16. Kapitel

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Askan

Ich war relativ zufrieden mit unserer Einigung. Ich hatte nicht vor, zuzulassen, dass sie ein Tiger blieb. Doch für den Moment sollte sie sich mit ihrer Tigergestalt anfreuden. In etwa drei Wochen müssten wir sowieso schon zur Versammlung aufbrechen. Dort würde sie vielleicht endlich begreifen. Es tat weh, aber sie musste verstehen wer ich war und was ich getan hatte. Die ungeschönte Wahrheit. Sie sollte sehen, was es hieß ein Tiger zu sein.

Die Ältesten würden sich dann vielleicht erbarmen ihr Wissen preiszugeben. Wenn nötig würde ich sie zwingen, auch wenn ich das eigentlich nicht wollte. Zu lange hatten sie sich schon vor mir verschlossen. Diesmal würde ich nicht nachgeben. Ich musste wissen, ob es ging. Ob es eine Möglichkeit gab, Kaela zurück zu verwandeln. Es gab noch viele weitere Fragen die ich mir schon ewig stellte. Ich war mir fast sicher, dass sie die Antwort darauf wussten.

Vielleicht, ja vielleicht, hatten sie auch eine Antwort auf meine größte Frage. Dem Warum. Dem Warum, das so viele weitere Fragen nach sich zog. Eine Antwort darauf, ob ich je eine Wahl gehabt hatte. Und schließlich auch eine Antwort darauf, ob die Hoffnung bestand, jemals wieder ein Mensch zu sein. Einfach nur ein Mensch.

Gegen Abend trafen wir auf Dayita und Ravi. Sie hatten bereits gejagt und uns etwas übrig gelassen. Kaela war erst skeptisch. Rohes Fleisch war sie nicht gewöhnt. Am Ende aß sie es aber ohne Protest. Ich erlaubte mir ein Tigergrinsen, als sie mich daraufhin provozierend ansah. Mit der Zunge fuhr ich ihr neckend übers Ohr. Sie fauchte spielerisch beleidigt.

Es fing wieder an zu regnen. Ich trat aus dem Schutz des Farnbusches unter dem wir gespeist hatten. Kalte Tropfen kühlten mein, von der Tageshitze glühendes Fell. Ich seufzte geniesserisch. Die Regenzeit hatte schon so ihre Vorteile. Kaela trat neben mich. Es war komisch zu wissen, das unter dem Tigerfell ein Mensch steckte. Schweigend genossen wir den kurzen, aber heftigen Regenguss. Einzig unsere Flanken berührten sich leicht und wir verschränkten die Schwänze miteinander. Als der Regen versiegte, machten wir es uns unter dem Farn gemütlich und warteten auf den Schlaf.

Am nächsten Morgen nahm ich Kaela mit auf die Jagd. Wie man es bei Jungen tut, machte ich ihr die verschiedenen Jagdtechniken vor und sie ahmte sie nach. Kaela verstand schnell und man merkte das sie, ob Tiger oder nicht, Jagderfahrung hatte. Einzig beim töten mit dem Biss in die Kehle zierte sie sich etwas. Ich konnte es ihr nicht übel nehmen. Am Anfang hatte ich das Töten auch als schrecklich empfunden. Doch der Hunger und der Kampf ums Überleben verlangten diese Tat. Das hatte ich früher oder später verstanden.

Zusammen kehrte wir mit unserer Beute - ein Bankivahuhn und einem Affen, den ich erwischt hatte - zurück. Nach dem Mahl lobte ich Kaela nocheinmal für ihre gute Jagd und sie schnurrte darauf erfreut. Dann leckte sie mir liebevoll über die Schulter. Während wir so gegenseitig Zärtlichkeiten austauschten, vergaß ich fast das wir im Inneren Menschen waren. Jedoch nicht ganz. Ein kleiner Teil von mir wünschte sich, ihr Haar zu berühren, in ihrem Geruch zu schwelgen und sie richtig zu küssen.

"Ist etwas?", Kaela sah mich prüfend an. "Nein, außer das ich mir immer noch wünsche das -", ein strenger Blick von ihr ließ mich verstummen.
"Denke an dein Versprechen", erinnerte sie mich. Ich seufzte und nickte.

Dayita kam zu uns herüber. Ihr Bauch war geschwollen, von den Jungen die sie in sich trug. In den nächsten Wochen würde es so weit sein.
"Kaela? Willst du mich auf einen Spaziergang begleiten?", fragte sie freundlich. Diese bejahte und dann gingen sie auch schon davon. Etwas verloren sah ich ihnen nach.

"Das ist komisch oder?", ich zuckte bei der Stimme meines Bruders kaum merklich zusammen.
"Was meinst du?", fragte ich verwirrt zurück.
"Dieses Gefühl. Die Liebe. Ich fühle mich jedes Mal unwohl, wenn sie nicht in meinem Blickwinkel weilt", klärte mich mein Bruder auf.
"Du hast Recht, es ist tatsächlich kein tolles Gefühl hier zurückgelassen zu werden. Ich hoffe sie kommen sicher zurück", antwortete ich daraufhin.

Ravi lachte.
"Wir könnten ihnen nachstellen", der alte Schalk und die Verwegenheit von früher blitzten in seinen Augen auf.
"Ja genau und dann entdecken sie uns. Das würde ihnen bestimmt nicht gefallen, Ravi. Werde erwachsen", schallte ich ihn.
"Ach sei doch nicht so ein Spielverderber. Sie werden uns nicht entdecken, glaube mir!", versuchte er mich zu begeistern.
Schließlich ließ ich mich breitschlagen und wir folgten den Geruchsspuren der Tigerinnen.

Nach einiger Zeit fanden wir Blutspuren. Kurz beschleunigte sich mein Herzschlag. Doch es war nur das Blut eines kleinen Beutetieres. Sie hatten wohl gejagt. Als nächstes vernahm ich Stimmen. Leise pirschten Ravi und ich uns heran. Tatsächlich saßen Kaela und Dayita nebeneinander neben einem Busch mit Beeren.

"Was denkst du, was es wird?", hörte ich Kaela fragen.
"Ich weiß es nicht. Eigentlich will ich darüber auch gar nicht nachdenken, denn es ist mir egal. Ich werde sie alle gleich lieben. Egal welchen Geschlechts", antwortete Dayita darauf fest. Ravi neben mir platzte fast vor stolz und schnurrte leise. Dayitas Ohr zuckte leicht. Ich warf meinem Bruder einen ich wusste doch das sie uns entdecken Blick zu.

Doch die Tigerinnen schienen uns doch nicht entdeckt zu haben, denn sie redeten einfach weiter. Und wir hatten natürlich nichts anderes zu tun, als ihnen zu lauschen.

Nach einer Weile brachen sie auf, um zurück zu unserem Lagerplatz zu gehen. Vielsagend blickte ich meinen Bruder an. Leise zogen wir uns zurück. Dann eilten wir ebenfalls Richtung Lager. Wir mussten vor ihnen da sein!

Plötzlich hörte ich einen dumpfen Aufprall hinter mir. Bevor ich reagieren konnte, wurde ich ebenfalls von einem fremden Gewicht zu Boden gerissen. Ich fauchte und schlug nach der Gestalt die mich nun zu Boden drückte.
"Lass es!", knurrte eine unnachgiebige Stimme. Doch es schwang auch ein belustigter Ton darin mit.

Ich dachte nicht nach. Ich versuchte nur, mich zu befreien. Ich wand mich, sodass die mich angreifende Gestalt mich loslassen musste. Blitzschnell rollte ich den Angreifer auf den Rücken. Es war ein Tiger. Ein cremefarbener Tiger. Ich sprang zurück. Lachen erklang.

Ich sah in das grinsende Gesicht von Kaela, als sie sich aufrichtete.
"Damit hast du nicht gerechnet, was?", schnurrte sie lachend, "geschieht euch recht, wenn ihr uns nachstellt"

Ich sah zu meinem Bruder. Er befreite sich gerade von dem Griff seiner Gefährtin. Sein Blick traf meinen. Dann sahen wir zu den Tigerinnen.

"Wir wollten nur sichergehen, dass euch nichts passiert", versuchte ich uns lahm herauszureden.
"Jaja", wischten die Beiden meine Ausrede beiseite.
"Lasst uns nach Hause gehen", sagte Dayita dann nur grinsend. Ich warf meinem Bruder noch einen Blick zu und nickte dann.

Wir gingen nach Hause und ich fühlte die verächtlich grinsenden Blicke von Kaela auf mir. Mein Fell prickelte unangenehm. Am liebsten hätte ich genervt und wütend gefaucht. Das war gehörig schiefgegangen. Mir gefiel gar nicht, als Dummkopf dazustehen. Im stillen belegte ich Ravi mit Flüchen. Verdammt seien seine Schnappsideen! Doch am allermeisten ärgerte ich mich über mich. Ich hatte schließlich eingewilligt. Nun musste ich die Konsequenzen für mein Handeln tragen. Die verächtliche Nichtachtung zweier beleidigter Tigerinnen.

 Der Prinz der TigerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt