Der Kuss

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„Carlisle du musst ihm helfen!“, flennte ich und streichelte Jake's Wange. Er kniete sich neben uns und fing an ihn zu untersuchen. „Was ist genau passiert?“, fragte er nach und ich seufzte. „Ich... Wollte mich mit Jake hier treffen... Ich hab ihn schreien gehört und als ich dann endlich da war, lag er schon so hier. Zwei Vampire waren wohl auf der Durchreiße. Sie wollten ihn gerade beißen als ich kam...“, erklärte ich ihm tonlos und schaute dabei besorgt Jake an. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Sein Puls war viel zu langsam und sein Herz schlug unregelmäßig, stockend. „Und dann?“, hakte Carlisle nach und versuchte die Blutung zu stoppen – mit Erfolg. „Dann...-“ ich stockte und hielt inne. Was hatte ich gemacht?! Ich hatte diese Männer umgebracht! Ich war verantwortlich für ihren Tod, ich hatte das Feuer angezettelt und den Befehl zum töten gegeben, ohne ihnen die geringste Chance zu lassen. Noch nie, nie in meiner ganzen Existenz, hatte ich einen Vampir oder einen Menschen getötet, noch nie hatte ich meine Gabe zum töten eingesetzt. Ich hatte vor wenigen Minuten das getan, was ich nie machen wollte, was ich immer verhindern wolle. Doch da war es gewesen, das Monster in mir. Es war aus meinem Inneren ausgebrochen, befreit von meiner unendlichen Wut. War es wirklich schon so weit? War ich wirklich an einem Punkt angelangt, an dem ich für die Liebe tötete? Aber was war falsch daran, jemanden zu töten, der es verdient hatte? Einen geliebten Menschen zu beschützen? Sicherlich habe ich mehr Leben gerettet wie ich genommen habe, aber dennoch drängten sich zwei Fragen in meinen Kopf: War ich ein Monster? Hatte ich das richtige getan?

„Ja?“, fragte Carlisle als ich nicht antwortete, sondern nur stumm dagesessen hatte und ins Leere geblickt hatte. Ohne zu zögern antwortete ich. „Dann habe ich dafür gesorgt, dass sie nie wieder jemanden etwas antun, dann habe ich dafür gesorgt, dass sie an einen Ort kommen, an dem sie auch hingehören. In die Hölle. Ich habe sie ihr eigenes Feuer machen lassen und zwang sie dazu, sich gegenseitig zu zerstückeln und zu verbrennen. Ich habe sie getötet.“ Meine Stimme klang kalt und hasserfüllt, fast so als würde sie aus einem tiefen Grab erklingen. Ich spürte die Blicke der anderen auf mir – sowohl die der Wölfe als auch die der Cullens. Und dennoch, war es mir egal. Inzwischen hatte sich die stumme Frage in meinem Kopf von selbst beantwortet. Ich hatte das Richtige getan, wenn ich es auch auf grausame Weise getan hatte. Hätte ich sie nicht umgebracht, so hätte dies das Rudel gewiss übernommen. Ich hingegen hatte – so scheint es mir zumindest – eine bessere Rechtfertigung für mein Tun.

Ich bereute es nicht sie getötet zu haben, nicht im geringsten und vermutlich würde ich dies auch nie bereuen. Das war wahrscheinlich noch erschreckender als die Tatsache, dass ich zwei Vampire auf dem Gewissen hatte und dennoch war ich mich sicher, dass ich nicht die Einzige war, die Schuld trug. Ich war mir sicher, dass viele der Cullens selbst schon Leben auf dem Gewissen hatten. So wie ich das bisher mitbekommen hatte, hatten sie schon einige Kämpfe ausgetragen. Wie hieß es so schön? Der, der ohne Schuld sei, solle den ersten Stein werfen. Hier, in dieser mehr oder weniger 'kleinen, großen' Runde, ist sicherlich niemand berechtigt, diesen so genannten 'ersten Stein' zu werfen. Aber, wenn ich ein reines Gewissen hatte, wieso erschreckte es mich dann so sehr, was ich getan hatte? Doch für diese weitere Frage hatte ich keine Zeit. Schnell wurde ich unsanft zurück in die Realität gerissen.

„Er atmet nicht mehr... Er hat einen Herzstillstand...“, murmelte Carlisle überrumpelt und begann ihn wiederzubeleben. „Carlisle! Mach doch was!“, stieß ich schrill aus und umklammerte Jake's Hand. „Ich mach doch schon!“, gab er zurück und ich hielt erstickt die Luft an. Soll das alles schon gewesen sein? Sollte mir jetzt die Liebe meines Lebens genommen werden? Das würde ich nicht aushalten! Wieso musste das auch mir passieren?! Hatte ich in meinem Leben nicht schon genug Leid erfahren? Hasste mich Gott so sehr, dass das alles mir widerfahren musste? Reichte es denn nicht, dass ich ein Vampir geworden war? Wurde ich nun auch noch dazu verdammt die Ewigkeit alleine und ungeliebt zu verbringen? War das etwa die Strafe dafür, dass ich Liam und Tyler getötet hatte? Aber nicht Jake... Nicht Jake dürfte dafür sterben! Wenn, dann müsste ich dafür drauf gehen! Es kam mir vor wie Stunden in denen Carlisle versuchte ihn wiederzubeleben und trotzdem schien die Zeit still zu stehen. Obwohl es unmöglich war, hatte ich das Gefühl, dass meine Augen sich mit Tränen füllten. Inzwischen hätte ich wohl schon so viele Tränen vergossen, dass Esme ihre gesamten Blumen hätte damit versorgen können. Plötzlich schnappte Jake hastig nach Luft, sein Herz stolperte, überschlug sich fast, bevor es dann anfing wieder in einem gleichmäßigen Tempo zu schlagen. Er war wieder da und fast gleichzeitig, atmete jeder Anwesende erleichtert aus. So gut wie alle hatten aus Angst und Schock die Luft angehalten.

Die Liebe kennt keine Grenzen (Twilight FF/Jacob FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt