WinterKälte und Tee

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»Müde blickte ich von meinem Buch hoch, seit vier Uhr saß ich im Zug und bald würde ich umsteigen müssen. Mit dem folgenden ICE würde ich immerhin lange, vier Stunden, fahren, sodass ich theoretisch ein Nickerchen machen könnte. Leider konnte ich in Eisenbahnen, Bussen und ähnlichen Verkehrsmitteln nicht schlafen, aus Angst meine Station zu verpassen, aber wahrscheinlich war der Zug sehr voll, eher überfüllt, sein würde, schließlich war Freitag – ich musste für den Geburtstag meiner Mutter einen freien Tag sowie ein freies Wochenende opfern. Ich lehnte den Kopf an die kühle Fensterscheibe und dachte über das Ziel meiner „Weltreise" nach. Nachdem ich vor einem halben Jahr meine Lehre zur Landwirtin angefangen hatte, musste ich jetzt zum Geburtstag meiner Mutter zurück. Die letzten vier Jahre bis zum Abi waren eine lange Zeit gewesen in denen ich in der Schule sitzen musste statt meinem Traum nachzugehen. Doch vor gut acht Monaten hatte ich es mit einem Schnitt von 2,0 geschafft und konnte endlich auf einem Hof als Lehrling anfangen. Mit den anderen Menschen auf dem Betrieb kam ich glücklicherweise sehr gut klar, was keine Selbstverständlichkeit bei mir war. Die Schulzeit hatte ich ohne Freunde in meinem Jahrgang überstehen müssen, da ich nicht in die kleine, zurückgebliebene Stadt passte, in die meine Eltern gezogen waren, als ich acht war. Auch mit den Lehrern verband mich meistens kein sonderlich gutes Verhältnis, aber das lag an mir und meiner Bockigkeit und nicht an der konservativen Einstellung, der Menschen in dieser Stadt. Nach einem Blick auf mein Handy packte ich mein Buch und die Thermoskanne mit Tee in den Rucksack bevor eine Durchsage die Endstation des Regionalexpresses ankündigte, dann schulterte ich mein Gepäck und stampfte zur Tür.
Draußen konnte man hinter der Dunkelheit Häuser erkennen, deren Bewohner meistens noch schliefen. Langsam fuhren wir in den Bahnhof ein und schließlich trat ich auf den Bahnsteig, wo mich die Winterkälte empfing. Ich liebte den Winter – die Kälte, das Eis, den Schnee – und jeden Morgen verzauberte mich der Frost, der alles bedeckte, wenn ich in den Stall ging. Manchmal schienen der Mond und die Sterne, sodass es funkelte und glitzerte wie im Märchen. Vielleicht war ich in der Hinsicht eine Romantikerin, aber die Liebe hatte sich mir noch nicht offenbart. In der Unterführung der Gleise stank es fürchterlich nach Erbrochenem und Pisse und ich konnte gedanklich nur den Kopf schütteln über Menschen, die sich bis zum Kotzen betranken und an öffentlichen Plätzen pinkelten, an denen nichts versickern konnte.
Als ich den nächsten Bahnsteig betrat, atmete ich erleichtert die frische, kalte Luft ein und stöhnte genervt auf sobald ich die Anzeige entzifferte, laut der der ICE zwanzig Minuten Verspätung hatte.
Ich zog die Jacke enger um meinen Körper und setze mich mit meinem Buch neben einen jungen Mann, der scheinbar auch auf den Zug wartete. „Manchmal denkst du ganz schön dumme Gedanken", lachte mich meine innere Stimme aus, „Was macht man auf einem Bahnsteig außer auf einen Zug warten?"
Da zu den zwanzig Minuten Verspätung elf Minuten Umsteigezeit hinzu kamen musste ich hier auf dem zugigen Bahnsteig wohl eine halbe Stunde rumkriegen.
Ich fing an das Buch weiter zu lesen, aber irgendwie hatte es mich noch nicht in seinen Bann gezogen, weshalb ich meinen Tee hervorholte.
Außerdem war mir kalt, weshalb ich meinem Nachbarn auch Tee anbot, schließlich saß er schon länger hier, also musste ihm auch kalt sein.

Eine Zugfahrt - Eine UnterhaltungTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon