Kapitel 27

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PoV Evan

"Evan!" schallte die zornige Stimme meiner Erzieherin durch das Haus und sofort zog ich den Kopf ein und vergrub meine Hände in der Hosentasche. Sonst würde sie wieder meine Haut berühren und ich würde wieder komische Sachen träumen. Das wollte ich nicht. Ich hatte Angst davor.
"Evan!" Ihre Stimme kam näher und im nächsten Moment hörte ich, wie die Zimmertüre aufgeschlagen wurde.
"Was denkst du dir eigentlich dabei, den anderen so eine Angst zu machen?" keifte Frau Beterns mich an und ich schnaufte leise. Ich hatte gar nichts getan.
Die anderen Kinder mochten mich nicht, weil ich anders war. Adoptieren wollte mich auch keiner, warum auch?
"Hast du dazu nichts zu sagen?" schrie Frau Beterns weiter herum und ihr Gesicht färbte sich rot, als ich nicht antwortet.
"Du frecher Bengel! Du wirst so nie was in deinem Leben erreichen!"

Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich wach wurde und wusste erst nicht wo wir waren. Nach ein paar Sekunden klärte sich meine Sicht und ich sah mich um. Wenige Meter vor mir, ritt Niclas auf einem großen Pferd.
"Schlecht geträumt?" raunte eine Stimme hinter mir und erst jetzt spürte ich den Arm, der um meine Hüfte lag. Jeremie und ich ritten auf dem selben Pferd.
"Wieso haben wir keine drei Pferde?" erwiderte ich, ohne auf Jers Frage einzugehen. Dieser seufzte und ich hatte das Gefühl, er würde mich noch enger an sich ziehen.
"Weil du geschlafen hast. Mal wieder. Wo sollten wir das dritte Pferd hin packen?" Ich setzte mich auf und schob seinen Arm von mir. Die Stelle fühlte sich nun kalt an, aber diese Tatsache ignorierte ich gekonnt. Jeremie hatte sich hinter mir leicht angespannt. Wahrscheinlich hatte er meine Nähe mehr genossen, als ich noch geschlafen habe.
Seufzend ließ ich mich nach hinten fallen und lag mit meinem Rücken gegen Jers Brust. Ich spürte, dass er verwundert über den plötzlichen Kontakt, von meiner Seite aus war, aber gleichzeitig fiel auch die Anspannung von seinem Körper und er legte wieder den Arm um meine Hüfte. Jeremie hielt mich, während wir ohne ein Wort zu sagen durch den Wald ritten. Nur Niclas leises Fluchen zwischendurch durchbrach die Stille, da er offenbar Probleme damit hatte die Karte zu lesen.
Ich lehnte den Kopf ein Stück nach hinten, sodass meine Lippen direkt an Jers Ohr waren.
"Es tut mir leid, dass gerade ich dein Gefährte bin. Du hast dir das sicher anders vorgestellt." flüsterte ich und sah wie sich eine Gänsehaut auf Jers Körper ausbreitete.
"Du solltest noch was schlafen. Du fängst an wirres Zeug zu reden." erwiderte Jer nur und klang dabei traurig. Er ging davon aus, dass ich das nur sagte, weil ich zu wenig schlief.
Aber im Moment meinte ich es vollkommen ernst. Jeremie war keine schlechte Person. Und er hatte definitiv besseres verdient als mich. Das stand außer Frage.
"Ich meine das ernst. Du hättest was besseres verdient." seufzte ich und löste mich wieder ein Stück von ihm.
"Was besseres für mich, als dich gibt es nicht. Und zu den Zeitpunkt, an dem du das verstehst, kannst du mich zum glücklichsten Mann dieser Welt machen." Bei Jers Worten wurde mir kurz warm und es juckte mich in den Fingern ihn zu berühren. Ich krampfte die Hand zu einer Faust und fuhr mir mit der anderen über die Stirn. Hoffentlich waren wir bald da. Noch viel länger würde ich Jeremies Gegenwart nicht ertragen können, ohne dem Drang nachzugeben.
"Wann sind wir da, Niclas?" rief ich ihm zu und sichtlich genervt zerknüllte Niclas die Karte und warf die zu Boden.
"Wir müssten gleich da sein. Das Gebäude war früher eine Art Schule für Hexen, wurde aber nach einer Weile wieder geschlossen. Jetzt lebt eine Wahrsagerin dort. Bei ihr sind wir sicher. Kein Vampir oder Werwolf mit feindlichen Absichten kann den Schutzwall der Schule durchbrechen. Er existiert immer noch. Keiner weiß genau warum, aber da gehen wir jetzt bin." Skeptisch sah ich Niclas an.
"Glaubst du wirklich, dass ist eine gute Idee?" Niclas zuckte nur mit den Schultern.
"Es werde keine Leute vom Rat so schnell da rein kommen. Das ist alles, was wir im Moment haben."

Seher - Der FluchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt