Kapitel 32

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PoV Evan

Jer war kaum eine Stunde weg und schon sehnte sich jede Faser meines Körpers schmerzhaft nach ihm. Dieser verdammte Idiot, wieso musste er mich auch ausgerechnet heute küssen?
"Evan, du musst dich konzentrieren!" fuhr Amanda mich an und ich sah auf die verwelkte Blume in meinen Händen. Amanda wollte, dass ich sie wieder blühen ließ. Angeblich war das eine Aufgabe für Erstklässler.
"Ich kann nicht, ich fühl mich nicht gut." Seit Jer gegangen war, hatte ich ein ganz komisches Gefühl in der Brust, als wenn mein Körper mich warnen wollen würde. Aber ich wüsste nicht vor was. Immerhin waren wir alle hier sicher und Jer war über dreitausend Jahre alt und ein Vampir. Er wusste, was er tat. Zumindest ging ich davon aus.
"Ist es wegen Jeremie?" Amanda hatte in leichtes Lächeln im Gesicht, als sie das fragte. Da ich nicht erwartet hatte, dass mich jemand darauf ansprach, zuckte ich zusammen.
"Vielleicht." murrte ich und gab damit deutlich zu spüren, dass ich nicht darüber reden wollte. Amanda hob abwehrend die Arme.
"Ist okay, wenn du nicht darüber reden willst. Sollen wir Essen gehen?" Ich nickte und schmiss die tote Blume weg. Zusammen verließen wir den Garten und betrate den großen Speisesaal. Niclas und Saskia saßen schon auf ihren Plätzen. Obwohl Niclas nichts aß, setzte er sich immer zu uns, um sich mit uns zu unterhalten.
"Wo ist Lana?" fragt ich in die Runde und setzte mich an meinen Platz.
"Sie läuft an der Grenze ein paar Runden und guckt ob alles ruhig ist. Sie sollte eigentlich schon wieder da sein." antwortete Saskia und ich nickte. Also würde sie jeden Moment kommen.
Das Essen stand schon vor mir auf dem Tisch und lustlos fing ich an es in mich rein zu schaufeln.
Das Essen verlief schweigend, da keiner wusste, was man sagen sollte. Sonst hatte Lana immer für Gespräche gesorgt, aber sie war ja nicht da.
"Wie geht es mit dem Hexen voran?" fragte Niclas und ich sah von meinem Teller auf.
"Nicht sonderlich gut. Ich bekomme es nicht hin." Niclas hob beide Augenbrauen und musterte mich kurz.
"Mit der Einstellung, kein Wunder. Du willst es ja nicht lernen."
Ich verdrehte die Augen und legte die Gabel weg.
"Bis jetzt kam ich auch ohne Hexen klar. Also wieso soll ich es jetzt lernen?" Saskia schnaufte nur leise, ging aber nicht weiter darauf ein. Ebenso Niclas, der nur kurz erstaunt guckte.
"Ist natürlich deine Entscheidung." Als Antwort nickte ich nur und nahm einen Schluck Tee aus meiner Tasse als plötzlich:
"Evan."
Ich erschrak, spuckte deswegen fast den Tee über den Tisch und hustete. Die drei Anderen sahen mich verwundert an.
"Wenn du ihnen von mir erzählst, ist Lana tot."
Ich räusperte mich und sagte:
"Hab mich nur verschluckt."
"Gut. Wenn du nicht willst, dass ich mir aus dem Fell der Wölfin Schuhe mache, musst du das Gebäude verlassen. Und die Grenze. Oder du lässt es. Und sie stirbt."
Äußerlich schaffte ich es meinen Schock zu verbergen, aber mein Herz setzte ein paar Schläge aus.
Was wenn er mich nur verarschte und Lana gar nicht bei ihm war. Aber sollte sie nicht schon längst zurück sein? War es das Risiko wirklich wert?
"Ich warte"
Ich hatte noch nie gewollt, dass jemand wegen mir stirbt, der es nicht verdient hatte. Und das würde auch jetzt nicht anders sein.
"Ich gehe etwas an die frische Luft." Ohne zu Zögern wollte ich den Saal verlassen, aber Amanda redete weiter.
"Soll ich dich begleiten?" Ich schüttelte nur den Kopf und lächelte leicht.
"Ich würde gerne alleine sein. Aber danke." Kurz sah sie mich überrascht an. Wahrscheinlich wegen dem 'danke'. Mein Blick wanderte zu Saskia und sie sah mich wissend an.
Sie wusste, was ich tat. Aber sie würde mich nicht aufhalten, sondern dem Schicksal seinen Lauf lassen.
Also verschwand ich aus dem Saal und verließ mit schnellen Schritten das Grundstück. Sobald ich die Grenze überschritt, wurde ich auf den Boden geworfen und jemand hielt meine Hände zusammen. Nach einem Blick über meine Schulter erkannte ich Jeremies Bruder. Jerom.
"Lasst die Wölfin frei." befahl der Mann, der auch mit mir geredet hatte und ich sah eine verletzte Lana in Wolfsgestalt, an mir vorbei humpeln. Sie jaulte leicht und rieb ihren Kopf beim vorbeigehen an meinen. Sobald Lana wieder sicher auf dem Grundstück war, wurde ich hochgezogen und sah dem Mann in die Augen. Sie waren emotionslos. Nicht so wie bei meiner Maske, sondern dieser Kerl schien wirklich keinerlei Gefühle zu haben.
"Schön, dich zu sehen, mein Sohn." Im nächsten Moment spürte ich einen stechenden Schmerz in der Schläfe und es wurde schwarz.


Seher - Der FluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt