Zweiunddreißigstes Kapitel

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Meine Füße fühlen sich mit jedem Schritt schwerer an, den ich auf sie zu setze. Ihre Gestalt am Horizont kommt mir immer näher. Ich denke an nichts als den Schmerz, der in uns allen wütet.

Ihre Haare wehen im aufziehenden Wind und ihre Tränen werden immer deutlicher, je näher ich ihr komme.
Ich sehe ihre Hand vor ihrem Mund, wie sie ihn zu hält und ihre Augen zusammen kneift. Ihr ganzes Gesicht ist nass, und ich kann nicht deuten, ob das von dem vorherigen Regen kommt, oder ob es ihre bloßen Tränen sind.

"Rose", spreche ich aus, als ich nahe genug an ihr dran bin, "Wir...wir alle leiden unter dem Verlust...aber-"

"Es gibt kein Aber, Felix!", krächzt ihre zerstörte Stimme zitternd und müde. Ihr Mund steht nun offen, ist zu sehen, und ihre Hand hängt schlapp an ihrem Körper herunter. "Es gibt kein verfluchtes Aber! Ardian ist tot! Er ist tot, und wir sind dran schuld!"

"Wir sind nicht dran schuld.", versuche ich ihr verzweifelt ins Gewissen zu reden, da ich nicht will, dass sie sich den Schuh für etwas anzieht, das nicht unsere Schuld ist. Wir sind nicht schuld. Ardian hat sich für unsere Freiheit geopfert. Wir haben ihn nicht umgebracht.

Oder haben wir ihn doch umgebracht?
Nein. Nein, Jenfersson hat ihn erschossen. Nicht wir. Sie haben ihn angeschossen. Nicht wir.

Wir tragen keine Schuld.

"Wir sind schuld!", weint sie lautstark.

Ich will sie umarmen, sie trösten, doch sie entzieht sich meinen Versuchen, sie zu berühren. Sie entzieht sich all den Versuchen, irgendwie für sie da zu sein. Ihre Haare kleben an ihrem nassen Gesicht und ihre Augen bekommen keine Chance, auch nur aus dem glasigen Zustand heraus zu kommen.
Sie sieht so zerstört aus. So fertig und müde. So kaputt. Zerbrochen.

"Wir-"

"Wir wollten uns wehren und abhauen! Wir wollten uns auflehnen und hatten alles satt! Wir haben Jenfersson gehasst! Wir haben es gehasst und er war nur unser Ticket nach draußen...er war anfangs nur unser Ticket nach draußen. Er war so viel mehr...hatte eine Schwester und eine Geschichte, die er nicht jedem erzählt hat. Er hat uns vertraut. Auch, wenn er brutal sein konnte und uns erst nicht mochte und das alles. Er war mehr als nur ein Ticket. Er hatte eine Geschichte zu erzählen. Und er hatte Mut. Und war tapfer. Und er hat das Leben von uns allen bereichert."

Ihre Augen haben aufgehört, Tränen abzustoßen. Ihre Lippen sind spröde und trocken und ihre zierliche Figur steht mit verschränkten Armen vor mir, die sie so wirken lassen, als wolle sie nie wieder von irgendwem angefasst werden. Sie steht einfach nur so da, und sie sieht noch immer hübsch aus, selbst in dieser Situation, und ich hätte mir hundert Situationen ausmalen können, in denen wir alle lieber stecken würden, als in den Stunden nach dem Tod eines Freundes.

Niemand möchte die Stunden nach dem Tod einer Person erleben, die einem etwas bedeutet hat.
Niemand möchte die Person sein, die jemanden verloren hat, und niemand möchte die zwei schmerzenden Worte hören, die lauten: "Mein Beileid".
Niemand möchte dann noch das genaue Beileid hören, die Eigenschaften aufgezählt bekommen, die die verstorbene Person hatte, und wie schade doch alles sei.

Die Wahrheit daran ist, dass genau diese ganzen Dinge das Eigentliche noch viel schlimmer machen. Sie verschlimmern den Verlust und die Lücke, die in allen Menschen immer größer wird, die etwas mit der verstorbenen Person zu tun hatten.

Die Lücke wird dadurch nur noch größer und unmöglicher zu füllen. Sie verschluckt dich irgendwann, dann bist du nichts mehr als eine Erinnerung, da sie sich zu lähmen beginnt. Und dann folgt das ständige Nachdenken. Das Schweigen. Bis du selbst innerlich tot bist.

Was ich deutlich machen will:
Diese Lücke fängt an, in uns allen zu wachsen und zu reifen. Sie wird uns einholen und verschlucken, wenn wir alles zu sehr an uns heran lassen. Wir sind auf der Flucht und haben alle Angst. Sind hungrig und kaputt und müde.

Wir können diese Lücke in uns nicht stopfen, doch wir können versuchen, sie so klein zu halten wie nur irgendwie möglich.

"Du hast recht.", sage ich ihr ehrlich, "Du hast mit allem recht, aber wir können ihn nicht zurück holen, Rose."

Ich reiche ihr meine Hand. Meine Augen sehen fragend zu ihren Armen, die ihre zarten Hände verstecken. Ich atme die drückende Luft ein, die mir nicht mehr so frei und frisch vorkommt. Ich will ihr nur helfen. Will nur, dass wir alle überleben.

Ich will nicht noch jemanden verlieren.

"Wir können nicht hier bleiben und darauf warten, dass Jenfersson uns findet und zurück ins Lager schleppt, Rose."

"Was willst du sonst tun? Dich bis in die nächste Stadt kämpfen? Deine Schuhsohlen kaputt laufen?"

Ihre Stimme schneidet mir meine Worte scharf ab. Um wieder ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich tun will. Ich weiß nicht mal mehr, wer ich außerhalb des Lagers so wirklich bin. Ich hab nie etwas anderes in Freiheit erlebt. Immer nur die paar Eindrücke, die man von Missionen kannte, doch in Freiheit erscheint einem alles so realer.

"Ich weiß es nicht.", antworte ich mit meiner Stimme, die sich nach und nach nicht mehr wie meine Stimme anhört. Als würde sie hier draußen anders sein. Nach und nach, mit jedem Wort, das ich spreche. Weil ich selbst nicht mehr weiter weiß. "Lass uns zu den anderen gehen. Wir finden eine Lösung."

"Wir werden hier draußen sterben, bevor Jenfersson uns finden kann."

"Wir werden hier draußen leben, okay? Ich bringe alles in Ordnung, versprochen."

Sie schlendert widerwillig neben mir her, zu den anderen zurück, und sagt kein Wort, bis wir beinahe zurück sind. Dann öffnet sie ihren Mund, und was sie sagt, werde ich wahrscheinlich nicht vergessen. Es klang so selbstsicher und warnend, wie ich ihre Stimme noch nie erlebt habe. Sie hörte sich einerseits wütend und andererseits total traurig und verletzlich an.

"Versprich mir nie etwas, von dem du keine Ahnung hast, ob du es einhalten kannst. Manche Versprechen sind unmöglich."

Und ich glaube, dass sie es toternst mit mir meint.

×××

Wer braucht Monate, um ein neues Kapitel zu schreiben? Me.
Sorry.

Ich hoffe, euch allen geht's gut. ❤

Lots of love

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 02, 2017 ⏰

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