2 - Fagott

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LUZ


„Hey! Hey, du!"

Er geht einfach weiter. Keine Reaktion, nichts. Vielleicht weiß er nicht, dass ich ihn meine. Ich rede ja sonst eigentlich nie mit ihm.

„Hey, Versager!"

Niemand sonst auf dem Hof reagiert. Er aber dreht sich um. Interessant. Beinahe komme ich ins Überlegen, ob ich das wirklich tun will. Sein fragender Gesichtsausdruck spricht auch für sich.

„Na, hast du heute wenigstens ausgeschlafen?" Und damit habe ich ihn. Das Gesicht wird zu einer starren Maske. Er dreht sich um und geht. Geht einfach hinein in die Schule. Ohne, dass ich fertig mit ihm bin. Da will sich wohl jemand unbeliebt machen.

Der Rest des Tages bringt nicht viel Neues. Schule wie üblich. Ich habe heute eigentlich gar keine Lust darauf, alle zu piesacken, aber dann wären die Jungs ganz schön enttäuscht. Es ist auch langsam mal wieder Zeit, dass ich mir etwas Besonderes einfallen lasse. Weniger Alltägliches. Sonst langweilen sie sich ja. Nur so – und nicht anders - kann man nämlich die eigene Machtstellung halten.

Gedankenverloren blicke ich dem im Schulgebäude verschwindenden Jungen hinterher. Er wäre ein gutes Opfer. Eine Aktion wie die eben verlangt nach Revanche.

Wenn ich einmal zulasse, dass er meine Autorität so missachtet, werden es die anderen nämlich genauso tun, sollte ich nichts dagegen unternehmen. Das hieße, ihn gewinnen zu lassen.

Und ich hasse es, zu verlieren.

Die Idee kommt wie gerufen. Gezielt winke ich Javier zu mir.

„Du musst was für mich besorgen, Kumpel." Er grinst schleimig und nickt. „Was brauchst du, Boss?"

Ich sage es ihm. Er nickt noch einmal und verzieht sich dann. Verlässlicher Mann.

Zwei Schulstunden später stehen wir so unschuldig wie möglich im Flur rum und warten auf die Ankunft unseres Opfers. Mir kommt kurz der Gedanke, dass die Schlafmütze vielleicht wieder im Unterricht eingepennt ist, denn es wird immer später.

Er kommt tatsächlich erst gegen Ende der Pause. Wie immer sind seine Haare ein einziger Wirrwarr und seine Jeans haben Löcher. Nicht die Ich-bin-so-cool-Löcher von Hollister, sondern die Ich-bin-mit-meinem-Fahrrad-hingefallen-und-habe-mir-dabei-auch-noch-das-Knie-aufgeschlafen-Löcher. Das T-Shirt hat irgendeinen Marvel-Aufdruck. Captain Marvel, steht drunter. Man sieht ihm den Nerd förmlich an.

Sein Blick ist am Boden festgeklebt. Er versucht offenbar, so leise und unauffällig wie möglich voranzukommen.

Deswegen sieht er uns erst spät. Unbeteiligte Schüler bleiben auf dem Gang stehen, sehen zwischen ihm und uns hin und her, beginnen zu tuscheln. Gleich ist er an seinem Spint. Dann geht es los.

Sein Gesicht, als er das Graffiti sieht, ist unbezahlbar. Javier hat sich dem Besorgen der Farbe freiwillig gemeldet. In fetten, roten Lettern steht dort Faggot. Sehr, originell, ich weiß. Aber trotzdem sehr wirksam.

Jemand hat mir vor einiger Zeit gesteckt, dass der Bohnenstangenjunge tatsächlich schwul ist. Ich dachte ja erst, das sei wieder nur eines dieser dummen Gerüchte. Aber es entspricht wohl den Tatsachen. Ich frage mich, ob er jetzt losheult.

Javier und Iz klatschen sich an meiner Seite ab. Ich beachte sie nicht. Ich will sehen, was er tut.

Er steht vor dem Spint und besieht ihn sich. Als wäre das Teil der letzte lebende Dinosaurier.

Das ist allerdings noch nicht alles - wir haben den Spint aufgebrochen und ihm eine klitzekleine Kleinigkeit dort hinterlassen.

Die Kondome fliegen ihm in zahlreichen Größen und Varianten entgegen, als er das Schließfach öffnet. Carlos und Iz haben sogar welche aus ihren eigenen Taschen beigesteuert. Javier hat noch einen Eimer Gleitgel oben im Schrank befestigt, mit einem Strick an der Tür.

Mein schlafender Engel (BxB)Место, где живут истории. Откройте их для себя