#0- Prolog

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„Sie dürfen die Braut jetzt küssen", grummelt der alte Pastor unverständlich und klappt sein Uraltes, verstaubtes Buch zu, aus dem er die traditionelle Hochzeitspredigt vorgelesen hatte. Meiner Meinung nach dient dass alles nur der Show, denn keiner kann mir erzählen das der alte Greis von Pastor die Worte nicht schon im Schlaf mit reden kann, so gelangweilt, wie er sie hinunter gerasselt hat. Doch selbst der Alte kommt nicht gegen die eklig romantische Stimmung an, die hier zweifellos herrscht. Selbst wenn jetzt ein Schwarm weißer Täubchen in die Kirche fliegen würde, wäre ich nicht besonders überrascht.

Neben mir, auf der ungemütlichen Holzbank, sitzt meine Mum, die mit Tränen in den Augen meine Hand zerquetscht. Ich habe wirklich noch nie verstanden, was Leute an Hochzeiten toll finden. Ich meine klar, es wird gefeiert dass sich zwei Menschen gefunden haben, die zusammen den Bund der Ehe eingehen. Und das für immer. Doch wenn man mal ehrlich ist. Wie viele Ehen schaffen das schon? In den meisten Fällen endet eine kirchlich getraute Hochzeit in einem Scheidungskrieg. Jeder will dem anderen so viel schaden wie es nur geht. Die Hochzeit ist dabei schon lange in Vergessenheit geraten. Vielleicht ist auch genau das der Grund warum meine Perfektionisten alias Tante, die größte Hochzeit aller Zeiten, ihre eigene nennen wollte. Damit niemand sie je vergessen kann. Und nun sitze ich hier, mit einer tauben Hand und tausend anderen Leuten, die meiner Tante dabei zu sehen, wie sie den größten Fehler ihres Lebens begeht. Kein Scherz, es stehen tausend Leute auf der Gästeliste und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass meine Tante sie nicht alle kennt. Keine Ahnung wo sie die alle aufgetrieben hat.

Meine Augen schweifen von dem küssenden Paar vor dem Altar ab, denn nach zwei Minuten, ist es wirklich nicht mehr schön anzuschauen, wie sich die beiden da vorne gegenseitig aufessen. Auch der tobende Beifall der den Kuss zu Beginn begleitet hat, verstummt langsam. Doch meine Aufmerksamkeit wird von etwas ganz anderem gefesselt. Ein Junge, geschätzt in meinem Alter, beobachtet das Spektakel mit einem sarkastisch, angedeutetem Lächeln. Genauso, wie alle anderen Männer trägt er einen Anzug, oder jedenfalls, dass was davon noch übrig geblieben ist.

Das Jackett, liegt ordentlich zusammengefaltet auf seinem Schoß, während sein Hemd bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt ist, das lässt einen Blick auf ein schwarzes Tattoo zu, dass seinen Unterarm ziert. Welches Motiv es ist, kann man von weiten schlecht erkennen. Auf jeden Fall etwas mit sehr vielen Schnörkeln. Auch seine Krawatte hat er gelockert und die ersten Knöpfe seines Hemdes sind ebenfalls geöffnet, sodass man auch hier ein wenig schwarze Farbe auf seiner Brust erahnen kann. Um sein lässiges Auftreten noch zu unterstreichen hat er die Arme vor seine muskulöse Brust verschränkt. Seine braunen Haare sind gekonnt verwuschelt und mit seinen markanten Wangenknochen, sieht er einfach unglaublich gut aus.

Verwirrt entziehe ich meine Hand dem Klammergriff meiner Mum. Die bekommt das überhaupt nicht mit, da sie ununterbrochen damit beschäftigt ist, die laufenden Tränen, die sich immer wieder aus ihren Wimpern lösen, zu trocknen.

Aber Stopp! Was habe ich da eben gedacht? Er sieht gut aus? Mein Herz fängt an schneller zu schlagen und langsam begreife ich die volle Bedeutung meiner Gedanken. Ich bin kein laufendes Wrack mehr! Ich bin über ihn hinweg!! Über ihn, Steve, der mich vor meinen Augen mit der Schulschlampe Lindsay McLarry, betrogen hatte. Ein aus Amerika importiertes Flittchen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich emotional abgestumpft und habe keinen Typen auch nur in meine Nähe gelassen. Kein einziges Mal in den letzten drei Monaten, habe ich einen Jungen auch nur ansatzweise gut aussehend gefunden. Auch wenn meine Freunde sich die größte Mühe gegeben haben, mich zu verkuppeln. Nach meiner besten Freundin, waren da wirklich hübsche Jungs dabei gewesen, doch ich hab in jedem einzelnen nur Steve wiedererkannt.

Mein Blick huscht wieder zu dem Typen, der mittlerweile seinen Blick ebenfalls von dem küssenden Paar abgewendet hat und seine Umgebung genauer mustert. Ich folge seinem Blick zu den hohen, prächtigen Glasfenstern, der riesigen Kirche, die mit atemraubenden Bildern geschmückt sind. Dann schaue ich ihn wieder an. Er ist wirklich außergewöhnlich hübsch und wahrscheinlich auch ein außergewöhnlich großes Arsch, ich meine jetzt mal ehrlich neunundneunzig Prozent, der gutaussehenden Typen sind entweder total die Vollarschlöcher oder Schwul. Mein Herzklopfen lässt wieder nach und wieder einmal danke ich Gott für meinen ausgeprägten realistischen Sinn. Wer weiß wo ich ohne ihn jetzt säße. Auf einmal dreht, Mister IchBinMysteriösUndGutaussehend seinen Kopf direkt in meine Richtung.

ZackBumm, innerhalb weniger Sekunden ist mein Kopf wie leergefegt und ich sehe nur diese Augen, die wie in einem Spielgellabyrinth, überall in meinem Kopf wiedergespiegelt werden.

Seine hellgrünen Augen, bohren sich in meine braunen. Wir starren uns eine Weile gegenseitig an, bis er mir anzüglich zuzwinkert, um seinen Blick schließlich abzuwenden. Seufzend richte ich meinen Blick auch wieder dem Altar zu, an dem meine überglückliche Tante steht und mit ihren Brautstrauß hektisch Richtung Kirchenschiff winkt.

Sag ich doch, Arschloch!

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