Kapitel 6

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An diesem Morgen war ich mit relativ guter Laune aufgewacht. Sowohl der Weg zur Schule verlief ohne weitere Vorkommnisse, als auch jegliche Begegnungen mit Familienmitgliedern meinerseits blieben mir erspart.

Cass und ich trafen uns ganz normal am Bahnhof, wo sie mir Vorwürfe machte, dass ich vergessen hatte, ihr die Hausarbeiten in Mathe zu schicken. Zu ihrem Glück hatten wir die nächste Mathestunde erst in zwei Tagen, weshalb sie mich für heute auch spontan zum 'Lernen' eingeladen hatte.

Natürlich war mir bewusst, dass sie unter 'Lernen' etwas anderes verstand als ich.

Jungs dachten bei diesem Wort an intime Sachen, Cass dachte an Lästernachmittage und Serienmarathone und ich dachte einfach nur an die wahre Bedeutung des Wortes.

Schließlich hatte ich noch ein halbes Jahr Schule vor mir, bevor ich mit den anschließenden Prüfungen bombardiert werden würde, und auch meinen Traum, im Ausland zu studieren, wollte ich mir nicht mit schlechten Noten verbauen.

Dies hatte ich bisher auch relativ gut hinbekommen, doch als wir am Ende der Geschichtstunde ankamen, landeten plötzlich Blätter, mit mindestens 5 Fragen über die Auflösung des Ostblocks, auf unseren Tischen, welche sich schließlich als Überprüfung, der letzten Stunde herausstellten.

Dass diese jedoch vor den Ferien, und damit mindestens 2 Wochen her waren, schien Herr Gilb nicht zu interessieren. Dementsprechend war ich auch vorbereitet, denn meine Ferien verbrachte ich so ziemlich damit, sämtliche Hausarbeiten für verschiedene Leistungsfächer abzuarbeiten. Wie sollte ich da noch Zeit haben, um den Stoff der letzten Stunden zu wiederholen ?

Jetzt saß ich also, mit einem Kulli in der Hand und die Augen auf das immernoch leere Blatt geheftet, auf meinem Stuhl und überlegte fieberhaft, was der 'Warschauer Pakt' war und in wie fern, dieser etwas mit der Auflösung von der DDR und der BRD zutun hatte.

Doch auch nach 10 Minuten standen keinerlei Antworten auf meinem Blatt und allmählich fingen die Buchstaben an, zu verschwimmen.

Also drückte ich die Miene meines Kugelschreibers heraus, kritzelte mit diesem einen großen Kringel auf das Blatt, schnappte mir meine Tasche und verließ ohne ein weiteres Wort den Klassenraum, die verwirrten Blicke meiner Mitschüler und meines Lehrers im Rücken.

Als ich wenig später meinen Weg durch das Schulgebäude suchte, war es noch still, da die Meisten noch Unterricht hatten.

Mit Cass war vor der nächsten Stunde nicht mehr zu rechnen, da diese sich gerade mit Physik und dessen Lehrerin auseinandersetzte. Da Cass sowieso nicht unbedingt sehr beliebt bei ihr war, musste sie meist nach der Stunde länger bleiben, um sich für ihre schlechte Mitarbeit zu verantworten.

Dass dies oft ihre ganze Pause einnahm, waren wir alle schon gewöhnt.

Ich hatte Physik zum Glück schon abgewählt.

Seufzend machte ich mich auf den Weg, um Denas Klassenzimmer zu finden. Diese hatte zwar normalerweiße mit mir zusammen Geschichte, doch musste sie heute ihre, vor den Ferien versäumte, Matheprüfung nachschreiben. Und der Nachschreibetermin wurde eben genau auf die Geschichtsstunden gelegt, in denen unsere Klasse mit einem Test überrascht wurde.

Glück im Unglück.

Wahrscheinlich ließ ich es mir nicht wirklich anmerken, doch der versaute Geschichtstest zog meine Laune erneut ziemlich ins Negative.

Das war in diesem Schuljahr schon die vierte Note, welche schlechter als 'befriedigend' war.
Wenn ich mit diesen Noten weiterhin durch mein Abitur schleichen würde, könnte ich mein Stipendium an einer Universität in England vollkommen vergessen.

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