Dr Maya Clay (Clives Sicht)

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Ich balle beide Hände zur Faust, hauptsächlich um zu prüfen, ob es noch funktioniert. Vorsichtig taste ich mit meinen Fingern über den Boden, auf dem ich liege. Sie fahren über einen kalten, glatten Untergrund. Ich öffne die Augen und werde von einem grellen Licht geblendet. “Oh, Verzeihung. Wusste nicht dass du schon wach bist.” Schwarze Flecken tanzen vor meinen Augen, mein Gegenüber verschwindet im Licht. Ich versuche mich aufzurichten um nicht völlig schutzlos dazuliegen, scheitere aber. Mir wird schon von dieser Bewegung übel. “Bleib liegen. Ich habe keine Lust, deine letzte Mahlzeit vom Boden aufwischen zu müssen.” Der Nebel und die Flecken vergehen langsam. Diese Stimme... das ist die Frau, die mich versorgt hat als ich in meiner Zelle zusammengebrochen bin. Langsam hebe ich den Kopf. “Ich sagte liegenbleiben.” Sie dreht sich zu mir, und ich sehe mich in dem Raum um, in dem ich mich gerade befinde. Es scheint eine Art Behandlungszimmer zu sein, recht gut ausgestattet, als hätte man erwartet, dass so etwas passieren würde. Vermutlich alles Teil von Hawks Plan mich umzubringen.
“Sei froh dass sie dich mir überlassen haben. Hättest
es alleine nicht mehr lange gemacht, hm?” “Wo bin ich?” “Drei Mal darfst du raten.” Irre ich mich, oder schwingt da ein gewisses Schuldgefühl mit? “Tut mir ja auch wirklich leid dass du hier sein musst, aber ich mache hier auch nur meinen Job.” Mit diesen Worten dreht sie sich wieder um. “Warum...warum sind Sie denn überhaupt hier? Sie sehen nicht so aus wie... eine von denen.” “'Von denen' ist leider Gottes mein Onkel Bill. Darum bin ich ja auch hier.” Würde mich nicht so ziemlich alles wehtun, ich würde mich ungläubig aufrichten. “Ihr...Onkel?” Die Frau schaut mich lange an, dann dreht sie sich wieder weg und fährt sich über ihr Haar. “Morgen stirbst du so oder so. Dann kann ich es dir ja getrost erzählen.” Sie seufzt. “Also... Bill hat mein Medizinstudium bezahlt, die Schulungen, meinem Mann, meiner Tochter und mir eine Wohnung überlassen und mir eine relativ gut bezahlte Stelle im Krankenhaus besorgt.” Sie seufzt wieder. “Jetzt kommt der tragische Teil.” “Für mich nichts Neues.” Die Frau reagiert nicht. “Er forderte das ganze Geld zurück. Die ganze Zeit war ich nur Teil seines perfiden... Spielchens! Er zwang meinen Mann und mich hier für ihn zu arbeiten. Von wegen Großzügigkeit! Was sollte ich auch tun?” Sie dreht sich wieder zu mir um. “Mein Name ist Maya. Dr Maya Clay.” “Clive Dove.” “Ich weiss. Nicht zu übersehen.” “So schlimm?” “Ja. Ich meine, nein. Mein Onkel hat dich schon lange im Blick. Schließlich braucht eine Hinrichtung auch einige Organisation, medizinisch wie kriminalistisch. Vertuschung, Alibi, Verschwindenlassen der Leiche.” Ich schlucke, versuche aber, das Gefühl völliger Hilflosigkeit mit einem nüchternen Räuspern zu überspielen. “Du kannst mir nichts vormachen, ich habe vier Jahre Schulung zur Anästhesistin hinter mir und acht Jahre Berufserfahrung in diesem Fach. Ich sehe es sofort, wenn ein Patient gleich in Panik ausbricht.” “Wie schön.” presse ich hervor. “Du hattest vor weniger als vierundzwanzig Stunden einen kompletten Zusammenbruch erlitten. Wüsste ich es nicht besser, ich würde dir raten dich zu entspannen.” “Wie wahr.” “Jedenfalls bleibst du bis morgen hier.” Ich schließe die Augen und versuche, dem Rat der Frau folge zu leisten, aber sie rüttelt leicht an meiner Schulter. “Augen auf, wach bleiben. Ich muss mir noch deine Verletzungen ansehen.” Sie tritt wieder hinter mich und schneidet den Verschluss des letzten Verbandes auf. “Du hattest Glück dass du nicht direkt mit der Schläfe aufgekommen bist.” Ich kneife unweigerlich die Augen zusammen, als sie mit einer Taschenlampe hineinleuchtet. “Tut mir leid. Tut's noch sehr weh?” Ich hoffe, mein konstantes Schweigen ist Antwort genug. “Ich nehme das dann mal als 'ja'. Aber hier mal eine gute Nachricht: Du hast höchstens eine leichte Gehirnerschütterung, und wenn du die nächsten Tage stillhälst, verheilt das im Nu.” “Die nächsten Tage stillhalten?” Ich verkneife mir ein wohl freudloses Lachen. “Tut mir leid. Ich vergaß. Aber ich hab eine für dich wohl noch schlechtere Nachricht.” “Hm?” “Kein Verband mehr. Soll wohl alles wie ein Unfall aussehen.” Ich kneife die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne, steht die Frau neben mir. “Hey hey, tut mir leid. Auf dich muss ich wie eine gefühllose Marionette meines Onkels wirken.” Ich zucke zusammen, als sie etwas fest auf der Stelle herumtupft.
“Sorry.”
“Schon in Ordnung.” 
“Gut.”
“Wollen Sie eigentlich auch dass ich sterbe?”
“Ich habe die Entscheidungen meines Onkels immer verabscheut. Vor allem die über diese skrupellose Vermarktung der Zeitmaschine.” “Sie... Sie wissen von der Sache?” “Bist ziemlich groß geworden, Clive.” “Hä?” mache ich wenig intelligent. “Ich war damals noch als freiwillige Sanitätshelferin unterwegs, während des Studiums, um möglichst praxisnah üben zu können. Und da war dann diese Explosion des Labors, mit den vielen Verletzten. Ich wusste sofort, dass Bill damit etwas zu tun haben musste, er arbeitete ja darin und wollte an diesem Tag einen Versuch machen. Und schließlich habe ich dann zu meinem Unglück vor einem Jahr zufällig ein Gespräch darüber mitbekommen.” “Sie haben mich also damals gesehen.” “Es wäre schwieriger gewesen, dich zu übersehen. Aber ich habe mich herzlich wenig um dich gekümmert, da du unverletzt geblieben bist.”
Das ist alles ein Bischen viel.
Während ich noch versuche, meine Gedanken zu ordnen, wird die Tür geöffnet. Es sind zwei Wachmänner. “Kommt er durch?” “Wird schon.” “Wirklich?” Sie unterhalten sich kurz, dann knallt die Tür zu.
“Tja... morgen um zehn geht es los.” Sie dreht sich wieder um. “Du...du kannst jetzt schlafen wenn du willst.” Habe ich mich verhört oder zittert ihre Stimme? “So ein Dreck...” Mit einem Klirren zerbricht eine leere Ampulle auf dem Boden. “Tut...tut mir leid.” Sie dreht sich zum Licht und zieht eine Spritze auf. “Darf ich fragen was Sie da machen?” “Sieht man doch. Ich bereite eine...eine Injektion vor.” Sie legt die fertige Spritze in eine kleine schwarze Schachtel, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Und mit einem Schlag wird mir auch klar, woher. Sie stand auf Hawks Schreibtisch.
Und jetzt weiss ich auch, wozu sie benötigt wird. Ohne dass ich es merke beschleunigt sich meine Atmung. Kalter Schweiß der Todesangst bricht mir aus.
“Entspann dich, Clive. Du bist noch immer angeschlagen.” “Was interessiert mich das, wenn ich morgen sowieso tot bin?” Vorsichtig legt sie mir eine Hand auf die Stirn. “Du hast Fieber. Reg dich lieber nicht auf.” “Ich soll mich nicht aufregen?” “Beruhige dich. Ich versichere dir, es ist völlig schmerzfrei.” “Woher...woher wollen Sie das wissen?” keuche ich.
Ich bin zu schwach.
Zu schwach, mich aufzurichten, und sogar zu schwach zu weinen. Einige Zeit wimmere ich nur vor mich hin, während ich gleichzeitig um Luft ringe. “Ganz ruhig. Sonst hyperventilierst du noch.”
Schließlich hört es endlich auf. “Geht es wieder?” fragt sie sanft. Schwer hustend richte ich mich wieder auf. Die Ärztin legt eine Hand auf meinen Rücken. “Leg dich wieder hin. Lehn dich langsam zurück, ich hab dich.” Als ich wieder liege, überprüft sie meine Atmung, die wieder einigermaßen regelmäßig geht.
“Scheint so weit alles okay zu sein. Du solltest dich jetzt ausruhen.  Soll ich dir ein Schlafmittel geben?” Ich nicke stumm. Sie hilft mir, mich wieder aufzurichten und gibt mir ein Glas Wasser. “Versuche dich zu entspannen. Es wirkt in ein paar Minuten.” Sie schaut mich lange an, während ich angestrengt an die Decke starre. “Du hast Angst, habe ich Recht?” Ich antworte nicht.
“Vertrau mir. Ich meine... es wird nicht wehtun.”
“Können Sie mir nicht helfen?” “Kann ich nicht.”
Sie schweigt lange. Ich merke, wie ich langsam wegzudämmern beginne. Aber die trügerische Stille wird schließlich von einem einzigen Satz durchbrochen.

“Denn ich bin es, die dich morgen umbringen muss.”

Wenn meine Seele einen Abgrund hat, bin ich schon tief gefallen Where stories live. Discover now