31. Kapitel

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LISI

Meine Beine schleiften mich müde die Treppenstufen zu unserer Haustür hoch. Meine Zähne klapperten bereits hektisch aufeinander, ich war mal wieder komplett durchnässt. Diese Jahreszeit war furchtbar. Nass und kalt. Meine FInger pressten rasch den Klingelknopf nach hinten und ich wartete ab. Das Geräusch schwerer Schritte drang nach draußen und ich wich erschrocken zurück, als Nialls Gesicht erschien.

"N-Niall, du?!" ungläubig sah ich ihn an, bis ich mich mit dem Gedanken anfreundete, den vor Verwunderung geöffneten Mund zu schließen.

"Hi Lisi." lächelnd zog er mich in eine feste Umarmung und ich erwiderte seine Zufriedenheit. "Deine Mum hat mich eben abgeholt. Sie wartet übrigens im Wohnzimmer auf dich." er lies mich los und vollkommen wach befreite ich mich von meinem durchnässten Mantel und den ertränkten Schuhen.
Neugierig lief ich durch den Flur und entdeckte die versammelte Familie auf dem Sofa.

"Hallo," murmelte ich leise und brachte einen leichten Wink zu stande.

"Elisabeth, setz dich." Scott rückte freundlich lächelnd zur Seite.
Als ich Platz genommen hatte, herrschte eine seltsame Stille. Vollkommen angespannt war keiner sich sicher, ob er reden sollte. Schließlich war es Mum, die die Stimme hob.

"Scott und ich müssen euch etwas erzählen. Wir, also er.. Ich war noch nie der Typ langer Worte deswegen mache ich es kurz," sie brach kurz ab und alle Augenpaare waren interessiert auf sie gerichtet. "Wir werden heiraten."

Okay. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Überrascht öffnete sich mein Mund ein zweites Mal und es kam nur ein hilfloses Kiksen, sodass ich mich räusperte. "Das ist ja, ehm, schön." lächelte ich und man hörte heraus, dass ich keinerlei Ahnung hatte, ob es mir selbst gefiel. Generell machte keiner den Anschein, dass es ihm gefiel. Scott und Mum ausgenommen.

"In zwei Wochen. Wir wollten es . . . so schnell wie möglich." Scott rieb sich über den Nasenrücken und wir nickten schwach.

"Freut mich," Ryans Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und er lockerte die Stimmung etwas auf.

"Uns auch." Mums Augen strahlten, während ihre rechte Hand die von Scott suchte.



Sobald ich mein Zimmer betrat, überkam mich das unwohle Gefühl. Die Bilder von Louis, wie er im Regen da gestanden hatte und sein Gesicht nur die pure Enttäuschung widergespiegelt hat - sie alle spielten sich vor meinem geistigen Auge ab.
Die Wahrheit.
Ich hatte es ihm nicht sagen können.
Und wäre auch jetzt nicht im stande dazu.
Zum einem, weil ich mir unsicher war. Zum anderen war mein Stolz zu groß. Etwas hatte sich zwischen uns gestellt, dass ich ihm nicht konkret meine Meinung ins Gesicht sagen konnte. Meine Gefühle ihm zu offenbaren.
Es war nicht möglich.

Ich konnte es einfach nicht.

Nachdenklich drehte ich mein Handy zwischen meinen Fingern und sperrte und entsperrte den Bildschirm abwechselnd. Mein Blick glitt zu meiner Kontaktliste und kurzer Hand klickte ich auf Louis' Nummer. Die Stimmung zwischen uns war nicht zum Aushalten.

"Hallo, dies ist die Mailbox von Louis Tomlinson. Ich bin gerade nicht ereichbar, aus welchem Grund auch immer. Bitte hinterlasse mir eine Nachricht nach dem Ton."

Bevor der schrille Piepton erklang, legte ich auf. Er wollte sicher nicht mit mir sprechen.

Lustlos streckte ich mich auf meinem Bett aus und starrte an die Wand. Ich war gerade mal achtzehn und mein Leben war schon die reinste Achterbahn. Ich hätte viel wichtigere Dinge zu erledigen, doch trotzdem schwirrten meine Gedanken ständig zu Louis. Ich mochte diese 'Ich kann dir nicht mehr vertrauen'-Nummer nicht, und so war es ja auch nicht zwischen uns. Ich vertraute ihm. Ehrlich. Aber das verlockende Gefühl der Liebe war verschwunden. Es existierte dieses aufregende Gefühl nicht, welches einem durch den Körper schießt, wenn man verliebt ist. Es fehlte. Unsere Liebe war abgestumpft. Verblasst. Wer weiß, wie lange wir beide es aushalten würden. Wer weiß . . .



Die darauffolgenen Tage waren seltsam. Ich sah ihn nirgens. Den Sportunterricht hatte ich geschwänzt, doch auch im Schulflur begegnete ich ihm nicht. Selbst, wenn ich extra früh zum Essen ging und besonders spät die Kantine verließ. Er blieb verschwunden. Sein Handy ausgeschaltet.

Es machte mir die Zeit nicht leicht. Permanent schwirrten meine Gedanken um ihn - Louis, dessen Herz ich nicht besitzen durfte. Nicht konnte. Ignorieren musste.

Nach meinem Kunstkurs schlenderte ich zu den Fahrradständern. Wie jeden Tag. Diesmal schien die warme Herbstsonne durch die bunten Laubbäume, dessen Blätter sich auf dem Boden verteilt hatten. Je weiter ich auf den Schulhof trat, desto intensiver wurden meine Schuldgefühle. Die Erinnerung an den Moment, vor paar Tagen kam erneut hoch und ich schluckte. Er hatte mich stehen gelassen. Im Regen. Eine demonstrativere Abfuhr gab es kaum. Diese Abneigung und diesen Abstand, den er hielt. Ich fragte mich, was er gerade dachte. Was er fühlte. War er verletzt? Wütend? Traurig? Wahrscheinlich alles zusammen. So wie ich es war, als er mich wissen lies, dass ich nur noch die kleine El war - eine gute Freundin.

Ein paar Kiesel lagen vor meinem Fahrrad und ich kickte sie energisch weg. Sollte ich wieder Projekt 'Louis aus dem Kopf schlagen' anfangen? Wie damals im Urlaub? Weil es ja auch so hinreißend funktioniert hat . . .

Ich schwang mich auf mein Fahrrad, als mein Blick zum Lehrerparkplatz huschte. Er lehnte an der Autotür seines Wagens und unterhielt sich mit einem Mädchen. Ich konnte sie nicht erkennen, aber sie schienen sich gut zu verstehen. Wie lange standen die Beiden da schon? Hatte Louis mich davor bemerkt?

Meine Hände zitterten, als ich in die Pedale trat und mein Rad beschleunigte. Kurvenartig bewegte ich mich vorwärts und versuchte den Lenker gerade zu halten, doch je stärker ich mich anstrengte, unauffällig zu sein, desto weniger Kontrolle hatte ich. Mein Vorderreifen kam ins Schleudern und ich gab ein bisschen mehr Gas. Gerade erreichte ich die erste Kurve, rutschte mein Rad auf dem steinigen Asphalt weg und ich fiel.

Es tat nicht weh, das Fahrrad drückte bloß etwas auf mein Bein. Aber mir kamen die Tränen schneller, als erwartet. Die gesamte Straße war frei - und ich heulte los. Ohne etwas dagegen zu machen, schossen die Tränen aus meinen Augen. Meine Hände schoben das Fahrrad von mir und ich richtete mich mühsam auf. Ich fühlte mich einfach elendig. Früher hatte ich Starbucks als Anhaltsbunkt gewusst. Oder war mit Lottie in die Stadt. Aber seitdem die Beiden zusammen sind, war ich allein. Selbst Niall hatte öfters andere Pläne als sich mit seiner Gastschwester rumzuplagen.

Als ich mir etwas Dreck von der Jeans klopfte, hörte ich Motorengeräusche und Louis' schwarzer Volvo fuhr an mir vorbei. Als würde es mich nicht geben.

Ich konnte mich gerade noch beherrschen, ihm nicht die Zunge hinaus zustrecken. Schließlich war ich achtzehn und keine sechs.

Energisch schwang ich mich erneut auf mein Fahrrad und fuhr so schnell ich konnte die Straße hinunter. Ohne zu wissen, wohin ich fuhr, kämpfte ich mich durch den aufkommenden Herbstwind und musste alle zehn Sekunden über meine Augen wischen, um sie von Tränen zu befreien.



Ich kann nicht sagen, wie lange es gedauert hat, bis ich unser Haus erreichte. Es war aber lange. Sehr lange. Angefühlt hatte es sich wie eine Stadtfahrt quer durch London. Den ganzen Tag über.

Es dämmerte sogar bereits - durch die ankündende kalte Jahreszeit verlies die Sonne früher unseren Himmel.

Ich stellte mein Fahrrad in den Hinterhof und wühlte meinen Schlüssel aus der Tasche.
Erneut stiegen mir Tränen in die Augen - sie schienen gar nicht mehr auf zuhören.
Mein Blick war auf den Boden geheftet, als ich mir meinen Weg zur Haustür bahnte, und schneller wurde. Ich wollte keinem begegnen, mit jemandem sprechen oder angestarrt werden. Ich wollte mich alleine in meinem Zimmer einschließen, ich ich es vor vielen Jahren als Kind getan hatte.
Mein Tempo drosselte sich nicht, als ich die Treppen hoch jagte, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ich gegen etwas lief. Oder gegen jemanden. Energisch wurde ich automatisch nach hinten geschleudert und plumste die Treppenstufen wieder hinunter.

"Oh. Du bist's", ertönte eine Stimme und ich sah auf. Ja ich bin's.
Louis sah zu mir hinunter. "Hast du geweint? Ist alles in Ordnung?"
Mehr Tomaten auf den Augen konnte man auch nicht haben.
Wütend wich ich seinem Blick und der auffordernen Hand, welche mir hoch helfen wollte, aus und rappelte mich auf die Füße.

"Alles okay." murmelte ich kühl und strich mir eine wirre Haarsträhne aus dem Gesicht.

"So siehst du aber nicht aus", erwiderte er und ich bemerkte seine widerwillige Zuneigung. Ziemlich deutlich bietete er mir seine Abneigung da; den Abstand, den er behalten wollte.

"Ach was." Louis hatte die Tür ausversehen geschlossen, sodass ich mit zittriegen Fingern den Schlüssel ins Schloss stecken wollte. Alle paar Sekunden rutschte die Spitze aus dem Schloss und ich stöhnte genervt auf.

"Ich wusste nicht, dass deine Mutter wieder heiratet." meinte er plötzlich.
Was sollte das Thema denn jetzt?

"Mich hat es auch überrascht." murmelte ich monoton und ruckelte heftig am Schlüsselband, da es klemmte.

"Soll ich dir helfen?" seine Stimme war näher.

"Nein."

"Wirklich nicht?"

"Nein!" mit einem Ruck zog ich den Schlüssel raus. Toll, die Tür war immer noch geschlossen.

"Was ist dein Problem?" fragte er nach ein paar Sekunden der Stille.

"Die Tür öffnet sich nicht." antwortete ich ihm bissig und drehte mich um, sodass ich mich ggen die Tür lehnen konnte.

"Ich meinte, wieso bist du so schlecht gelaunt."

"Weil der Schlüssel kle-"

"El. Du weißt, wie ich die Frage meine." seine Augen sahen mich fragend an. Etwas Trauer enthielt sich in ihnen. Ein bisschen Neugier. Etwas Geduld.

"Du ignorierst mich tagelang, gehst mir aus dem Weg …", Murmelte ich und verschrenkte die Arme vor der Brust. Sein Blick weitete sich erstaunt.

"Das wundert dich?"
Ehrlich gesagt nein. Aber es war unerträglich. Irgendwie. Diese Ignoranz die von ihm ausging, war so neu. So befremdend.
Ich zuckte mit den Schultern.

"El," er kam einen Schritt näher. "Du hast mir gezeigt, wie es in deinem Kopf aussieht. Und ich muss es akzeptieren. Aber dafür brauche ich Zeit …"
Wie es in meinem Kopf aussieht? Wüsste er das wirklich, würde er vollkommen verrückt werden. Er war sicher die letzte Person, die wusste, was ich dachte und fühlte.

Er stand direkt vor mir und ich sah sofort nach unten. Schlagartig raste mein Puls. Konnte ich dies als die wundervollen Gefühle des Verliebtseins bezeichnen? Nein. Es waren Überreste vergangener Tage. Alter Liebesmüh. Verlorenem Schicksal.

"Es ist aber so … Ich - Der Tag ist seltsam, wenn ich dich nicht sehe." gestand ich leise und mein Blick wanderte seinen Körper hoch, bis zu seinem Gesicht. "Du brauchst Zeit, ich brauche Zeit. Ich frage mich, ob es nicht einfach besser wäre, wenn-"

Ich stockte. Was tat er da? Sein Gesicht war so schnell zu meinem herunter geschnellt, dass mir nun der Atem stockte. Seine Hand ungriff meinen Nacken, zog mich zu sich heran, sodass seine Lippen meine berührten.

"Was … ?", Murmelte ich gegen seinen Mund und erwiderte seinen Kuss. Es war ein Reflex, geschah fast von alleine. Ich konnte nicht anders. "Louis …", Fing ich erneut an, behielt dennoch die Augen geschlossen. Mein Verstand wollte nicht glauben was ich hier tat, konnte nicht akzeptieren, was mein Unterbewusstsein längst beschlossen hatte.

Er presste mich gegen die Hauswand, umfasste mit der einen Hand mein Gesicht und stütze den anderen Arm neben mir ab. Meine Finger strichen über seine Wangen, erforschten seine Gesichtszüge, verharrten in seinem Nacken. Ich konnte nicht aufhören, obwohl alle Alarmglocken in mir schrillten und Stimmen riefen. 'Stop! Stop! Stop!'
Aber ich war nicht zu bremsen. Keiner von uns zwei. Ich zog ihn näher zu mir heran.
Wie ich das vermisst hatte. Diese Nähe. Diese Berührungen. Diese Küsse.

"Wir sollten uns Zeit lassen …" Murmelte ich, unterbrach den Kuss und legte meine Stirn gegen die seine. Sein Atem war schnell und unregelmäßig - wie meiner.

"Ich weiß", nuschelte er und begann erneut mich zu küssen, aber ich wich weg.

"Ich meine es ernst, Louis." zögernd nahm ich meine Hände von seinen Schultern. "Wenn wir … Wir könnten zu schnell wieder aneinander geraten. Es hat gerade keinen Sinn. Und außerdem …"

Sollte ich es ihm sagen? Oder wusste er es nicht schon bereits? Ich konnte nicht einfach 'Ich liebe Dich' sagen. Denn durch diesen Abstand hatte ich Louis auf eine andere Art und Weise zu lieben gelernt. Mir fehlte die Leidenschaft. Mir fehlte die Kraft.
Würden sie neu kommen?

"Ist schon okay", nervös zog er sich zurück und ging ein paar Treppenstufen runter.

Na prima. Jetzt war er wieder beleidigt. Verdammt.

"Louis, …"

"Nein, wirklich. Hab verstanden. Ich fand den Kuss jetzt auch nicht so berauschend." er drehte sich um und strebte auf sein Auto zu. Ich hatte es beim Kommen gar nicht bemerkt.

Wütend legte ich meinen Kopf in den Nacken. Wütend auf mich selbst. Wochenlang wollte ich nichts anderes, als dass Louis wieder etwas für mich empfindet und jetzt – jetzt war es genau umgekehrt.





Shut up, TomlinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt