Prolog

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Kopf hoch, Brust raus, Bauch einziehen.

Immer wieder flüsterte ich diese Worte vor mich hin, während ich vor meinem Spiegel vor und zurück lief und versuchte, das eben Gesagte genau umzusetzen.

Je näher ich dem Spiegel kam, desto besser konnte ich sehen, dass ich heute wieder sehr gute Arbeit geleistet hatte.

Meine sonst so prominenten Augenringe waren nicht mehr zu sehen und auch meine Wangen wirkten durch das Contouring wesentlich schmaler.

Meine langen, dunkelblonden Haare hingen mir ebenfalls in perfekten Wellen über der Schulter und durch das angewendete Haarspray wippten sie nicht bei jedem meiner Schritte mit.

Nachdem ich weitere Male vor meinem Spiegel auf und ab gelaufen war und mir ein Blick auf die Uhr verriet, dass mir nur noch wenige Minuten blieben um zum Bahnhof zu gelangen, schnappte ich mir meine schwarze Handtasche und mein Handy und verließ, mit einem letzten Blick in den Spiegel, mein Zimmer.

Normalerweiße schliefen um diese Zeit noch alle im Haus, doch gerade heute musste mir der Freund meiner großen Schwester einen Strich durch die Rechnung machen, denn sobald ich unten ankam, lief ich diesem beinahe in die Arme.

»Hast du mal wieder verschlafen oder warum hast du es so eilig ?«, grinste er mich dümmlich an, als ich einen Zentimeter vor ihm zum Stehen kam.

Genervt verdrehte ich die Augen. Die Erscheinung von Shannahs Freund, Nathan, hatte nicht unbedingt zu einer guten Laune meinerseits beigetragen.

Wobei sich diese sowieso meistens in irgendeiner Ecke meines Bettes verkroch und sich erst wieder zu mir gesellte, wenn ich abends schlafen ging.

»Nein habe ich nicht, denn manche Leute haben im Gegensatz zu dir einen Wecker und müssen nicht von der Freundin geweckt und zur Arbeit gefahren werden«, gab ich mit einem zuckersüßen Lächeln von mir, bevor sich mein Gesichtsausdruck wieder in einen genervten verwandelte.

»Da ist wohl wieder jemand mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden, was ? Aber dir auch einen schönen Tag in der Schule«, lachte er amüsiert, tippte mir nocheinmal auf die Nase, bevor er sich auf den Weg zum Balkon machte. Wahrscheinlich um wieder einmal seine Zigaretten zu verrauchen.

Mir konnte es theoretisch gesehen, egal sein, aber mir genügte schon, dass ich sein Fischgesicht jeden Tag zu sehen bekommen musste. Da war der Geruch von Tabak wirklich die Spitze des Eisbergs.

Ehrlich gesagt verstand ich nicht genau, was Shannah an ihm fand. Sie hatte schon immer einen Faibel für Jungs gehabt, die allen möglichen Krimskrams in ihren Gesichtern trugen. Von Piercings zu Tunneln war alles dabei.

Bei mir traf dies jedoch auf keinerlei Begeisterung - im Gegenteil - ich fand es vollkommen widerlich.

Auch sein Verhalten sprach nicht unbedingt für ihn, denn wenn man sich mit 32 Jahren von seiner 26 jährigen Freundin zur Arbeit fahren lässt, da man kein Geld für ein Auto, geschweige denn für den Führerschein hat, war das wirklich mehr als armseelig. Nicht zu vergessen, dass ich ständig dumme Sprüche von ihm an den Kopf geworfen bekam.

Natürlich wusste ich mich diesbezüglich zu wehren, doch nervig war es allemal.

Wenigstens war ich nicht die Einzige im Haus, die so über ihn dachte, denn als meine knapp 10 Jahre ältere Schwester vor zwei Jahren freudestrahlend zur Tür reinkam, um ihren neuen Freund in das Familienleben einzuführen, hätte ich meine Mutter beinahe wiederbeleben müssen, so heftig verschluckte sie sich an ihrem Kaffee.

Niemals würde ich ihren angewiderten Blick und das gequälte Lächeln auf ihren Lippen vergessen.

Wahrlich, ein Bild für Götter.

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