebreitet hatte, war verstummt.
Noch zwei schnelle Schläge und sie hatte ihrem Gegner den Kopf abgetrennt.
Sie verharrte in ihrer jetzigen Position.
Plötzlich ertönte eine genervte Stimme hinter ihr. "Hey Fräulein Nutzlos!", herrschte Erwin sie an. "Was soll das? Du warst bestimmt eine Stunde lang verschwunden und hast jetzt weder die Uniform, noch die Riemen angelegt? Vom Gear ganz zu schweigen! Nein! Du hast Schwerter
geschliffen, die beim ersten Schlag auf Titanenhaut zerbrechen werden!"

Guardian hatte derweilen ihre Katanas zurück in die Scheiden geschoben und war an Erwin heran getreten.
Sie stand jetzt genau vor ihm und sah nach oben, fest in dessen Augen.
Beide bedachten sich mit einem Blick, den nur wenige beherrschten — der Blick eines Anführers, starr, entschlossen und voller Stolz, Würde und Selbstsicherheit.
Ein respekteinflößender Blick, der viele zum Schweigen brachte, doch keiner der beiden schien zurückzuweichen.
"Hör mir mal zu", verlangte sie mit einer ruhigen, doch eindringlichen Stimme, "ich weiß besser als jeder andere was ich tue. Erfahrung macht stark und weise.
Meine Schwerter werden nicht zerbrechen. Damit wurden schon wesentlich härtere Materialien geschnitten.
Und was das Gear angeht, so werde es nicht benutzen. Ich beherrsche es, keine Frage, doch behindert es mich eher, als dass es mich unterstützt. Ich brauche es auch gar nicht, denn wenn man es grob sieht, dann kann ich sozusagen fliegen.
Selbst wenn nicht, wir Spirits sind trotz unserer, oftmals, menschlichen Erscheinung, keine menschlichen Wesen. Unsere körperlichen Fähigkeiten sind verstärkt. Wir haben alle irgendwo ein Talent, dass uns Kräfte verleiht, von denen ihr nur träumen könnt.
Und überhaupt, es ist nicht meine Aufgabe 'nützlich' zu sein. Sie lautet, dich davor zu beschützen, aufgefressen zu werden.
Ich sage es dir ganz offen, ich habe keine Lust mehr darauf. Immer das gleiche zu machen ist langweilig. Erwin grinste. " Hör auf zu lügen.", meinte er leise. "Du bist nicht gelangweilt. Da ist irgendwas passiert. Dein gesamtes Dasein ist eine
Fassade."
"Das wünscht du dir.", flüsterte Guardian eben so leise zurück.

Dann dematerialisierte sie sich und lief, direkt durch Erwin hindurch, auf den Vorplatz des großen Gebäudes zu.
Erwin sah ihr hinterher und schüttelte den Kopf.
Es stimmte, dass er einige Probleme mit dieser Frau hatte, doch er war sich vollkommen sicher, dass dort irgendetwas war, das sie so machte, wie sie nun mal war.
Sie war schwach, doch man hatte von ihr erwartet, dass sie stark war. Also hatte sie sich eine starke Fassade erbaut, der die Emotionen fehlten.
Aber das war nun egal. Nun galt es heraus zu finden, ob sie wenigstens im Kampf etwas taugte.

Guardian trat mit festem Schritt hinaus auf den Vorhof.
Plötzlich schossen ihr ein paar Erinnerungen durch den Kopf. Erinnerungen an einen Traum, der sie immer wieder besuchte, doch den sie nie richtig erfassen konnte.
Da war ein Schuss und ein Schrei.
Dann rannte sie und rannte. Sie fühlte  den Wind in ihren Haaren und wie der Regen ihre Kleidung durchnässte.
All das verschwamm zu einem Rauschen, dass Rauschen von Wasser.
Die Hektik des Traums verschwand. Das Wasserrauschen hatte sie schon immer beruhigt.
Sie hörte das Rauschen, sah kurz hinab auf reißendes Wasser und dann war da nur noch das Gefühl eines freien Falls. Dann war alles schwarz.

Ein kleines gequältes Lächeln schlich sich auf ihre Gesichtszüge.
Sie hatte so eine Ahnung, was dort passiert war. Sie hatte versagt.
Dann schüttelte sie den Kopf und verjagte somit den Gedanken.
Ja, sie hatte versagt und sie würde es auch wieder tun, aber nicht jetzt und nicht heute.

Ihr Blick richtete sich auf die Soldaten, die sich langsam versammelten. Sie sah ihre Anspannung, Nervosität und auch Angst, doch sah sie auch, wie entschlossen sie waren. Und plötzlich hatte sie das Bedürfnis, möglichst viele von ihnen heil wieder zurück zu bringen.
Ja, heute war freilich nicht der richtige Tag für Versagen.

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